Donau Zeitung

„Unser Flughafen ist ein großer Abstellpla­tz für Flugzeuge“

Jost Lammers ist neuer Chef des Münchner Airports. Der Manager musste drastische Maßnahmen ergreifen. Doch er bleibt zuversicht­lich

- Interview: Stefan Stahl

Herr Lammers, Anfang Januar, als Sie neuer Flughafen-Chef in München wurden, schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Längst hat sich die Situation durch Corona dramatisch verändert. Wie geht es Ihnen?

Jost Lammers: Ich habe jetzt diese magische Marke von 100 Tagen im Amt überschrit­ten. Ich fühle mich aber so, als wäre ich schon 300 Tage im Amt, so viel ist in den letzten Wochen passiert. Die Lage für den Luftverkeh­r ist dramatisch. Zum Glück kann ich mich hier in München auf eine sehr gute Mannschaft stützen. Der Teamgeist ist großartig. Die Beschäftig­ten sind wegen des Ausmaßes der Krise betroffen, sie stehen aber emotional zusammen, auch wenn sie die vorgeschri­ebene körperlich­e Distanz einhalten.

Wie viele Flugzeuge sind denn in München derzeit zwangsgepa­rkt? Lammers: Mehr als 100 Flugzeuge stehen bei uns in München auf dem Boden, in erster Linie von unserem wichtigste­n Partner Lufthansa. Das ist natürlich ein trauriger Anblick. Ich würde die Flugzeuge lieber in der Luft sehen. Unser Flughafen ist derzeit ein großer Abstellpla­tz für Flugzeuge. Für einen Luftfahrtm­anager wie mich, der lange in der Branche ist und, wie man sagt, Kerosin im Blut hat, fehlen derzeit all die glücksbrin­genden Emotionen, die ein Flughafen mit quirligen Terminals mit sich bringt: Hier brechen Menschen in die Ferne auf und holen ihre Liebsten ab. Nun herrscht hier weitgehend Stille und Leere. Das ist natürlich ein trauriges Bild, das ich bei meinen Gängen durch den Flughafen erlebe. Das ist alles hochemotio­nal, aber wir als Management müssen rational Maßnahmen ergreifen, um uns an die veränderte Lage anzupassen.

Welche Schritte mussten Sie ergreifen? Lammers: Unser oberstes Ziel ist in dieser Phase der Krise die Vorbereitu­ng unseres Flughafens auf den Tag X, wenn es wieder losgeht. Ich habe viele Krisen als Flughafen-Manager erlebt und daraus gelernt, dass die Nachfrage immer wieder zurückkehr­t. Die Sehnsucht der Menschen zu reisen wird nicht durch Corona gebrochen. Sie werden wieder fliegen und wir werden als bester Flughafen Europas von diesem Wunsch der Menschen weiter überpropor­tional profitiere­n. Ich sehne diesen Moment, wenn unsere Branche endlich wieder Rückenwind bekommt, herbei. Und ich bin sicher, der Moment wird kommen.

Doch bis auf Weiteres müssen Sie harte Einschnitt­e vornehmen.

Lammers: Ja, wir haben schrittwei­se Modul um Modul von Terminal 1 sowie unser Satelliten­gebäude beim Terminal 2 geschlosse­n. Seit 29.

April ist die Passagiera­bfertigung in Terminal 1 nun endgültig eingestell­t. Die noch wenigen verblieben­en An- und Abflüge werden nun über das Terminal 2 abgewickel­t.

Wie stark ist der Flugverkeh­r in München durch Corona eingebroch­en? Lammers: Was die Flugbewegu­ngen betrifft, verzeichne­n wir jetzt nur noch ein Aufkommen von knapp fünf Prozent dessen, was zum Vorjahresz­eitpunkt anfiel. Bei den Passagierz­ahlen ist es ein Prozent gegenüber dem Wert von 2019. In München starten und landen heute im Schnitt pro Tag noch etwa 40 bis 50 Flugzeuge, wobei rund die Hälfte Frachtmasc­hinen sind. Das ist schon ein Tiefpunkt. Aber der Betrieb des Airports bleibt wichtig: Unser Flughafen ist Teil der kritischen Infrastruk­tur, sodass hier medizinisc­he Versorgung­sgüter wie zum Beispiel Beatmungsg­eräte und Masken eingefloge­n werden.

Wann kommt der Tag X, auf den Sie hinfiebern? Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagt, auf 100 Prozent des alten Flugplans kommen wir lange nicht. Lammers: Zum gegenwärti­gen Zeitpunkt ist eine seriöse Prognose nicht möglich. Doch was mir auch als Präsident des europäisch­en FlughafenD­achverband­es ACI wichtig ist: Wir sollten in Europa gemeinsam eine Lösung entwickeln, wie wir den Luftverkeh­r wieder starten. Nichts wäre schlimmer, als wenn jedes Land eigene Regularien festlegt. Europa muss wieder gemeinsam in die Luft gehen. Wenn das gelingt, können wir wieder Luftverkeh­r in Europa über Landesgren­zen hinweg organisier­en.

Ist die Flughafen München Gesellscha­ft finanziell solide aufgestell­t? 2019 hat das Unternehme­n ja noch ein Rekorderge­bnis von 175 Millionen Euro eingefloge­n.

Lammers: Im Zentrum stand für uns, die Gesundheit von Passagiere­n und Mitarbeite­rn sicherzust­ellen. Gleichzeit­ig haben wir die betriebswi­rtschaftli­che Gesundheit des Unternehme­ns in den Fokus genommen. Die Kosten wurden massiv gesenkt, etwa indem Terminalbe­reiche geschlosse­n wurden, ein Einstellun­gsstopp beschlosse­n, Überstunde­n abgebaut und Kurzarbeit vereinbart wurde. Außerdem haben wir Projekte wie den Bau einer neuen Unternehme­nszentrale, eines weiteren Hotels sowie eines Parkhauses zurückgest­ellt. Das sind erhebliche Einspar- und Liquidität­seffekte. Wir investiere­n sonst mehrere hundert Millionen Euro im Jahr.

Wie viele Mitarbeite­r befinden sich in Kurzarbeit?

Lammers: Rund 70 Prozent unserer knapp 10000 Mitarbeite­r sind in Kurzarbeit. Die Kurzarbeit hilft uns in der schweren Krise, Liquidität im Unternehme­n zu halten. Damit sichern wir Beschäftig­ung.

Sind

Sie

ausreichen­d

finanziert?

Brauchen Sie staatliche Hilfen? Müssen sich Ihre Eigentümer, der Freistaat Bayern, die Bundesrepu­blik und die Stadt München, Sorgen machen? Lammers: Ja, wir sind auf absehbare Zeit ausreichen­d finanziert. Und das, obwohl uns auf der Erlösseite fast alles weggebroch­en ist. Für uns sind ja auch die Einnahmen aus der Gastronomi­e, dem Handel oder dem Parken hier am Flughafen sehr wichtig. Hier haben wir wie auch im

Luftverkeh­r an sich so gut wie keine Einnahmen mehr. Wir haben aber überall auf der Ausgaben- sowie der Investitio­nsseite reagiert und so unsere Liquidität gesichert. Wir sind dadurch für die nächsten Monate finanziell gut aufgestell­t. Und in den nächsten Monaten wird es ja hoffentlic­h auch wieder aufwärtsge­hen. Lufthansa hat ja bereits erste Erweiterun­gen ihres Flugangebo­tes ab Mitte Mai angekündig­t. Auch dank der wirtschaft­lichen Substanz, die wir uns in den vergangene­n Jahren erarbeitet haben, sind wir für die Krisenbewä­ltigung gut gerüstet.

Viele Unternehme­n erleben jetzt, dass man sich mit Videokonfe­renzen Flugreisen einsparen kann. Wird nach Corona weniger geflogen?

Lammers: Es kann schon sein, dass moderne Videotechn­ik auch nach der Krise vermehrt genutzt wird. Ich glaube aber nicht daran, dass deshalb dauerhaft weniger geflogen wird. Der Flugverkeh­r wird auch deshalb wieder an alte Größenordn­ungen anknüpfen, weil das Bedürfnis der Menschen, zu Freunden und Bekannten zu reisen, ja die Welt zu sehen, ungebroche­n ist.

Nach Corona kommt das Thema sicher wieder auf den Tisch: Muss Fliegen klimafreun­dlicher werden? Lammers: Unbedingt. Das galt aber auch schon vor Corona. Ich erwarte mir hier sehr viel von neuen Kraftstoff­en, welche weniger CO2-Emissionen verursache­n. Das ist eines der Schlüsselt­hemen für unsere Branche. Langfristi­g müssen wir den Luftverkeh­r vollständi­g dekarbonis­ieren. Wir haben uns hierzu als Flughafen München in einer gemeinsame­n Initiative mit über 200 anderen europäisch­en Airports explizit verpflicht­et.

Doch die dritte Start-und-LandeBahn für München, die Ihr Vorgänger Michael Kerkloh vergeblich erstreiten wollte, ist nun mit Corona doch endgültig Geschichte, oder?

Lammers: Da gilt weiter das Moratorium der jetzigen bayerische­n Regierungs­koalition aus CSU und Freien Wählern, nach dem sämtliche Planungen für eine dritte Start-undLande-Bahn in der laufenden Legislatur­periode ruhen.

Ein Tiefpunkt für den Flughafen

Radikaler Tritt auf die Ausgabenbr­emse

Sind Sie denn ein Anhänger einer dritten Start-und-Lande-Bahn wie Kerkloh? Verraten Sie es doch. Lammers: Ich halte es für richtig, unseren Flughafen nachfrageg­erecht für die Bürger und die Wirtschaft auszubauen. Dazu gehört – wenn der Bedarf da ist – auch der Bau der dritten Start-und-Lande-Bahn.

OJost Lammers, 53, stammt aus Oldenburg. Seit 2008 leitete der Vater zweier Söhne den Budapester Flughafen und seit Januar ist er Chef des Münchner Airports. Der Manager ist in den Münchner Norden gezogen und fühlt sich mit seiner Familie dort „sehr wohl“.

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 ?? Foto: Marcus Schlaf, FMG ?? Jost Lammers ist seit Januar diesen Jahres neuer Chef des Münchner Flughafens. Die Corona-Krise fordert ihn enorm.
Foto: Marcus Schlaf, FMG Jost Lammers ist seit Januar diesen Jahres neuer Chef des Münchner Flughafens. Die Corona-Krise fordert ihn enorm.
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