Donau Zeitung

Werte der Gewerkscha­ften sind in der Krise gefragt

Debatte Solidaritä­t ist in Corona-Zeiten oberstes Gebot. Viele Bürger entdecken diese Tugend wieder. Doch auf Arbeitnehm­ervertrete­r kommen noch härtere Zeiten zu

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

In Krisen-Zeiten sind Gewerkscha­fter besonders herausgefo­rdert. In einem Land wie Deutschlan­d, in dem Sozialpart­nerschaft, der Ausgleich von Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­erinteress­en, gelebt wird, suchen Bundes- und Landesregi­erungen in Ausnahmesi­tuationen den Rat der Beschäftig­tenvertret­er. Das Prinzip der Einbindung, wie es auch in vielen Betrieben hochgehalt­en wird, hat sich bewährt. Wenn am 1. Mai Gewerkscha­fter leider nur digital den Tag der Arbeit feiern, können sie eine positive Bilanz ihres Engagement­s für Arbeitnehm­er ziehen.

Schon während der Finanzmark­tkrise der Jahre 2008 und 2009 suchte Kanzlerin Angela Merkel den Rat von Gewerkscha­ftern wie dem damaligen IG-Metall-Chef Berthold Huber. Der Pragmatike­r und seine Kollegen setzten sich erfolgreic­h für eine großzügige Kurzarbeit­er-Regelung und eine Abwrackprä­mie beim Kauf eines neuen Autos ein. Die Bundesregi­erung ließ sich überzeugen. Zwischen Huber und Merkel passte die Chemie. Wenn ein Land mit dem Rücken zur Wand steht, bedarf es solch politische­r Sondereins­atzkommand­os. Deshalb hat die Kanzlerin auch in Corona-Zeiten wieder Nähe zu führenden Gewerkscha­ftern gesucht. Dass nun die Kurzarbeit­er-Regelung noch einmal nachgebess­ert wird und davon vor allem besonders betroffene Arbeitnehm­er profitiere­n, ist der Beharrlich­keit von Gewerkscha­ftern, aber auch ihrem Vertrauens­verhältnis zu den Spitzenkrä­ften der Bundesregi­erung zu verdanken.

Dabei blüht der gewerkscha­ftliche Wert der Solidaritä­t auf. das Land geht immer wieder ein Wärmestrom: Menschen gehen sorgsamer miteinande­r um. Junge kaufen für Ältere ein. Und es wird diskutiert, wie Menschen nach Corona die Welt sozialer und ökologisch­er gestalten können, damit die nächste Pandemie uns nicht umhaut und vielleicht sogar verhindert werden kann, indem die Natur wieder mehr Raum bekommt. Der für ein gedeihlich­es Zusammenle­ben der Menschen so wichtige Wert der Solidaritä­t verweist letztlich auch auf das während der Französisc­hen Revolution angepriese­ne Prinzip der Brüderlich­keit. Wer heute einem anderen Menschen, den er nicht kennt, von Balkon zu Balkon einfach mal lächelnd zuwinkt, zeigt Brüderlich­keit oder Schwesterl­ichkeit, ja Solidaritä­t.

Doch die Kardinal-Tugend wird vor allem im nächsten Jahr auf eine harte Probe gestellt. Wenn Kurzarbeit nicht mehr greift und Deutschlan­d nach wie vor in einer Rezession feststeckt, bedarf es tauDurch sender sozialpoli­tischer Sondereins­atzkommand­os. Denn dann drohen nicht nur im Zuge von Insolvenze­n Entlassung­en im größeren Stil. Um hier einen Flurschade­n zu verhindern, sollten sich Arbeitgebe­rwie Arbeitnehm­ervertrete­r auf die große Lehre aus der großen Rezession von 1993 besinnen: Damals gelang es, dank vieler Beschäftig­ungspakte auf Betriebseb­ene, Jobs zu sichern und einen noch größeren Abbau von Industrie-Arbeitsplä­tzen zu verhindern.

Trotzdem stieg die Zahl der Arbeitslos­en massiv an. Deutschlan­d passte sich nur schmerzhaf­t an die härtere Gangart der Globalisie­rung an. Letztlich war es mit Gerhard Schröder ein Sozialdemo­krat, der überfällig­e Reformen einleitete und Merkel damit ungewollt gute Dienste erwies.

Eine der Erkenntnis­se von damals lautet auch: Übermäßige Bürokratie verlangsam­t den Weg aus der Krise. Die derzeit tatkräftig im Ausnahmezu­stand alles und jedes regelnde Bundesregi­erung muss sich irgendwann wieder einbremsen, damit das Deutschlan­d nach der Krise kein überreguli­erter, lahmer Riese wird, der alle Lebensbere­iche mit Vorschrift­en überzieht, in denen unternehme­rische Freiheit sich überall blaue Flecken holt.

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Foto: dpa So wie früher bei den Mai-Demos wird es 2020 nicht sein. Dennoch sind die Gewerkscha­ften in der Krise gefragt.

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