Der neue Kalte Krieg
Die Beziehungen zwischen den USA und China sind abgekühlt und so schlecht wie seit 30 Jahren nicht mehr. Einen militärischen Konflikt wollen beide Weltmächte vermeiden – und doch erscheint er wieder denkbar
Peking Das schier Undenkbare wird wieder zur realpolitischen Option: Man müsse sich im schlimmsten Fall auf einen „bewaffneten Konflikt“mit den USA einstellen, heißt es in einer geheimen Analyse, die laut Angaben der Nachrichtenagentur Reuters der chinesischen Staatsführung inklusive Präsident Xi Jinping vorgelegt wurde. Der aktuelle Bericht aus dem Ministerium für Staatssicherheit warnt in Folge der VirusPandemie vor einer zunehmenden antichinesischen Stimmung, die maßgeblich von den Vereinigten Staaten angetrieben werde.
Wie diese konkret aussieht, dafür hat die Regierung unter Donald Trump zuletzt dutzende Fallbeispiele geliefert: Wenn etwa US-Außenminister Mike Pompeo von einem „bedeutsamen Maß an Beweisen“spricht, dass das Virus aus einem Labor in Wuhan entsprungen sei, während gleichzeitig fast sämtliche Wissenschaftler und westliche Geheimdienste der englischsprachigen Welt dem widersprechen. Weder hat die US-Regierung Indizien vorgelegt, die über öffentlich verfügbare Medienberichte hinausgehen, noch erscheint die Labor-Theorie mit dem heutigen Wissensstand als annähernd wahrscheinlich.
Nun könnte die chinesische Staatsführung die offenkundig nicht haltbaren Anschuldigungen nutzen, um als besonnen reagierende Weltmacht diplomatischen Boden gutzumachen. Stattdessen passiert aber das Gegenteil: Die Staatsmedien haben sich in ihren antiamerikanischen Entgleisungen auf ein neues Hochmaß hochgejazzt. Pompeo wird wahlweise als „Lügner“oder „Feind der Menschheit“bezeichnet, als „blödsinnig“oder „Superschleuder politischer Viren“.
Gleichzeitig haben die chinesischen Propagandaorgane aufgerüstet: So postete die Nachrichtenagentur Xinhua ein ironisches Kurzvideo mit animierten Lego-Figuren, das im Stile hipper US-Medien à la Buzzfeed das katastrophale Krisenmanagement Washingtons aufzeigt. Zudem preschen im Tagesrhythmus Botschafter auf Twitter mit Verschwörungstheorien vor. „Wolfskrieger“wird die junge Diplomatengeneration in Anspielung auf einen ikonischen Actionfilm genannt. Außenministeriumssprecher Zhao Lijian ist ihr Prototyp: Immer wieder deutete er auf Twitter an, dass das Virus doch eigentlich von der USArmee bei einer militärischen Sportveranstaltung nach Wuhan importiert wurde. Nach wie vor verfängt der Gedanke bei vielen Chinesen.
Auch wenn die einzig rationale Lehre aus der Pandemie nur lauten kann, dass internationale Kooperation und Koordination wichtiger denn je sind, scheinen die zwei führenden Volkswirtschaften einen gegenteiligen Weg einzuschlagen. Als die Europäische Union in ihrer Geberkonferenz 7,5 Milliarden Euro für die
Suche eines Impfstoffs eingesammelt hat, blieben die USA gleich ganz fern und die Chinesen entsandten nur einen Diplomaten.
In China herrscht das Gefühl vor, dass die USA eine untergehende Macht sind, die mit letzter Kraft versucht, die Volksrepublik an ihrem Aufstieg zur Nr. 1 zu hindern. Auch für unabhängige Beobachter gibt es keinen Zweifel, wie es um die Beziehungen steht: Der US-Politologe Ian Bremmer, Gründer der in New York ansässigen Denkfabrik „Eurasia Group“, bezeichnet diese als so schlecht wie zuletzt infolge des Tiananmen-Massakers vom Juni 1989.
Welches Potenzial ein Konflikt hat, beweist ein Blick auf das Jahrbuch des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri: Die Volksrepublik hat 2019 seine Rüstungsausgaben noch einmal um fünf Prozent aufgestockt – und steht damit nach den USA an zweiter Stelle. Zwar beträgt Chinas Militärbudget in absoluten Zahlen nur ein Drittel von dem der USA, doch die Zahlen täuschen: Bezieht man die niedrigeren Löhne und die günstigeren Preiszugänge für einkommensschwächere Länder ein, erreicht China bereits fast 90 Prozent von Amerikas Militärausgaben.
Steigt also die Gefahr eines bewaffneten Konflikts? Im März berichteten vietnamesische Fischer von chinesischen Schiffen; am Wochenende hat die chinesische Küstenwache ein japanisches Fischerboot nahe einer Insel verfolgt, auf die beide Staaten Anspruch erheben; in China werden nationalistische Töne laut, man solle die fragile Situation der Pandemie nutzen, um Taiwan militärisch „zwangszuvereinen“.
Dass die Pandemie die geopolitische Weltordnung verändern wird, scheint gewiss. Ex-Diplomat und Buchautor Kishore Mahbubani aus Singapur prognostiziert, dass die Ära der westlichen Dominanz nun endet. „Die Pandemie könnte den Startpunkt für das asiatische Jahrhundert markieren“, schreibt er im Economist. Die neue Weltordnung könne, laut Mahbubani, paradoxerweise sogar eine demokratischere sein: „China will sein Modell nicht exportieren. Es kann sehr gut mit einer multipolaren Welt leben. Das anbrechende asiatische Jahrhundert muss nicht notwendigerweise unangenehm für den Westen oder den Rest der Welt sein.“
Der Arzt, Kabarettist und Moderator Eckart von Hirschhausen wirbt für eine „radikale Akzeptanz“der Einschränkungen