Zollt der Krankenpflege endlich mehr Anerkennung!
Es geht nicht nur um Respekt und bessere Bezahlung. In der Corona-Krise zeigt ein Blick ins Geschichtsbuch, wie die Missstände überwunden werden können
Florence Nightingale war schon zu Lebzeiten eine Legende. Die Britin, die ihren wie aus einem Roman klingenden Namen ihrer Geburtsstadt Florenz verdankt, gilt bis heute nicht nur als Begründerin der modernen Krankenpflege. Auch bei der Infektionsbekämpfung, der Erarbeitung von Krankenstatistiken, Hygieneregeln und dem Aufbau eines öffentlichen Gesundheitswesens setzte sie noch immer gültige Maßstäbe. Nightingales Geburtstag wird alljährlich als „Internationaler Tag der Pflege“begangen. Eine bemerkenswerte Ironie der Medizingeschichte will es, dass der 200. Geburtstag der Pionierin mitten in die weltweite Corona-Pandemie fällt und zum Nachdenken zwingt.
In den vergangenen Wochen wurde viel über mehr gesellschaftliche Anerkennung, bessere Bezahlung
oder bessere Schutzausrüstung der Pflegekräfte als Lehren aus der Krise gesprochen. Schon Nightingale infizierte sich bei ihrer sie berühmt machenden Arbeit im britischen Militärkrankenhaus in Istanbul während des Krim-Krieges bei der Versorgung englischer Soldaten mit einer Krankheit, an der sie ihr Leben lang litt. Dutzende ihrer Kolleginnen starben dabei, als sie hunderten Soldaten das Leben retteten.
Auch in den vergangenen Wochen sind zahllose infizierte Krankenpflegerinnen, Krankenpfleger und Ärzte in der Corona-Pandemie gestorben. In Italien stehen auf der offiziellen Corona-Liste 162 Namen verstorbener Mediziner. Großbritannien ehrte seine in der Epidemie umgekommenen hundert Ärzte und Krankenpfleger mit einer öffentlichen Schweigeminute.
In Deutschland verschwinden die Fälle dagegen in der Statistik – falls sie überhaupt erfasst werden. Das RKI verzeichnet über 50 Tote, die im Gesundheitswesen oder Pflegeeinrichtungen mit einer CoronaInfektion gestorben sind, allerdings fehlen aus einem Drittel der Bundesländer entsprechende Zahlen.
Dass es in der hoch entwickelten Bundesrepublik kein Melderegister für Berufskrankheiten im Gesundheitswesen gibt, kann man auch unter der fehlenden Anerkennung gegenüber den Pflegeberufen verbuchen. Das größte Übel aber bleibt seit Jahrzehnten die schlechte Bezahlung: Wie der umgangssprachliche Berufsname Krankenschwester aussagt, herrscht wie zu Zeiten Nightingales bis heute das Bild der sich aus Nächstenliebe aufopfernden, christlichen Ordensschwester als inoffizielles Berufsbild vor: Vor allem sozial motivierte Frauen lassen sich unterbezahlt ausbeuten.
Unzählige Gesundheitsreformen haben nichts daran geändert, sondern die Situation meist verschlimmert. Die Durch-Ökonomisierung des Krankenhauswesens mit seinem auf Einnahmen ausgerichteten Fallpauschalensystem hat den Druck auf die Pflege mit wachsender Arbeit bei gleichzeitigen Personaleinsparungen sogar verschärft.
Schon Florence Nightingale wollte weg vom Schwestern-Klischee. Ihr großes Verdienst ist, dass sie beim Aufbruch in das moderne Medizinzeitalter die Pflege gegen den Widerstand von Politikern und Ärzten mit einem Ausbildungssystem professionalisierte. Ihr System gewährt noch heute im angelsächsischen Raum der Pflege eine höhere Anerkennung als hier.
Deshalb sollte die deutsche Gesundheitspolitik eine nachhaltige Lehre aus der Corona-Krise ziehen und 110 Jahre nach Nightingales Tod endlich das Ziel der „Pflege auf Augenhöhe“mit der Medizin umsetzen. In skandinavischen Ländern ist die Pflegeausbildung einem Hochschulabschluss mit entsprechendem Gehaltsniveau gleichgestellt. Davon profitieren nicht nur die Pfleger, sondern am meisten die Patienten durch ein humaneres Krankenhaus.
Es gibt nicht einmal ein Gedenken für die Corona-Opfer