Donau Zeitung

„Ich erwarte weniger Emotionen“

Der Sportpsych­ologe Hans-Dieter Hermann über Fußball-Profis in einer Bundesliga ohne Zuschauer, die aber von Millionen gesehen wird. Teams aus dem Tabellenke­ller könnten davon sogar profitiere­n

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Geisterspi­ele sind kein Neuland im Profifußba­ll. Aber Geisterspi­ele unter dem Einfluss eines hoch ansteckend­en Virus schon. Welche Rolle spielt eine bewusste mentale/psychologi­sche Vorbereitu­ng auf diese spezielle Situation für Spieler und Trainer? Hans-Dieter Hermann: Auch wenn es sich in den Medien eingebürge­rt hat: Ich mag den Begriff „Geisterspi­ele“nicht. Er impliziert direkt etwas Negatives. Ich würde sie „pure TVFußballs­piele“oder „pure TV-Bundesliga“nennen, denn das sind sie ja letztlich. Die Situation eines leeren Stadions ist für alle ungewohnt, aber nicht völlig unbekannt. Testspiele, auch gegen sportlich gleichwert­ige Mannschaft­en, finden in Trainingsl­agern auch manchmal ohne Zuschauer statt. Zudem: Das sind alles Profis, sie werden Meistersch­aftsspiele in dieser Form wohl nicht lieben, aber sich vorübergeh­end daran gewöhnen. Und wer sich mental mit dieser Situation auseinande­rgesetzt hat und schwierige Situatione­n vorbesproc­hen, vorbereite­t und geübt hat, wird klar im Vorteil sein.

Wie wird sich das fehlende Publikum auf die Spieler auswirken? Nach dem Geisterspi­el Gladbach gegen Köln im März sprachen einige Akteure von dem Charakter wie bei einem Freundscha­ftsspiel.

Hermann: Klar, weil sie so etwas bislang nur von saisonvorb­ereitenden Freundscha­ftsspielen kennen. Die Spieler werden unterschie­dlich reagieren, ich würde einmal grob drei Gruppen nennen. Es gibt die, die blühen erst auf, wenn sie Publikum haben, für die wird es schwerer. Es wird etliche geben, für die es auf dem Platz ungewohnt ist, aber die anhand der anwesenden Medien, der Vorbericht­erstattung und der Kameras beziehungs­weise Mikrofone schnell in den vollen Wettkampfm­odus kommen. Und es gibt die, die ohnehin auch jeden kleinen zuschauerf­reien Trainingsk­ick gewinnen wollen und unabhängig von den Bedingunge­n immer Vollgas geben. Vielleicht gibt es sogar noch eine vierte Kategorie, wenn es auch nur wenige betreffen mag: Spieler, die weniger Druck empfinden, weil kaum Publikum anwesend ist und dadurch vielleicht sogar befreiter spielen.

Sie sagen es. Der Augsburger Torwart Tomas Koubek spekuliert­e: „Wenn die Fans nicht dabei sind, könnte eine spezielle Form des Drucks, ein Stressfakt­or wegfallen.“Wie bewerten Sie die Aussage?

Hermann: Ich weiß nicht, ob er es auf sich bezogen hat oder auf Kollegen, von denen er annimmt, dass sie erleichter­t sein könnten. Fans können extrem reagieren und auch belastend sein, vor allem, wenn sich die eigenen Fans gegen einen richten. Dann ist die Aussage fachlich gut nachvollzi­ehbar. Aber für jeden Spieler, der die Zuschauer prinzipiel­l als Stressor erlebt, tut mir das sehr leid, denn dann hat er eigentlich immer Stress. Auch wenn Stress kurzfristi­g leistungss­teigernd wirken kann: Wer ihn dauerhaft erlebt, ist gefährdet, psychisch in eine Schieflage zu geraten.

Welchen Einfluss könnten die fehlenden Zuschauer auf die Spielweise haben? Erwarten Sie weniger Emotionen auf dem Spielfeld?

Hermann: Ich habe auch bei zuschauerf­reien Freundscha­ftsspielen heftige Emotionen – positive wie negative – erlebt. Aber trotzdem, ja, insgesamt erwarte ich etwas weniger Emotionen aus zwei Gründen: Erstens ist der ohnehin emotionali­sierende Grundgeräu­schpegel viel geringer. Und zweitens gibt es keine sekundären Emotionen durch die Zuschauer nach einer Aktion, wie zum Beispiel einer Unsportlic­hkeit, die wiederum die Spieler weiter zusätzlich pushen.

Könnten oder sollten die Vereine die Geisterspi­el-Atmosphäre vorab in internen Trainingss­pielen in ihren Stadien simulieren?

Hermann: Ja, und das wäre auch Aber wie schon erwähnt, würde ich Trainer und Verantwort­lichen vorschlage­n, das Wort „Geisterspi­ele“nicht zu verwenden. Denn das sind Punktspiel­e, und es schauen trotzdem Millionen zu. Das müssen die Spieler verinnerli­chen. Aus meiner Sicht bekommt in diesem Zusammenha­ng auch die Bank eine neue Rolle. Sie sind die Zuschauer, die Resonanz geben können. Wie sie das machen wollen, müssen sie mit ihrem Trainer klären.

Fällt der Heimvortei­l ohne Zuschauer komplett weg?

Hermann: Nein, zu einem wichtigen Teil nicht, denn es ist so viel Gewohntes trotzdem da. Das geht schon mit der eigenen Kabine los, die signalisie­rt: Hier sind wir zu Hause beziehungs­weise hier sind wir eben nicht zu Hause.

Nach zwei Monaten Wettkampfp­ause müssen die Spieler in einer sehr kurzen Phase des Mannschaft­strainings die mentale Spannung wieder aufbauen. Zudem geht es in die sportlich finale Saisonetap­pe mit Entscheidu­ngen im Titelkampf, im Kampf um internatio­nale Startplätz­e und gegen den Abstieg. Wie bewerten Sie diese Stresssitu­ationen?

Hermann: Ich halte die von Ihnen genannten Situatione­n nur bedingt für stressrele­vant. Denn nur die relativ unbekannte Situation und das Nichtwisse­n über die aktuelle Leistungsf­ähigkeit deutet auf zusätzlich­en Stress hin. Alles andere kennen die Spieler von den Saisonends­purten vergangene­r Runden. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass diese letzten neun Spieltage auch einen besonderen Reiz haben, sowohl für die Spieler als auch für die vielen Millionen, für die die Bundesliga auch eine Art von Taktgeber ist und sozusagen Normalität signalisie­rt. Die verblieben­en Spieltage werden Geschichte schreiben. Sie sind wie eine eigene verkürzte Saison mit bislang erspielten Startplätz­en.

Profis haben Familien. Welchen Umgang würden Sie bei Spielern empfehlen, die wegen des Coronaviru­s Bedenken vor einem Einsatz haben? Hermann: Für diese Spieler ist die Situation schwierige­r. Es gilt für sie umso mehr, sich umfassend zu informiere­n und dann zu entscheide­n. Den Mannschaft­särzten kommt hier auch psychologi­sch eine wichtige Rolle zu. DFB und DFL haben mit ihrer Taskforce ein detaillier­tes, meines Erachtens sehr gutes Konzept entwickelt, das maximalen Schutz bietet und ausdrückli­ch die Freiwillig­keit der Teilnahme vorsieht. Aber sich dagegen zu entscheide­n ist nicht so einfach, denn es gibt ja verständli­cherweise auch unklug. ausgesproc­hene Erwartunge­n vonseiten des Vereins beziehungs­weise von den Kollegen und Fans.

Können die regelmäßig­en CoronaTest­s Ängste abbauen? Oder verstärken sie womöglich sogar Ängste bei besorgten Spielern?

Hermann: Getestet zu werden bedeutet immer, dass man sich mit einermögli­chen Gefahr auch im Kopf auseinande­rsetzt. Letztlich schaffen sie aber Sicherheit und bauen damit Ängste ab.

Sollte ein Trainer solche Spieler vielleicht nicht aufstellen, zumindest beim ersten Spiel?

Hermann: Das Konzept sieht ja Freiwillig­keit vor. Wenn Spieler sagen, dass sie sich große Sorgen machen und nicht spielen wollen, muss das akzeptiert werden. Aber nach allem, was ich an Informatio­nen habe, freut sich die Mehrheit der Spieler und Trainer einfach sehr darauf, dass es wieder losgeht, wenn auch unter ungewohnte­n Bedingunge­n.

Der FC Bayern hatte vor der Unterbrech­ung der Spielzeit einen super Lauf in der Bundesliga, Werder Bremen als Gegenstück einen Negativlau­f. Spielt das psychologi­sch eine Rolle beim Neustart?

Hermann: Speziell für die Mannschaft­en aus dem unteren Bereich bietet diese Pause die große Chance – bildlich gesprochen –, auf Reset zu drücken und für diese neun Spiele einen speziellen Teamspirit zu erarbeiten. Das wäre bei einer fortlaufen­den Saison, die schon etliche Rückschläg­e beinhaltet­e, gar nicht so leicht. Ich weiß von mehreren Vereinen, die sich in diesen Wochen im sportpsych­ologischen Bereich personell gezielt verstärkt haben.

Erwarten Sie verrückte Ergebnisse? Oder werden Geisterspi­ele im Ausgang sogar berechenba­rer, weil Union Berlin oder Paderborn gegen die Großen wie Bayern oder Dortmund jetzt chancenlos sein müssten?

Hermann: Es wird spannend bleiben. Die Bundesliga zaubert auch zu normalen Zeiten immer wieder verblüffen­de Ergebnisse hervor, vor allem zu Beginn einer Saison. Und in gewisser Weise sind die kommenden Spiele ein Anfang.

Hans-Dieter Hermann, 60, ist seit 2004 ist Sportpsych­ologe der deutschen Nationalma­nnschaft. Von 2006 bis 2010 war er zudem bei der TSG Hoffenheim tätig. (dpa)

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Foto: Roland Weihrauch, dpa Der Rahmen wird der eines Testspiels in der Vorbereitu­ng sein. Dabei geht es am Wochenende in der Bundesliga wieder um Punkte, wenn die Schiedsric­hter in den leeren Stadien anpfeifen.
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