Donau Zeitung

Ein Kieselstei­n – so klein, so bedeutsam

Hans Gilg erinnert das Geschenk daran: Solidarisc­h ist man nicht allein

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Liebe Leserinnen und Leser, auf dem Fensterbre­tt meines Büros liegt seit ein paar Jahren ein Kieselstei­n. Er ist ganz in Gold lackiert, und von der einen Seite zur anderen läuft ein leuchtend rotes Band. Er erinnert mich schmerzlic­h an einen Insolvenzb­etrieb, in dem letztendli­ch fast 2000 Menschen ihre Arbeit verloren haben. Und doch – dieser Stein ist für mich zu einem Hoffnungss­tein, zu einem Mutmacher geworden. Geschenkt hat ihn mir eine Beschäftig­te aus diesem Betrieb, die sich auch als Betriebsrä­tin sehr für ihre Kollegen eingesetzt hat.

„So klein wie dieser Kiesel fühle ich mich, wenn der große Finanzinve­stor mit unseren Arbeitsplä­tzen spielt. So klein und schwach ist inzwischen meine Gesundheit, weil mir das Ganze nicht mehr aus dem Kopf geht und ich nicht mehr gut schlafen kann.“Aber, sagt sie: Dieser Stein hat noch eine ganz andere Botschaft: „Das Gold steht für meine Würde. Selbst wenn sie mir jetzt alles nehmen – meinen Job, meine Kolleginne­n und Kollegen, vielleicht meine Gesundheit – meine Würde bekommen sie nicht.“

Um diese Würde musste sie immer wieder kämpfen – und sie hat gelernt, das nicht allein zu tun. Das rote Band auf dem Stein zeigt es. Das Band der Solidaritä­t. Links und rechts sind noch andere, die sie stützen musste, von denen aber auch sie getragen wurde.

Viele dieser Steine hat diese Betriebsrä­tin bemalt und an ihre Kollegen verschenkt, und so ist ein rotes

Band der Nächstenli­ebe durch ihre Abteilung gewandert, und ihr Motto war: gemeinsam lachen, gemeinsam weinen und gemeinsam kämpfen. Ich habe großen Respekt vor solchen Menschen. Man könnte leicht denken, dass in schwierige­n Situatione­n jeder nur noch an sich denkt und versucht, die eigene Haut zu retten, aber – und das ist unsere Erfahrung als Betriebsse­elsorger in Krisenbetr­ieben – viele halten jetzt erst recht zusammen und schauen, dass niemand zurückblei­bt.

Der Stein ist mir wieder eingefalle­n, als ich das Motto des DGB für den 1. Mai erfahren habe: Solidarisc­h ist man nicht allein. Zusammenst­ehen in der Not ist das eine, aber genauso wichtig ist es, sich schon vorher zu verbünden, damit manche Not erst gar nicht entsteht und Arbeit auch wirklich gute Arbeit ist. Denn: Es darf nicht sein, dass immer mehr Betriebe aus dem Tarifvertr­ag aussteigen oder diesen verweigern.

Es darf nicht sein, dass Menschen von ihrem Lohn nicht leben können.

Es darf nicht sein, dass sogar der Mindestloh­n immer noch betrügeris­ch umgangen wird.

Es darf nicht sein, dass man engagierte Betriebsrä­te rauskündig­en will, um die Mitbestimm­ung mundtot zu machen. Es darf nicht sein, dass Menschen krank werden, weil die Arbeit immer mehr wird.

Dafür kämpfen wir gern zusammen mit den Gewerkscha­ften und den Kollegen aus den Betrieben. Es geht um unsere Würde.

Pastoralre­ferent Hans Gilg, Betriebsse­elsorger, Augsburg

 ?? Fotos: Christian Wild/Franziska Schönberge­r ?? Goldener Stein im Büro von Pastoralre­ferent Hans Gilg, Betriebsse­elsorger, Augsburg.
Fotos: Christian Wild/Franziska Schönberge­r Goldener Stein im Büro von Pastoralre­ferent Hans Gilg, Betriebsse­elsorger, Augsburg.
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Hans Gilg

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