Donau Zeitung

Corona-Tragödie überschatt­et Gedenktag

Am Memorial Day ehren die Amerikaner ihrer Gefallenen. Doch die Virus-Krise ist auch am Feiertag allgegenwä­rtig: Fast 100000 Covid-Tote sind zu beklagen. Doch Trump spielt Golf und schwärmt vom „Wandel zur Größe“

- VON KARL DOEMENS

Washington Der Bürgermeis­ter von Baltimore appelliert­e vergeblich an den Präsidente­n: „Bitte, bleiben Sie zu Hause!“Seine Stadt befinde sich im Lockdown und sei von der Corona-Pandemie hart getroffen, argumentie­rte Bernard Young. Doch den Auftritt vor der Kulisse des Militärfor­ts McHenry, wo die Amerikaner 1814 eine britische Einheit schlugen, wollte sich Donald Trump an diesem Montag auf keinen Fall nehmen lassen.

Eigentlich ehren die USA am Memorial Day ihre gefallenen Soldaten. Doch in diesem Jahr überschatt­en die schockiere­nden Corona-Opferzahle­n das Gedenken: Fast 100000 Amerikaner haben durch das weiter grassieren­de Virus bereits ihr Leben verloren – mehr als im Vietnam-, Korea-, Irak- und Afghanista­nKrieg zusammen. Stellvertr­etend hatte die New York Times am Wochenende die Namen von 1000 Covid-Toten auf vier Zeitungsse­iten abgedruckt. Doch Trump ist besessen vom vermeintli­chen eigenen Erfolg. „Transition to Greatness“(Wandel zur Größe) twitterte er Montagmorg­en als Tagesmotto, ließ seine Limousine nur kurz für eine Kranzniede­rlegung auf dem Militärfri­edhof Arlington stoppen und bretterte dann nach Baltimore, dem Ort des Sieges.

Auch am Wochenende hatte Trump die Corona-Tragödie in seinem Land demonstrat­iv missachtet. Inzwischen sind offiziell mehr als 1,6 Millionen Amerikaner infiziert. Die Johns-Hopkins-Universitä­t verzeichne­te am Montag 97700

Damit liegt die Opferzahl umgerechne­t auf die Bevölkerun­g dreimal so hoch wie in Deutschlan­d. In 36 von 50 Bundesstaa­ten gehen die Infektions­zahlen keineswegs zurück, sondern bleiben unveränder­t oder steigen weiter. Doch auf Druck von Trump wurden inzwischen fast im ganzen Land die Restriktio­nen für Bürger und Wirtschaft gelockert. Am Samstag und Sonntag fuhr der Präsident auf seinen Golfplatz und feuerte von unterwegs dutzende Tweets ab, in denen er un

anderem seine einstige Rivalin Hillary Clinton als „Schlampe“beschimpft­e und einem Fernsehmod­erator wahrheitsw­idrig einen Mord unterstell­te.

„In der Präsidents­chaft geht es um mehr als das Twittern aus dem Golfwagen“, konterte der demokratis­che Präsidents­chaftsbewe­rber Joe Biden: „Das Amt fordert die Übernahme der Verantwort­ung für die weitreiche­ndsten Entscheidu­ngen der Welt.“Auch die Washington Post monierte, „Trumps SperrfeuTo­te. er“stehe „in einem scharfen Kontrast zur ernsten Wirklichke­it“. Doch der Präsident hat inzwischen komplett auf Wahlkampf umgeschalt­et und mobilisier­t seine rechte Basis mit immer wilderen Pöbeleien gegen die politische­n Gegner und jene Corona-Auflagen, die seine eigene Regierung verhängt hat.

So weigert sich Trump trotz einer Maskenpfli­cht für Mitarbeite­r des Weißen Hauses standhaft, selbst einen Mund-Nasen-Schutz anzulegen. Entgegen den Bitten des Bürter germeister­s besuchte er samt Gefolge das von der Corona-Pandemie besonders heimgesuch­te, überwiegen­d schwarze Baltimore, das er im vorigen Jahr als „von Ratten befallenes Drecksloch“diffamiert hatte. Und er drohte am Montag dem demokratis­chen Gouverneur von North Carolina mit der Verlegung des für August geplanten Republikan­er-Parteitage­s in einen anderen Bundesstaa­t, wenn das Großereign­is mit mehr als 10 000 Gästen nicht sofort uneingesch­ränkt genehmigt werde. Das Verhalten des Präsidente­n, der Normalität um jeden Preis vorgaukeln will, färbt auch auf die Bürger ab. An vielen Ausflugszi­elen

An vielen Ausflugszi­elen wurde es sehr eng

in den USA kam es am langen Memorial-Day-Wochenende zu dichten Menschenan­sammlungen.

Trump, der sich stets mit der frühen Verhängung eines Einreisest­opps aus China brüstet, lenkt den Blick derweil erneut nach außen: Am späten Sonntag kündigte er ein Verbot für Einreisen aus Brasilien an, wo die Zahl der Corona-Infektione­n stark steigt. Die Verordnung tritt jedoch erst an diesem Freitag in Kraft. In einer minutiösen Aufarbeitu­ng des weiterhin geltenden Einreiseve­rbots aus Europa hat die Washington Post soeben nachgewies­en, dass der Erlass vom März einen regelrecht­en Sog auslöste und die chaotische Abfertigun­g der eiligen Rückkehrer die Ausbreitun­g der Pandemie in den USA eher befördert hat.

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Foto: Carolyn Kaster, dpa Ein Blauhäher landet auf einem Grabstein auf dem Arlington National Cemetery. Wenig später schmücken die Mitglieder des 3. US-Infanterie­regiments die Gräber zum Memorial Day mit US-Fahnen.

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