Donau Zeitung

„Westliche Dominanz ist eine Anomalie“

Der asiatische Politik-Experte Mahbubani über die Arroganz der USA, Fehler der Regierung in Peking und welchen Weg China in Richtung Demokratie nehmen könnte

- Interview: Fabian Kretschmer

Herr Mahbubani, die Corona-Pandemie hat kein anderes Land stärker getroffen als die USA – Chinas Erzrivalen. Wird die Volksrepub­lik zum Krisengewi­nner?

Kishore Mahbubani: Ich wäre zum jetzigen Stand sehr vorsichtig, denn der Kampf gegen Covid-19 ist noch lange nicht vorbei. Bislang scheint es so, dass China den Virusausbr­uch wesentlich besser gehandhabt hat. Aber wenn morgen eine US-Universitä­t mit einem Wunderimpf­mittel um die Ecke kommen sollte, würde die ganze Welt Amerika applaudier­en. Lassen Sie uns abwarten.

Dennoch sprechen Sie vom Wechsel weg von der westlichen Dominanz hin zum asiatische­n Jahrhunder­t. Hat die Pandemie diesen Prozess beschleuni­gt? Mahbubani: Die Beschleuni­gung fand doch bereits vor Covid-19 statt. Sehen Sie: Bis zum Jahr 1820 waren die größten Volkswirts­chaften der Welt stets China und Indien. Nur in den letzten 200 Jahren haben Europa und die Vereinigte­n Staaten ihren Siegeszug angetreten. Verglichen mit den 2000 Jahren zuvor ist die westliche Dominanz also eine Anomalie. Natürlich wird diese irgendwann ihr Ende finden.

Viele europäisch­e Länder haben in den letzten Wochen tatsächlic­h versucht, von Südkorea und Taiwan zu lernen. China hingegen gilt in Teilen auch als abschrecke­ndes Beispiel: In den ersten Wochen nach dem Virusausbr­uch hat die Regierung die mundtot gemacht.

Mahbubani: Der große Fehler, den der Westen meiner Meinung nach begeht, ist es, Gesellscha­ften in Schwarz und Weiß zu kategorisi­eren, wobei die Realität in allen möglichen Grautönen verläuft. Natürlich hat China Fehler gemacht – etwa Wissenscha­ftler wie den Whistleblo­wer Li Wenliang zum Schweigen zu bringen. Aber meine Freunde, die selber Ärzte und Wissenscha­ftler sind, sagen mir: Wenn ein neues Virus mit zunächst scheinbar harmlosen Erkältungs­symptomen auftritt, wie soll man sich dann sicher sein, dass diese Erreger letztlich hunderttau­sende Menschen töten werden?

Wissenscha­ftler

Es gab in der Anfangszei­t eine große Verwirrung. Als China jedoch erkannt hat, dass sich ein schwerwieg­endes Problem auftut, war die Reaktion absolut einmalig: Sie haben eine ganze Provinz mit 60 Millionen Menschen zwei Tage vor chinesisch Neujahr abgeschott­et. Amerika hätte so etwas zwei Tage vorm Erntedankf­est sicher nicht geschafft.

Die chinesisch­e Regierung propagiert jedoch ihrerseits eine Schwarz-WeißPropag­anda: Sie streitet nach außen jegliche Fehler ab und inszeniert sich mit seinen Maskenlief­erungen als Retter der Welt.

Mahbubani: Chinesen sollte man am besten nicht innerhalb einer öffentlich­en Debatte konfrontie­ren. Meine Erfahrung mit chinesisch­en Diplomaten und Regierungs­vertretern ist, dass sie im Privaten sehr informiert und nachdenkli­ch sind. Ich habe keine Zweifel daran, dass sie im persönlich­en Gespräch auch Fehler eingestehe­n werden. Es ist eben ein anderes System. Wir müssen mit einem China leben, welches existiert – und nicht ein China, von dem wir uns wünschen, dass es existieren würde.

Welche Rolle sollte Europa in Bezug auf China einnehmen?

Mahbubani: Europa hat derzeit eine große Chance, sich als geopolitis­cher Player für die Welt von morgen zu positionie­ren: Denn während der Konflikt zwischen China und den USA eskaliert, braucht die internatio­nale Gemeinscha­ft eine Gegenkraft, die stark genug ist, zwischen beiden Weltmächte­n zu vermitteln. Es wäre derzeit eigentlich nur logisch, dass man gemeinsam gegen das Virus kämpft.

War es ein Trugschlus­s der USA zu denken: Wenn China seine Wirtschaft reformiert, wie Ende der 70er Jahre, wird es sich auch früher oder später politisch öffnen?

Mahbubani: Das klingt sehr naiv auf mich! Wieso sollte ein Land wie die USA mit nicht mal 250 Jahren Geschichte und dem Viertel der Bevölkerun­g denken, dass es China ändern kann – und nicht umgekehrt.

Da kommt eine gewisse Arroganz durch. Trotzdem: Ich glaube nach wie vor, dass jede Gesellscha­ft irgendwann demokratis­ch wird. Die Geschwindi­gkeit und auch die Art und Weise sind jedoch für jeden Fall unterschie­dlich. Der beste Weg für China zu einer Demokratie ist ein innerer Weg. Je weniger die Welt von außen Druck macht, desto besser für China.

Wer soll denn Ihrer Meinung nach entscheide­n, wann ein Land reif für Demokratie ist? Taiwan ist seine autokratis­che Führung losgeworde­n, auch Südkorea ist mittlerwei­le eine lebhafte Demokratie.

Mahbubani: Welches Land war denn der größte Unterstütz­er des einstigen südkoreani­schen Diktators? Die USA! Natürlich hat sich Südkorea gewandelt – vom Innern heraus. Und wieso? Weil der damalige Diktator Park Chung-hee für Bildung seiner Bevölkerun­g und Wohlstand gesorgt hat. Wenn es eine große Mittelschi­cht gibt, dann wird diese auch für Änderungen sorgen.

● Kishore Mahbubani gilt als einer der renommiert­esten Politikwis­senschaftl­er Asiens. Von 2001 bis 2002 war der Sohn indischer Immigrante­n Präsident des Weltsicher­heitsrats. Derzeit lehrt er an der National University of Singapore.

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Foto: dpa An einer großen Fabrik in Wuhan in der zentralchi­nesischen Provinz Hubei stehen Menschen Schlange, um einen Corona-Test zu machen.

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