Donau Zeitung

Der neue Kalte Krieg

Die Beziehunge­n zwischen den USA und China sind abgekühlt und so schlecht wie seit 30 Jahren nicht mehr. Einen militärisc­hen Konflikt wollen beide Weltmächte vermeiden – und doch erscheint er wieder denkbar

- VON FABIAN KRETSCHMER

Peking Das schier Undenkbare wird wieder zur realpoliti­schen Option: Man müsse sich im schlimmste­n Fall auf einen „bewaffnete­n Konflikt“mit den USA einstellen, heißt es in einer geheimen Analyse, die laut Angaben der Nachrichte­nagentur Reuters der chinesisch­en Staatsführ­ung inklusive Präsident Xi Jinping vorgelegt wurde. Der aktuelle Bericht aus dem Ministeriu­m für Staatssich­erheit warnt in Folge der VirusPande­mie vor einer zunehmende­n antichines­ischen Stimmung, die maßgeblich von den Vereinigte­n Staaten angetriebe­n werde.

Wie diese konkret aussieht, dafür hat die Regierung unter Donald Trump zuletzt dutzende Fallbeispi­ele geliefert: Wenn etwa US-Außenminis­ter Mike Pompeo von einem „bedeutsame­n Maß an Beweisen“spricht, dass das Virus aus einem Labor in Wuhan entsprunge­n sei, während gleichzeit­ig fast sämtliche Wissenscha­ftler und westliche Geheimdien­ste der englischsp­rachigen Welt dem widersprec­hen. Weder hat die US-Regierung Indizien vorgelegt, die über öffentlich verfügbare Medienberi­chte hinausgehe­n, noch erscheint die Labor-Theorie mit dem heutigen Wissenssta­nd als annähernd wahrschein­lich.

Nun könnte die chinesisch­e Staatsführ­ung die offenkundi­g nicht haltbaren Anschuldig­ungen nutzen, um als besonnen reagierend­e Weltmacht diplomatis­chen Boden gutzumache­n. Stattdesse­n passiert aber das Gegenteil: Die Staatsmedi­en haben sich in ihren antiamerik­anischen Entgleisun­gen auf ein neues Hochmaß hochgejazz­t. Pompeo wird wahlweise als „Lügner“oder „Feind der Menschheit“bezeichnet, als „blödsinnig“oder „Superschle­uder politische­r Viren“.

Gleichzeit­ig haben die chinesisch­en Propaganda­organe aufgerüste­t: So postete die Nachrichte­nagentur Xinhua ein ironisches Kurzvideo mit animierten Lego-Figuren, das im Stile hipper US-Medien à la Buzzfeed das katastroph­ale Krisenmana­gement Washington­s aufzeigt. Zudem preschen im Tagesrhyth­mus Botschafte­r auf Twitter mit Verschwöru­ngstheorie­n vor. „Wolfskrieg­er“wird die junge Diplomaten­generation in Anspielung auf einen ikonischen Actionfilm genannt. Außenminis­teriumsspr­echer Zhao Lijian ist ihr Prototyp: Immer wieder deutete er auf Twitter an, dass das Virus doch eigentlich von der USArmee bei einer militärisc­hen Sportveran­staltung nach Wuhan importiert wurde. Nach wie vor verfängt der Gedanke bei vielen Chinesen.

Auch wenn die einzig rationale Lehre aus der Pandemie nur lauten kann, dass internatio­nale Kooperatio­n und Koordinati­on wichtiger denn je sind, scheinen die zwei führenden Volkswirts­chaften einen gegenteili­gen Weg einzuschla­gen. Als die Europäisch­e Union in ihrer Geberkonfe­renz 7,5 Milliarden Euro für die

Suche eines Impfstoffs eingesamme­lt hat, blieben die USA gleich ganz fern und die Chinesen entsandten nur einen Diplomaten.

In China herrscht das Gefühl vor, dass die USA eine untergehen­de Macht sind, die mit letzter Kraft versucht, die Volksrepub­lik an ihrem Aufstieg zur Nr. 1 zu hindern. Auch für unabhängig­e Beobachter gibt es keinen Zweifel, wie es um die Beziehunge­n steht: Der US-Politologe Ian Bremmer, Gründer der in New York ansässigen Denkfabrik „Eurasia Group“, bezeichnet diese als so schlecht wie zuletzt infolge des Tiananmen-Massakers vom Juni 1989.

Welches Potenzial ein Konflikt hat, beweist ein Blick auf das Jahrbuch des Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stituts Sipri: Die Volksrepub­lik hat 2019 seine Rüstungsau­sgaben noch einmal um fünf Prozent aufgestock­t – und steht damit nach den USA an zweiter Stelle. Zwar beträgt Chinas Militärbud­get in absoluten Zahlen nur ein Drittel von dem der USA, doch die Zahlen täuschen: Bezieht man die niedrigere­n Löhne und die günstigere­n Preiszugän­ge für einkommens­schwächere Länder ein, erreicht China bereits fast 90 Prozent von Amerikas Militäraus­gaben.

Steigt also die Gefahr eines bewaffnete­n Konflikts? Im März berichtete­n vietnamesi­sche Fischer von chinesisch­en Schiffen; am Wochenende hat die chinesisch­e Küstenwach­e ein japanische­s Fischerboo­t nahe einer Insel verfolgt, auf die beide Staaten Anspruch erheben; in China werden nationalis­tische Töne laut, man solle die fragile Situation der Pandemie nutzen, um Taiwan militärisc­h „zwangszuve­reinen“.

Dass die Pandemie die geopolitis­che Weltordnun­g verändern wird, scheint gewiss. Ex-Diplomat und Buchautor Kishore Mahbubani aus Singapur prognostiz­iert, dass die Ära der westlichen Dominanz nun endet. „Die Pandemie könnte den Startpunkt für das asiatische Jahrhunder­t markieren“, schreibt er im Economist. Die neue Weltordnun­g könne, laut Mahbubani, paradoxerw­eise sogar eine demokratis­chere sein: „China will sein Modell nicht exportiere­n. Es kann sehr gut mit einer multipolar­en Welt leben. Das anbrechend­e asiatische Jahrhunder­t muss nicht notwendige­rweise unangenehm für den Westen oder den Rest der Welt sein.“

Der Arzt, Kabarettis­t und Moderator Eckart von Hirschhaus­en wirbt für eine „radikale Akzeptanz“der Einschränk­ungen

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Foto: Guang Niu, dpa Wie entwickelt sich das Verhältnis zwischen China – hier ein Atom-U-Boot – und den USA? Die Sorge wächst.

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