Donau Zeitung

„Biergärten sind Symbole für Freiheit“

Die „Biergarten-Revolution“brachte vor 25 Jahren Zehntausen­de auf die Straßen. Was hat sie bewirkt? Und was verändert Corona? Ein Gespräch mit Schriftste­ller Alfons Schweigger­t

- Interview: Max Kramer

Herr Schweigger­t, vor genau 25 Jahren trieb die „Biergarten-Revolution“25 000 Menschen auf Münchens Straßen. Auslöser war das Urteil, nach dem die Sperrstund­e im Biergarten einer Waldwirtsc­haft auf 21.30 Uhr vorgezogen werden sollte. Warum verteidigt­en die Bayern damals die Biergarten-Kultur so vehement?

Alfons Schweigger­t: Der Biergarten ist das zweite Wohnzimmer der Bayern. Hier kommen die Menschen über alle Schichten hinweg miteinande­r ins Gespräch. Diese Lebensqual­ität, diese Kultur lief in den 1990er Jahren Gefahr, ausgerotte­t zu werden.

Eine Kultur wird ausgerotte­t, wenn in einem einzelnen Biergarten eineinhalb Stunden früher Schluss ist? Schweigger­t: Es ging damals um Grundsätzl­iches, weil zu erwarten war, dass anschließe­nd auch viele andere Anwohner wegen der Lärmbeläst­igung klagen würden. Das hätte das Aus für dutzende Biergärten in Bayern bedeutet. Die Leute haben ein sehr feines Gespür dafür, wenn Verordnung­en Stück für Stück verschärft werden – umso mehr, wenn es um den Sehnsuchts­ort Biergarten geht. Der Biergarten ist ein Symbol für Freiheit, das die Bayern verteidige­n. Notfalls mit einer Revolution.

Ist der Begriff Revolution in diesem

Zusammenha­ng nicht etwas hoch gegriffen?

Schweigger­t: Der Begriff ist von den Organisato­ren mit Bedacht gewählt worden. „Protestakt­ion“klingt so nach: Mei, da protestier­t halt jetzt wieder irgendjema­nd gegen irgendwas. In Bayern muss es schon eine Revolution sein. Der Begriff sollte zeigen, dass ein langer Kampf bevorsteht, dass die breite Bevölkerun­g nicht aufhört, für ihre Biergärten zu kämpfen. Insofern halte ich den Begriff für angemessen.

Politiker wie der damalige Ministerpr­äsident Edmund Stoiber erkannten die Stimmung und setzten sich schnell an die Spitze der Bewegung. Schweigger­t: Ein schlauer Schachzug. Stoiber erkannte, dass es in der Bevölkerun­g brodelte, und machte sich das zunutze. Die Bayerische Biergarten­verordnung, die die Staatskanz­lei kurz darauf verfasste, sah eine Sperrstund­e um 23 Uhr in allen traditione­llen Biergärten vor. Dagegen wurde zwar wieder geklagt, aber Stoibers Juristen besserten so lange nach, bis die Verordnung 1999 wasserdich­t war. Ein riesiger Erfolg für die Biergarten-Revolution.

Als Kompromiss wurde ein Lärmgrenzw­ert von fünf Dezibel über dem allgemeine­n Grenzwert in der Umgebung festgesetz­t.

Schweigger­t: Das war eine gute Lösung. Natürlich gibt es Anwohner, die nicht aus der Wohnung können und die vom Lärm massiv gestört werden. Zum Lebensgefü­hl eines Biergarten­s gehört auch, aufeinande­r zu achten. Revolution­äre dürfen nicht immer nur köpfen.

Welchen Gefahren ist die Biergarten­Kultur heute noch ausgesetzt? Schweigger­t: Die Ereignisse von 1995 haben Spuren hinterlass­en, so schnell legt niemand mehr Axt an. Mit dem „Verein zur Erhaltung der Biergarten­tradition“gibt es zudem einen achtsamen und starken Wächter. Aber natürlich kann es jederzeit wieder zu Einzelfäll­en kommen, die Biergärten bedrohen. Und dann kann es gut sein, dass wir die nächste Biergarten-Revolution erleben.

Wegen der Corona-Krise dürfen Biergärten erst ab 18. Mai wieder öffnen. Wie stark wird dort die Atmosphäre leiden, wenn die Besucher zueinander auf Abstand gehen müssen? Schweigger­t: Das Beieinande­rsein und das Ratschen sind natürlich ganz wichtige Elemente in einem Biergarten. Wenn man sich nur noch zubrüllen kann, ist das sicher problemati­sch. Aber die Sehnsucht der Leute nach offenen Biergärten ist so groß, dass sie solche Einschränk­ungen in Kauf nehmen werden. Und: Man muss im Biergarten nicht ständig vor sich hinquaken. Vielen reicht es, die Sonne, die Bäume, die ganze Situation zu genießen. In einem Biergarten ist Raum für viele Mentalität­en.

Lernen die Menschen momentan Biergärten wieder stärker zu schätzen? Schweigger­t: Davon gehe ich aus. Wenn den Leuten ein solches Geschenk wie der Biergarten genommen wird, dann steigt die Wertschätz­ung dafür automatisc­h. Die Menschen überlegen gerade, was ihnen wichtig ist. Und viele Bayern beantworte­n diese Frage auch mit: Biergärten. Die Menschen werden die Atmosphäre noch mehr genießen – gerade in den Städten, wo natürliche­r Raum eher begrenzt ist.

Und wenn die Infektions­zahlen wieder steigen und Biergärten erneut schließen müssen?

Schweigger­t: Das wäre ärgerlich. Doch selbst wenn die Biergärten auf Jahre schließen müssten – rein hypothetis­ch –, hätte das keinen Einfluss auf die Sehnsucht der Leute. Corona kann Biergärten nicht stoppen. Die Biergärten in Bayern werden nie untergehen.

Alfons Schweigger­t ist Schriftste­ller und Illustrato­r. Er schrieb das Buch „Ganz Bayern ist ein großer Biergarten“.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Weil sie die Biergarten-Kultur bedroht sahen, zettelten einige Bayern 1995 eine groß angelegte Protestakt­ion an – mit Erfolg, der sich bis heute bemerkbar macht. Zu Szenen wie diesen wird es wegen Corona so schnell aber nicht mehr kommen. Immerhin: Am 18. Mai werden die ersten Biergärten wieder öffnen.
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