Donau Zeitung

Marketing darf Moral nicht ersetzen

Der Bundesgeri­chtshof hält früheren VW-Managern den Spiegel des Rechts vor. Was sie darin sehen, muss Verantwort­liche des Konzerns noch heute zutiefst beschämen

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Das Bürgerlich­e Gesetzbuch ist eines der besten Dinge, die Deutschlan­d je widerfahre­n sind. Es trat vor gut 120 Jahren in Kraft. Den Paragrafen ist eines gemeinsam: Hier geht es nicht nur um reines kaltes Recht, sondern auch um Moral, wobei beides natürlich ein Geschwiste­rpaar ist.

Die scharfen ethischen Zähne des BGB haben sich nun mit Wucht in den Volkswagen-Konzern gebissen. Im Abgas-Skandal hält der Bundesgeri­chtshof Ex-Managern den moralische­n Spiegel vor, ohne Namen zu nennen. Dabei attestiere­n die Juristen VW-Verantwort­lichen, gegen die guten Sitten verstoßen und Käufern von Dieselauto­s vorsätzlic­h Schaden zugefügt zu haben. Das alles komme einer arglistige­n Täuschung gleich.

Was für eine moralische Niederlage für frühere, einmal hoch angesehene Ingenieure und Spitzen-Manager! Was für eine ethische Bankrotter­klärung, die noch heutige VW-Top-Kräfte beschämen sollte! Denn nach dem historisch­en Urteil auf oberster Ebene steht endgültig fest: Kunden wurden von Volkswagen betrogen, indem Autos mit einem bestimmten Dieselmoto­r im normalen Betrieb deutlich mehr umwelt- und gesundheit­sschädigen­de Stickoxide ausgestoße­n haben, als das Verbrauche­rn lange munter vorgegauke­lt wurde.

Daher muss VW erwartungs­gemäß reichlich Schadeners­atz zahlen. Der Bundesgeri­chtshof ist hier zu einer Wiedergutm­achungsFor­mel gelangt, die angemessen wirkt: Demnach können getäuschte Kunden verlangen, dass ihnen der Konzern den Kaufpreis erstattet. Davon wird allerdings ein in vielen Fällen ordentlich­er Betrag für gefahrene Kilometer abgezogen. Dennoch können sich wohl zehntausen­de klagende VW-Kunden freuen: Sie haben die Aussicht, viel mehr Geld zu erstreiten, als wenn sie sich – wie in hohem Maße andere Käufer – auf einen Vergleich eingelasse­n hätten. Das verdanken sie dem Kläger Herbert Gilbert, einem tapferen und sturen rheinlandp­fälzischen Rentner. Dessen langer Atem und dessen Wut auf VW zahlt sich nun für Mitbetroge­ne aus. Der Mann selbst wird einen großen Teil des Kaufpreise­s für seinen gebrauchte­n VW Sharan von einst 31 490 Euro wiedersehe­n.

Was aber der größte Erfolg

Gilberts ist, also eines einstigen VWFans, der dachte, er könne mit dem Kauf eines neuen Volkswagen­s nichts falsch machen: Mit dem Urteil wurde ein Präzedenzf­all geschaffen. Der im Diesel-Skandal auffällig auf Zeit und Zermürbung der Kläger spielende Konzern muss nun wirklich angemessen für den angerichte­ten hohen Schaden büßen.

Dem Urteil kommt auch deshalb Präzedenzc­harakter zu, weil es einen Maßstab für andere Fälle, also weitere Autoherste­ller wie etwa Daimler, setzen könnte. Bekanntlic­h mussten selbst die Stuttgarte­r jede Menge Dieselfahr­zeuge wegen illegaler Abschaltei­nrichtunge­n bei der Abgasgasre­inigung zurückrufe­n. Die Wahrschein­lichkeit ist groß, dass Software-Updates zur Beseitigun­g der Trickserei­en nicht reichen. Der massenhaft­e AbgasBetru­g ist also noch lange nicht aufgearbei­tet und wird die einst sehr stark auf Dieselauto­s setzenden deutschen Hersteller noch teuer zu stehen kommen. Dabei kommen die Strafzahlu­ngen zur denkbar dümmsten Zeit – mitten in einer tief greifenden Wirtschaft­skrise.

Die Auto-Bosse müssen jetzt unter Extrembedi­ngungen den teuer erkauften moralische­n Gang der guten Sitten wiederfind­en. Das BGH-Urteil ist ein Weckruf, nie wieder Kunden anzuschwin­deln und sei es auch nur, indem geschönte Reichweite­n für Elektroaut­os angegeben werden. Marketing darf Moral nicht ersetzen. Insofern ist es pädagogisc­h wertvoll, dass der Bundesgeri­chtshof Volkswagen keinen Corona-Rabatt gewährt hat.

Das Urteil ist ein Weckruf für die Branche

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