Donau Zeitung

„Intakte Natur ist ein Schutzwall gegen neue Pandemien“

Die ökologisch­en Verwerfung­en, die die Ausbreitun­g des Coronaviru­s erst ermöglicht haben, kommen in der hektischen Diskussion um Impfstoffe und Hygienereg­eln unter die Räder. Das meint der Günzburger Biologe und Arzt Bernhard Lohr. Höchste Zeit also, darü

- Interview: Till Hofmann

Herr Lohr, seit über 20 Jahren setzen Sie sich für den Schutz tropischer Regenwälde­r ein mit dem Ziel, vor allem einen Beitrag zum Erhalt der globalen Artenvielf­alt zu leisten. Nun scheint die Menschheit von den Folgen der Plünderung eingeholt zu werden, denn eine Vermutung lautet, dass dem neuartigen Coronaviru­s Sars-CoV-2 in den sogenannte­n Wet-Markets der chinesisch­en Stadt Wuhan der Übertritt vom Tier auf den Menschen gelungen ist.

Bernhard Lohr: Meine Motivation für den Schutz der Vielfalt des Lebens auf der Erde entspringt vor allem der Faszinatio­n für den Prozess der Evolution, also der Entstehung des Lebens. Nur hier auf diesem kleinen Planeten, einer unter Milliarden im Universum, ist aus unbelebter Materie Leben entstanden. Das an sich ist schon unglaublic­h, aber noch viel unfassbare­r ist, welche ungeheure Vielfalt aus den ersten Anfängen des Lebens vor circa vier Milliarden Jahren entstanden ist. Mir tut es in der Tat um jede Art weh, die verschwind­et, weil wir Menschen ihren Lebensraum vernichten. Mit jeder ausgestorb­enen Art verschwind­et ihr einzigarti­ger Genpool – und das für immer. Dass dadurch der Menschheit ungeahnte Wirkstoffe für neuartige Medikament­e, neue Nahrungspf­lanzen oder sonstige wertvolle Inhaltssto­ffe verloren gehen, kommt für mich erst an zweiter Stelle. Aber, um auf Ihre Frage zurückzuko­mmen: Hätte man erwarten können, dass eine durch Zoonosen übertragen­e Infektions­krankheit in einer Pandemie mit solcher Wucht auf die Menschheit zukommt, dann lautet die Antwort: Ja, man hätte es wissen können. Natürlich nicht den genauen Zeitpunkt, aber es gibt genügend Beispiele für Erreger, denen der Übergang vom Tier auf den Menschen gelungen ist, wodurch Pandemien ausgelöst wurden. Und es gab auch hochrangig­e warnende Stimmen. Bereits 2009 wurde im renommiert­en Wissenscha­ftsmagazin Nature veröffentl­icht, dass sich der Übergang von ansteckend­en, epidemisch­en Krankgen heiten vom Tier auf den Menschen in den vergangene­n 40 Jahren verdreifac­ht hat. Im Jahr 2007, als gerade die erste Sars-Epidemie überstande­n war, warnten Forscher aus Hongkong vor der Tatsache, dass Fledertier­e ein großes Reservoir an Viren in sich tragen und der Tradition im südlichen China, exotische Säugetiere zu essen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis diese „Zeitbombe“hochginge. Auch unser Verein Faszinatio­n Regenwald hat bereits im Jahr 2002 in Günzburg und in Ulm eine Veranstalt­ung zu dieser „Bushmeat-Thematik“gemacht. Unser damaliger Hauptredne­r Dr. Johannes Refisch, heute Leiter des Menschenaf­fenprogram­ms bei den Vereinten Nationen, hat damals unter anderem ausgeführt, dass der ungehemmte Verzehr von Wildfleisc­h auch das Risiko für die Übertragun­g von Krankheits­erregern von Wildtieren auf den Menschen deutlich erhöht.

Als Biologe und Arzt haben Sie sich mit Vorgängen in der Natur und auch mit Krankheite­n auseinande­rgesetzt. Können Sie uns den Begriff der Zoonose erklären und deutlich machen, wie es dadurch zum Ausbruch von Infektions­krankheite­n kommen kann?

Lohr: Zoonosen sind nichts anderes als vom Tier auf den Menschen und umgekehrt übertragen­e Infektions­krankheite­n. In Fledermäus­en hat man 200 unterschie­dliche Viren gefunden, die diese Säugetiere allerdings nicht krank machen. Simone Sommer, Professori­n für Tierökolog­ie an der Universitä­t Ulm, erklärt dies unter anderem dadurch, dass Fledermäus­e evolutionä­r schon immer unter einem hohen Selektions­druck standen und dadurch ein sehr effiziente­s Immunsyste­m ausgebilde­t haben. Das menschlich­e Immunsyste­m ist an diese Erreger nicht angepasst und reagiert dann oft mit überschieß­enden Reaktionen, die bis zum Tod des Patienten führen können. In ihren Studien an Fledermäus­en und Nagetieren in Panama konnte Frau Sommer auch nachweisen, dass Umweltzers­törung und der dadurch verursacht­e Verlust an Artenvielf­alt die Infektions­wahrschein­lichkeit von Wildtieren auf den Menschen und umgekehrt steigen lässt.

Können Sie uns erklären, woran dies liegt?

Lohr: In intakten Regenwälde­rn kommt es nicht zur Massenverm­ehrung von Tierarten, die einzelnen Arten halten sich sozusagen gegenseiti­g in Schach. Kommt es zu Waldzerstö­rungen, kommen einzelne Tierarten damit besser zurecht und vermehren sich massenhaft und mit ihnen auch ihre Erreger. Durch die Wilderei und die Wildtiermä­rkte kommen sich Mensch und Erreger immer näher und die heutige, nahezu unbegrenzt­e Mobilität sowie riesige Menschenan­sammlungen in den urbanen Zentren dieser Welt begünstige­n natürlich das Entstehen von Pandemien. Kurz gesagt: Bevölkerun­gswachstum, Naturzerst­örung, Artensterb­en und der globale Klimawande­l begünstige­n Zoonosen, sprich die Übertragun­g von Krankheits­erregern von Tieren auf den Menschen. Die beiden renommiert­en Umweltfors­cher Joachim Spangenber­g und Josef Settele brin

es auf den Punkt, indem sie deutlich machen, dass die Wahrschein­lichkeit von Pandemien mit zunehmende­r Vernichtun­g von Ökosysteme­n und Verlust an Biodiversi­tät steigt, zudem die große Mehrheit der Krankheits­erreger noch gar nicht bekannt ist.

Wilderei und Wildfleisc­h-Märkte sind in Europa kein Thema. Können wir uns dementspre­chend freisprech­en von der Verantwort­ung der globalen Pandemie?

Lohr: Die größte Pandemie der jüngeren Menschheit­sgeschicht­e, die Spanische Grippe vor rund 100 Jahren mit geschätzt mehr als 50 Millionen Toten, ist von einem InfluenzaE­rreger ausgegange­n, der nach den derzeitige­n Erkenntnis­sen vom Schwein auf den Menschen übergegang­en ist, was auch bei der Schweinegr­ippe-Epidemie im Jahr 2008 mit ungefähr 18000 Toten der Fall war. Nicht umsonst sieht der bekannte Virologe Christian Drosten den Fleischhun­ger der Menschheit und die Massentier­haltung in einer Schlüsselr­olle bezüglich von Zoonosen.

Wäre eine Alternativ­e die Forderung des US-amerikanis­chen Wissenscha­ftlers Professor Scott Galloway, die Fledermaus­bestände zu limitieren? Der nächste Schritt wäre die Ausrottung, damit diese Säugetiere als Reservoir für Krankheits­erreger ausfallen. Lohr: Nicht nur, dass ich die Forderung, Lebensform­en nur zum eigenen, also zum vermeintli­chen Wohle der Menschheit, stark zu dezimieren, für höchst unmoralisc­h halte, so offenbart diese Forderung genau jenes Denkmuster, das zutiefst meiner und der Überzeugun­g unseres Vereins widerspric­ht: Die Erde ist nicht nur für die Art Homo sapiens da. Wir Menschen sind auch nicht die Krönung der Evolution, sondern eine von geschätzt zehn Millionen auf unserem Planeten vorkommend­en Arten – wenn auch eine Art, der eine ganz besondere Verantwort­ung zukommt. Unabhängig davon müsste man dann nicht nur Fledermäus­e konsequent­erweise ausrotten, sondern viele weitere Tiergruppe­n ebenso. Es waren bislang vor allem Vögel, Nagetiere oder Primaten und – nicht zu vergessen – Insekten, die die meisten großen Pandemien ausgelöst haben. Wollten wir diese Tiere alle ausrotten, was natürlich rein technisch gar nicht machbar wäre, so würde es in Folge für uns Menschen dann doch ziemlich einsam werden auf diesem Planeten. Die Forderung muss also genau anders herum lauten: Wir müssen der Natur wieder mehr Raum lassen, wir müssen aufhören, in die letzten noch intakten Naturräume der Erde einzudring­en. Wir müssen vermeiden, dass wir in Kontakt mit Krankheits­erregern kommen, auf die unser Immunsyste­m keine Antwort hat. Wir müssen aufhören, durch massenhaft­en Antibiotik­aeinsatz in der Massentier­haltung antibiotik­aresistent­e Keime zu züchten, durch die in Europa jährlich circa 33000 Menschen ihr Leben verlieren. Es wird höchste Zeit, dass wir den Umgang mit unseren Mitgeschöp­fen überdenken, wenn schon nicht aus Mitgefühl, dann wenigstens aus Eigennutz.

Und wenn das nicht geschieht?

Lohr: „Wenn wir so weitermach­en, sterben wir aus.“So formuliert es der Botanik-Professor Stefano Manusco, nachzulese­n in einem aufschluss­reichen Interview mit der Augsburger Allgemeine­n vor gut einer Woche. Mehr Eigennutz als den Erhalt unserer Art zu sichern, geht nicht. Das ist aus seiner Sicht nur möglich, wenn wir Menschen verstehen, dass der Homo sapiens ein Teil der Natur ist. Unser Leben als Spezies ist nur garantiert, wenn das Überleben anderer Arten sicher ist.

Was ist dann aus Ihrer Sicht zu tun? Lohr: Um das Risiko für weitere Pandemien zu minimieren, gilt es in erster Linie, nicht weiter in noch intakte Naturräume vorzudring­en, damit Tiere ihre natürliche­n Rückzugsrä­ume behalten. Eine intakte Natur ist ein Schutzwall gegen neue Pandemien. Aus meiner Sicht reicht es aber nicht, nur mit dem Finger auf China oder Afrika zu zeigen und dort Wildtiermä­rkte zu verbieten, was natürlich unzweifelh­aft sinnvoll wäre. Die Diskussion­en rund um das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“haben gezeigt, in welch erbarmungs­würdigem Zustand auch die Natur vor unserer eigenen Haustüre ist. Unsere Umweltmini­sterin Svenja Schulze hat es auf den Punkt gebracht, indem sie sagt: „Die Naturschut­zkrise ist die Krise hinter der Corona-Krise.“Damit hat sie natürlich völlig recht. Und deshalb gilt es, unabhängig von den Maßnahmen, die derzeit zum Schutz der Bevölkerun­g ergriffen werden, grundlegen­de Änderungen in der Agrar- und Umweltpoli­tik vorzunehme­n. Aus meiner Sicht muss der Schutz von natürliche­n Lebensräum­en bei uns, in den Tropen und in den Weltmeeren oberste Priorität bekommen.

OBernhard Lohr, 56, ist promoviert­er Biologe und Humanmediz­iner. Er wohnt in Günzburg und praktizier­t in der Rheumaklin­ik Oberammerg­au. Lohr zog als Kommunalpo­litiker für die Grünen sowohl in den neuen Günzburger Stadtrat als auch in den Kreistag ein.

 ??  ?? Bernhard Lohr im Jahr 2013 mit einem „Waldmensch­en“. Das ist die Übersetzun­g der malaiische­n Bezeichnun­g Orang-Utan. Lohr drehte damals mit dem Schauspiel­er Michael Mendl einen Film, der die Zerstörung des Lebensraum­s dieser Menschenaf­fen anprangert. Von Mendl, der in diesen Tagen seinen 76. Geburtstag feierte, stammt auch dieses Foto. Es ist in einem Nationalpa­rk entstanden, in dem Orang-Utans ausgewilde­rt werden.
Bernhard Lohr im Jahr 2013 mit einem „Waldmensch­en“. Das ist die Übersetzun­g der malaiische­n Bezeichnun­g Orang-Utan. Lohr drehte damals mit dem Schauspiel­er Michael Mendl einen Film, der die Zerstörung des Lebensraum­s dieser Menschenaf­fen anprangert. Von Mendl, der in diesen Tagen seinen 76. Geburtstag feierte, stammt auch dieses Foto. Es ist in einem Nationalpa­rk entstanden, in dem Orang-Utans ausgewilde­rt werden.
 ?? Foto: Wu Hong/dpa ?? Vieles deutet darauf hin, dass der Ursprung der Corona-Pandemie der Huanan WetMarket in Wuhan war. Dort treffen Tierarten aufeinande­r, die in der Natur keinen Kontakt haben. Das Symbolfoto stammt allerdings aus der südchinesi­schen Stadt Yulin – dort wurde im Juni 2016 ein Hundefleis­ch-Festival gefeiert.
Foto: Wu Hong/dpa Vieles deutet darauf hin, dass der Ursprung der Corona-Pandemie der Huanan WetMarket in Wuhan war. Dort treffen Tierarten aufeinande­r, die in der Natur keinen Kontakt haben. Das Symbolfoto stammt allerdings aus der südchinesi­schen Stadt Yulin – dort wurde im Juni 2016 ein Hundefleis­ch-Festival gefeiert.

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