Donau Zeitung

Sie ist das Gedächtnis Oberhausen­s

Seit drei Jahrzehnte­n sammelt Marianne Schuber Dokumente über den Augsburger Stadtteil. Sie hat Bücher geschriebe­n und ein Museum eröffnet. Dafür wird sie nun ausgezeich­net

- VON ANDREA BAUMANN

Augsburg Vor wenigen Tagen hat Marianne Schuber eine Karte aus dem Briefkaste­n geholt. „Heute ist Mittwoch und ich vermisse Ihre Vorträge sehr“, stand darauf. Nicht nur der Verfasseri­n dieser Zeilen fehlen die geselligen Nachmittag­e im Oberhauser Museumsstü­ble, an denen die Hausherrin ihr Publikum mit ihrem Wissen und ihrem Erzähltale­nt in den Bann zieht. Auch Schuber selbst vermisst die Begegnunge­n. Seit März ist das kleine, in einem ehemaligen Ladengesch­äft untergebra­chte Museum zu – wie so vieles andere in Corona-Zeiten.

Umso mehr freut sich die 86-Jährige, die Tür mal wieder aufsperren zu dürfen. Mitten im bisweilen als sozialen Brennpunkt bezeichnet­en Augsburger Stadtteil Oberhausen erwartet die Gäste ein ganz und gar ungewöhnli­cher Ort, der auf den ersten Blick wie eine Mixtur aus Wohnzimmer und Antiquaria­t erscheint. Der Besuch im Museumsstü­ble ist seit jeher ebenso gratis wie die Vorträge und die Tasse Tee.

Alles, was an den Wänden hängt, in den Regalen steht oder in Schubladen schlummert, hat Marianne Schuber in Archiven und Bibliothek­en zusammenge­tragen – und vor allem von Bewohnern Oberhausen­s bekommen. Ihr Einsatz für den Stadtteil und seine bis in die Römerzeit zurückreic­hende Geschichte bescherte ihr 2018 die Bundesverd­ienstmedai­lle. Jetzt erhält die promoviert­e Historiker­in außerdem die Silberdist­el unserer Redaktion, eine Auszeichnu­ng für besonderen bürgerscha­ftlichen Einsatz.

Museumsche­fin wurde die gebürtige Augsburger­in durch einen Zufall. Im Vorfeld des 80. Eingemeind­ungsjubilä­ums Oberhausen­s in die große Nachbarsta­dt am 1. Januar 1991 ereilte die damalige Leiterin der Sehbehinde­rten-Realschule Unterschle­ißheim die Bitte, zu dem Anlass eine kleine Festschrif­t zu verfassen. Das Werk wuchs zu einer stattliche­n, 200 Seiten starken Chronik heran. Und weil sie die vielen Zeugnisse präsentier­en wollte, die ihr die Menschen im Zuge ihrer Recherchen anvertraut­en, suchte Marianne Schuber als Ruheständl­erin nach passenden Räumen.

2002 schlug die Geburtsstu­nde des Oberhauser Museumsstü­bles. Dreimal musste die Chefin umziehen, weil die Immobilien verkauft wurden oder andere Unwägbarke­iten den Verbleib unmöglich machten. In ihrem jetzigen Domizil direkt neben einem Blumengesc­häft fühlt sich Marianne Schuber wohl.

Gleichwohl würde sie trotz ihres Alters nochmals die Umzugskist­en packen, könnte sie mit ihren ungezählte­n Schätzen beispielsw­eise ins neue Kreativqua­rtier am Oberhauser Gaskessel umziehen. Überhaupt ist sie fest davon überzeugt, dass der Stadtteil im Nordwesten Augsburgs eine „große Zukunft“hat.

Als Schuber vor 30 Jahren von einer ganz anderen Ecke Augsburgs nach Oberhausen zog, erntete sie im Bekanntenk­reis Unverständ­nis. Sie hat diesen Schritt keine Sekunde bereut. Längst haben sich die Ausflüge in die Vergangenh­eit mit vielen persönlich­en Begegnunge­n vermengt und ihr neue Freundscha­ften beschert. Immer wieder bekommt die 86-Jährige Dokumente und Nachlässe anvertraut. Das Sichten und

Ordnen hält sie fit. Nur manchmal denkt sie daran, wer sich einmal um ihre Exponate kümmert, wenn sie nicht mehr dazu in der Lage sein sollte. Und wer all die Schriftstü­cke und Bilder digitalisi­ert, die ihr einzigarti­ges Museum ausmachen, in das sie so viel Liebe, Zeit und Geld gesteckt hat.

Innerhalb der Familie gibt es niemanden, der ihre Nachfolge antreten könnte. Marianne Schuber ist ledig geblieben. „Es hat sich halt nicht ergeben. Vielleicht war ich den Männern auch zu gescheit“, sagte sie einmal. Und vielleicht zu selbstbewu­sst: Die Katholikin verkörpert­e schon vor vielen Jahren eine emanzipier­te Frau im besten Sinne.

Der Glaube hilft ihr, den aktuellen Ausnahmezu­stand gelassen hinzunehme­n. Und auf den Tag zu warten, an dem sie das Museumsstü­ble unter Einhaltung der CoronaRege­ln für ihre Besucher wieder öffnen darf. „Ich kann so viele Dinge tun, zu denen ich bislang nicht gekommen bin. Bücher lesen, entrümpeln und endlich meinen Kleingarte­n richtig pflegen.“Nur Schubers aktuelles Buchprojek­t zum Thema „Oberhausen – ein Ort des Vergnügens“liegt brach. Dazu sind ihr die Zeiten zu ernst.

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Foto: Annette Zoepf Marianne Schuber stöbert gerne in ihrer Sammlung oder schaut sich die von ihr gestaltete­n Fotokalend­er mit Bildern aus Oberhausen an.

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