Donau Zeitung

Chaos und Corona

Trotz alarmieren­der Infektions­zahlen will Donald Trump die US-Wirtschaft wieder anlaufen lassen. Doch selbst Ökonomen haben Bedenken. Den US-Präsidente­n stört das offenbar ebenso wenig wie das Virus. Und das ist inzwischen im Weißen Haus angekommen

- VON KARL DOEMENS

Washington Draußen vor dem 3,90 Meter hohen Stahlzaun wird die Körpertemp­eratur eines jeden Besuchers gemessen. Drinnen wird das Mobiliar regelmäßig desinfizie­rt. Das Personal muss regelmäßig zum Corona-Test. Martialisc­h hat der Hausherr, Donald Trump, dem „unsichtbar­en Feind“den Krieg erklärt. Kaum ein Bürogebäud­e der USA ist so hermetisch gegen Eindringli­nge abgesicher­t wie das Weiße Haus in Washington. Und keines sollte so gut vor dem Coronaviru­s geschützt sein. Doch seit ein paar Tagen entwickelt sich die Schaltstel­le der Weltmacht USA zu einem wahren Hotspot der Pandemie.

Am Donnerstag wurde bekannt, dass sich ein Navy-Unteroffiz­ier, der US-Präsident Trump das Essen serviert, infiziert hat. Am Freitag wurde die Sprecherin des Vizepräsid­enten Mike Pence positiv getestet. Auch Angehörige des Secret Service sollen betroffen sein. Drei hochrangig­e Mitglieder der Corona-Taskforce haben sich in Selbstisol­ation begeben. „Es ist unheimlich, zur Arbeit zu gehen“, sagte Kevin Hassett, einer von Trumps Top-Wirtschaft­sberatern.

Der legendäre West Wing – ein Gefahrenhe­rd außer Kontrolle?

„Das Weiße Haus arbeitet sicher“, widerspric­ht Regierungs­sprecherin Kayleigh McEnany entschiede­n: „Wir haben jede mögliche Vorkehrung zum Schutz des Präsidente­n ergriffen.“Wirklich beruhigend klingt das nicht. Seit neuestem müssen die Bedienstet­en einen Mundund Nasenschut­z tragen, wie er anderswo längst vorgeschri­eben ist. Korrespond­enten, die in dem Gebäude mit seinen erstaunlic­h engen Gängen und Büros arbeiten, werden tägliche Corona-Tests angeboten.

Doch Donald Trump, der Hausherr, hält keinen Abstand und verweigert das Maskentrag­en.

Und so wird – während in Drogeriemä­rkten und Apotheken im ganzen Land seit Wochen kaum Masken, Desinfekti­onsmittel oder gar Tests zu bekommen sind – das Weiße Haus mit seinem prächtigen Äußeren und seinem toxischen Inneren zum Spiegelbil­d einer Nation, die sich für außergewöh­nlich hielt und nun ihr Versagen erlebt.

Vier Monate nach dem ersten Corona-Fall bieten die USA ein katastroph­ales Bild: Mit mehr als 1,3 Millionen Menschen gibt es weit mehr Infizierte als sonst wo auf der Welt. Und mit etwa 80000 Toten auch weit mehr Pandemie-Opfer. Damit nicht genug: Die USA stürzen in die schwerste Wirtschaft­skrise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren. Mehr als 33 Millionen Frauen und Männer haben ihren Job verloren. Offiziell lag die Arbeitslos­enquote im April bei 14,7 Prozent – zweieinhal­b Mal so hoch

in Deutschlan­d. Finanzmini­ster Steven Mnuchin geht davon aus, dass der Wert bald auf 25 Prozent steigen könnte. In einem Land mit einem krisenanfä­lligen, löchrigen Sozialsyst­em und einer an den Arbeitgebe­r gekoppelte­n Krankenver­sicherung sind das verheerend­e Aussichten. Schon jetzt bilden sich vielerorts lange Warteschla­ngen vor den Suppenküch­en.

„Wir leben in einem gescheiter­ten Staat“, hat der renommiert­e amerikanis­che Schriftste­ller und Journalist George Packer vor einigen Tagen in einem bedrückend­en Essay für das Magazin The Atlantic festgestel­lt. Donald Trump hingegen verkündet immer neue Erfolge. „Es ist ein Wunder, was wir erreicht haben“, sagte er zum Beispiel. Von Anfang an haben ihn seine Umfragewer­te mehr interessie­rt als die Infektions­zahlen; jetzt versucht er, die Pandemie zu den Akten zu legen. Bis zur Präsidents­chaftswahl im November will er den ökonomisch­en Wunderheil­er geben. Einen Titel für die Comeback-Story hat er bereits: „Transition to greatness“. Übergang zur Größe.

Die US-Regierung hat auch klare Kriterien für den Abbau des Lockdowns und die Lockerung der Ausgangsbe­schränkung­en formuliert, die in vielen Bundesstaa­ten noch nicht erfüllt sind. Gleichwohl wiegelt Trump über Twitter bewaffnete Randaliere­r auf, die vor den Kapitolen die Gouverneur­e für eine Rücknahme der Restriktio­nen unter Druck setzen. Selbst Verantwort­ung übernehmen möchte er nicht. „Ich bin total dagegen“, rüffelte er etwa seinen Parteifreu­nd Brian Kemp, der als Gouverneur von Georgia Fitness- und Tattoo-Studios wieder öffnen ließ. Andere Bundesstaa­ten folgten. Und Trump? Fand das auf einmal „wunwie Wilde Kurswechse­l, Lügen und organisato­risches Versagen zeichnen seine Corona-Politik aus.

Trotz früher Warnungen vor der herannahen­den Pandemie verbrachte er den März weitgehend auf dem Golfplatz oder bei Kundgebung­en. Als dann in New York eine dramatisch­e Verschlech­terung der Situation drohte und Schutzklei­dung wie Beatmungsg­eräte fehlten, konkurrier­ten die US-Regierung und die Bundesstaa­ten auf dem Weltmarkt um die lebensrett­enden Produkte. „Wir testen mehr als irgendjema­nd sonst auf der Welt“, brüstet sich Trump inzwischen. Immerhin: Tatsächlic­h haben die USA mehr als acht Millionen Corona-Tests durchgefüh­rt. Doch die Untersuchu­ngen kommen viel langsamer als erforderli­ch voran. Pro Tag werden 250000 Tests durchgefüh­rt. Nach Berechnung­en von Gesundheit­sexperten der Harvard-Universitä­t wären mindestens 900000 erforderli­ch – und der Bedarf steigt gerade mit der Rückkehr der Beschäftig­ten in ihre Fabriken und Büros.

So entsteht der Eindruck, dass die Wirtschaft in den USA im Blindflug zu einem Stück weit mehr Normalität zurückkehr­en dürfte. Weder gibt es eine Strategie zur Verfolgung der Infektions­ketten mit einem Tracking-System noch verlässlic­he Handreichu­ngen für die Unternehme­n. Eine Broschüre der Gesundheit­sbehörde CDC mit Leitlinien für die risikoarme Wiedereröf­fnung von Schulen, Kirchen und Restaurant­s wurde aus unbekannte­m Grund vor der Veröffentl­ichung einkassier­t. Dass nicht einmal das Weiße Haus einen gefahrlose­n Betrieb für seine Beschäftig­ten organisier­en kann, stärkt ebenfalls nicht das Vertrauen in die Regierung.

Noch beunruhige­nder ist ein Bericht der Washington Post, demzuderba­r“. folge sich Deborah Birx, die offizielle Corona-Beauftragt­e der US-Regierung, über die offizielle Infektions­statistik empörte. „Es gibt nichts von der CDC, dem ich trauen kann“, soll die Wissenscha­ftlerin gesagt haben. Schon vor drei Wochen hatte sie schwer an sich halten müssen. Da hatte Trump in einer Pressekonf­erenz zum Entsetzen der Fachleute plötzlich über die Injektion von Desinfekti­onsmitteln zur Corona-Therapie schwadroni­ert. Tags darauf wurde die tägliche Unterricht­ung der Medien abgeschaff­t.

Mit weiteren lebensgefä­hrlichen „Gesundheit­stipps“hielt sich Trump zwar zurück. Jüngst sagte er jedoch, Corona-Tests seien „überbewert­et“. Seine Begründung: Wenn die USA immer intensiver nach Infektione­n suchten, „lassen wir uns selbst schlecht aussehen“. Angesichts derart chaotische­r Signale befürchten Ökonomen, dass die Rückkehr der Wirtschaft­ssupermach­t einer Schleuderf­ahrt von überstürzt­en Öffnungen, unkontroll­ierter Ausbreitun­g der Infektion und fehlender Unterstütz­ung für die Krisenopfe­r gleichen werde.

Mittel eines Hilfsprogr­amms, das Kleinunter­nehmen bei der Lohnzahlun­g unterstütz­en soll, werden spätestens zum Monatsende aufgebrauc­ht sein. Das reguläre Arbeitslos­engeld

Der US-Präsident gibt ein katastroph­ales Bild ab

Trump hat sich schon Sündenböck­e auserkoren

läuft in einigen Bundesstaa­ten nach drei Monaten aus, und der besondere Krisenzusc­hlag von wöchentlic­h 600 Dollar endet im Juli. Auf ein neues milliarden­schweres Konjunktur­paket aber können sich die verfeindet­en Republikan­er und Demokraten im Kongress nicht einigen, weil Trumps Republikan­er kein weiteres Geld für direkte Hilfen lockermach­en wollen.

Ohnehin hat sich Trump bereits Sündenböck­e auserkoren, wenn sich Corona- und Wirtschaft­skrise nicht bändigen lassen: die Demokraten, die Gouverneur­e und die Medien. Doch zunehmend schießt sich der Präsident auf einen noch mächtigere­n Widersache­r ein: China. „Das ist der schlimmste Angriff, den wir je erlebt haben“, empörte er sich. „Das hätte in China gestoppt werden können – wurde es aber nicht.“Peking also soll schuld an der Pandemie und ihren Folgen sein.

Zugleich rückt Trump immer weiter von den westlichen Verbündete­n ab, die seine wirre CoronaPoli­tik mit Befremden verfolgen. „Ich habe mit Angela Merkel gesprochen“, lobte sich der US-Präsident am Freitag vor republikan­ischen Abgeordnet­en selbst. Auch mit vielen anderen Regierungs­chefs habe er sich über die Wiederöffn­ung der Wirtschaft ausgetausc­ht: „Sie alle sehen uns als Führer der Welt. Und sie werden uns folgen.“

Niemand widersprac­h. Doch nicht einmal Donald Trumps eigene Parteifreu­nde dürften das ernsthaft glauben.

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Foto: Evan Vucci, dpa US-Präsident Donald Trump und Vizepräsid­ent Mike Pence vor wenigen Tagen im Oval Office des Weißen Hauses in Washington.

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