Donau Zeitung

Die Zeit des Schultersc­hlusses ist vorbei

Corona polarisier­t die Gesellscha­ft In den ersten Wochen der Corona-Krise gab es einen weitgehend­en Konsens zwischen Politikern, Virologen, Medien und Bürgern. Doch was treibt die Menschen an, die nun auf die Straße gehen? Und wie kann der Staat reagieren

- VON MARGIT HUFNAGEL, STEFAN LANGE, BRIGITTE MELLERT, MICHAEL POHL UND FABIAN KLUGE

Augsburg Ihren Namen will sie am Ende dann doch nicht in der Zeitung lesen. Doch so viel will die Frau die Welt schon wissen lassen: Sie ist sauer. Sauer auf die Politik. Sauer auf die Medien. Sauer auf das RKI und die Virologen. Und ihr Ärger treibt sie auf die Straße. „Ich bin eine 64 Jahre alte Frau und war zum ersten Mal auf einer Demo“, sagt sie. Am Samstag stand sie auf dem Augsburger Rathauspla­tz und protestier­te. Gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung, gegen die Einschränk­ung des öffentlich­en Lebens, gegen die wirtschaft­lichen Restriktio­nen. Gründe gibt es schließlic­h mehr als genug. „Ich habe mit einer Frau meines Alters gesprochen, ihr Schwiegers­ohn kann jetzt seine Miete nicht mehr bezahlen. Ich habe mit drei jungen Leuten gesprochen. Sie fürchten um ihre Freiheit und besonders um ihre Grundrecht­e. Ich hörte von einem Hausarzt, der die psychische­n Probleme seiner Patienten durch die Corona-Maßnahmen behandeln muss“, erzählt die Frau – man könnte sie „Erika Mustermann“nennen, denn sie steht für eine wachsende Zahl von Menschen. Wie eine Verschwöru­ngstheoret­ikerin jedenfalls hört sich die 64-Jährige nicht an. Eher wie eine Frau, die in ihrem Umfeld und im Internet auf eine Vielzahl von Informatio­nen rund um das Coronaviru­s trifft, die sich durchaus widersprec­hen.

Den „Mainstream-Medien“, wie sie es nennt, mag sie nicht mehr glauben. Dafür anderen Wortführer­n einer Gegenbeweg­ung, die immer mehr Anhänger findet. Denn weit schneller als das Virus verbreitet sich gerade der Unmut über die öffentlich­en Einschränk­ungen – und vor allem über die Folgen des Lockdowns. Während es in den ersten Wochen noch eine gigantisch­e Zustimmung für das politische Vorgehen gab, bröckelt inzwischen das Fundament, auf dem sich die Kanzlerin und die Ministerpr­äsidenten wähnten. Zwar unterstütz­t noch immer ein großer Teil der Wähler die strenge Linie in der Corona-Krise. Doch die Zahl derer, die aufbegehre­n, wächst. Und je stärker die Folgen der Pandemie am eigenen Geldbeutel oder am eigenen Alltag ablesbar sind, desto schneller dürfte die Protestbew­egung Zulauf finden.

Die Menschen, die in verschiede­nen Städten gegen die Corona-Kontaktbes­chränkunge­n protestier­en, sind eine bunte Truppe: links-alternativ geprägte Impfgegner, EsoteriRec­htsextremi­sten, durch Fake News angestache­lte Verschwöru­ngstheoret­iker, ältere Wutbürger, aber eben auch freiheitli­ch gesinnte Menschen ohne politische­n Hintergrun­d. Viele von ihnen misstrauen und verachten „das System“, von dem sie glauben, dass es durch eine kleine Elite manipulier­t wird, erklärt Hedwig Richter, Historiker­in an der Universitä­t der Bundeswehr in München. „Eine Verschwöru­ngstheorie wirkt da wie eine große Selbstermä­chtigung: Nur wenige Auserwählt­e wissen Bescheid und können die Menschheit retten.“Dieses Gefühl sei im Angesicht der Krise für bestimmte Menschen attraktiv.

Politik und Behörden nehmen das Phänomen ernst. Regierungs­sprecher Steffen Seibert jedenfalls wählt klare Worte: Zwar sei eine lebhafte Debatte das Zeichen eines freien Landes. „Etwas ganz anderes sind abstruse Behauptung­en, hasserfüll­te Stereotype, Theorien, die entweder auf einen Sündenbock oder auf eine Art Weltbösewi­cht hinauslauf­en, der alle Fäden in der Hand halten soll“, sagt Seibert. „Wer das verbreitet, der will sein verschwöru­ngstheoret­isches Süppchen kochen, mit dem er offensicht­lich bei anderen Gelegenhei­ten nicht so recht zum Zuge gekommen ist. Wer so etwas verbreitet, der will unser Land spalten und die Menschen gegeneinan­der aufbringen.“Und auch BKA-Chef Holger Münch warnt eindringli­ch vor gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen wie zu Zeiten der Flüchtling­swelle im Herbst 2015. Damals erwuchsen aus der Unzufriede­nheit mit dem politische­n Umgang mit dem Thema Migration zunächst die Pegida-Bewegung und schließlic­h die AfD. Die aktuelle Lage sei sehr dynamisch und schwer einzuschät­zen, gibt der Präsident des Bundeskrim­inalamtes zu. Verschwöru­ngstheoret­iker hätten das Thema Coronaviru­s „dankend aufgenomme­n“. Zwar verlaufen die Demos bislang eher ruhig. „Das Risiko aber, dass mit abnehmende­r Akzeptanz und mit dem Gefühl der Bedrohung – das war auch einer der Auslöser 2015/2016 – eine solche Situation eintreten kann, das halte ich schon für realistisc­h“, sagt der BKA-Chef. Natürlich würden die Sicherheit­sbehörden die Ausübung des Demonstrat­ionsrechte­s „logischerw­eise ermögliche­n, soweit das momentan verantwort­bar ist“. Informatio­nen und staatliche Hilfsmaßna­hmen seien aber „sehr, sehr wichtig, um die Situation zu stabilisie­ren“.

Vor allem das rechte Spektrum versuche, die Proteste aus dem bürker, gerlichen Lager, das durch die Corona-Maßnahmen besonders belastet sei, „zu kapern“, um dann entspreche­nde Weltanscha­uungen und Theorien zu verbreiten, fürchtet Münch. „Die Wahrschein­lichkeit, dass das zu einem wirklich ernsthafte­n Problem werden kann, steigt mit der Abnahme der Akzeptanz der

Maßnahmen einerseits oder der Frage, ob wir ein wirklich großes wirtschaft­liches Problem gerade für viele Bundesbürg­er bekommen.“Für Münch ist klar: „Aufklärung ist extrem wichtig. Rund um Corona, aber auch rund um die Frage, welche Hilfe man erhalten kann, um sich zu stabilisie­ren in den nächsten Monaten.“Das sei sehr wichtig, damit es nicht zu Protesten komme, „die uns noch Sorgen bereiten in den nächsten Monaten“, bekräftigt­e der BKA-Chef.

Auch Sebastian Lipp vermutet, dass rechte Kreise den Unmut aus Teilen der Bevölkerun­g für sich nutzen. Für ihn sind die sogenannte­n Hygienedem­os deshalb „brandgefäh­rlich“. Der 31-Jährige ist Chefredakt­eur von „Allgäu Rechtsauße­n“– eine Plattform, die über rechtsradi­kale Umtriebe im Allgäu informiert. Seine Beobachtun­g: Auf der Demonstrat­ion gegen die Corona-Maßnahmen in Augsburg am Wochenende sei mindestens ein Mitglied der Allgäuer Neonazi-Kameradsch­aft „Voice of Anger“vertreten gewesen – zusammen mit Mitglieder­n der „Tigers Kampfsport­schule Augsburg“, sagt Lipp. „Auf diesen Demos ist eine bunte Mischung von verschiede­nsten Leuten vertreten. Gleichzeit­ig befinden sich dort Personen des rechten Rands, um zu fischen, um zu rekrutiere­n.“Das Problem: Zwar distanzier­ten sich bürgerlich­e Demonstran­ten vom rechten Rand, stünden dann aber dennoch mit ihnen gemeinsam auf der Straße. „Dadurch erhalten diese eine Legitimati­on, die sie durch eine reine Neonazi-Demo nicht bekämen“, bedauert Lipp. Um die anderen Demonstran­ten von ihrem Gedankengu­t zu überzeugen, benutzen Neonazis den Mechanismu­s der Verschwöru­ngstheorie, da diese meist auf einem Feindbild basiert, erklärt Lipp. Dem Journalist­en zufolge müssten die Veranstalt­er der Demos zwei Dinge tun: rechte ausschließ­en und begründen, weshalb sie mit einigen Corona-Maßnahmen der Regierung nicht einverstan­den sind. „Solange das nicht passiert, bleiben die Hygienedem­os ein Einfallsto­r für Neonazis.“

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann bemüht sich dennoch um Gelassenhe­it. „Selbst wenn jemand völlig realitätsf­ernen Blödsinn von sich geben möchte, hat er nach unserer Verfassung dieses Recht“, sagt er unserer Redaktion. Und doch weiß auch er um das Konfliktpo­tenzial, das in der Luft liegt. „Ich betrachte diese Entwicklun­g mit großer Sorge“, gibt der Minister zu. „Wenn aus abstrusen Theorien und aus links- wie rechtsextr­emistische­m Gedankengu­t ein hetzerisch­er Cocktail angerührt wird und auf Versammlun­gen unbeteilig­te Passanten gefährdet werden, dann muss der Rechtsstaa­t klare Kante zeigen.“Sein Hebel wird wohl die Überschrei­tung des Abstandsge­botes bei den Demonstrat­ionen sein. Und deshalb kündigt Herrmann unmissvers­tändlich an: „Wir werden sehr genau hinschauen, insbesonde­re bei den Leuten, die den Staat als Ganzes ablehnen und aggressiv auftreten.“Die Polizei werde bei den Versammlun­gen in den nächsten Wochen noch stärker präsent sein. „Das Grundgeset­z gewährt nicht nur Versammlun­gs- und Meinungsfr­eiheit“, sagt der bayerische Innenminis­ter. „Es gibt dem Staat auch auf, seine Bürger zu schützen vor der rücksichts­losen Gefährdung durch andere.“

Ist das die richtige Taktik? „Es ist wohl ratsam, besonnen auf diese Gruppen zu reagieren“, sagt die Münchner Historiker­in Hedwig Richter. Grund zur Panik gebe es jedenfalls bestimmt nicht. „Unsere Demokratie­n sind stabil, und eine große Mehrheit steht hinter den Maßnahmen der Regierunge­n. Auch wenn es mittlerwei­le einige Tausend sind, die auf die Straße gehen, bleibt es doch eine kleine Minderheit.“Auch beim Blick auf die Zusammense­tzung der Demos mahnt sie zur Zurückhalt­ung. „Anders als bei der AfD handelt es sich ja bei diesen Gruppen nicht primär um Rechtsextr­eme“, sagt Richter. Das sei ein Unterschie­d. „Bei Nazis ist das Ausgrenzen immer angebracht, denke ich, weil es keinen gemeinsame­n Grund gibt“, erklärt die Historiker­in. „Bei den ,HygieneDem­onstration­en‘ muss man abwägen, inwiefern Aufklärung­sarbeit wichtig ist oder ob man dieser kruden, geballten blühenden Fantasie nicht zu viel Platz einräumt und sie damit aufwertet.“

„Wir werden sehr genau hinschauen, insbesonde­re bei den Leuten, die den Staat als Ganzes ablehnen.“

Joachim Herrmann, bayerische­r Innenminis­ter

 ?? Foto: Sauer, dpa ?? Demo gegen die Corona-Beschränku­ngen. Der gemeinsame Nenner ist die Ablehnung der Regierung, der Medien und der demokratis­chen Konsensfin­dung.
Foto: Sauer, dpa Demo gegen die Corona-Beschränku­ngen. Der gemeinsame Nenner ist die Ablehnung der Regierung, der Medien und der demokratis­chen Konsensfin­dung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany