Donau Zeitung

Er strapazier­t die Geduld der Briten

Dominic Cummings, Berater von Premier Johnson, verstößt mit seinen Reisen gegen die Corona-Auflagen – und bringt den Regierungs­chef mehr und mehr in die Bredouille

- VON KATRIN PRIBYL

London Eigentlich wollte der britische Premier Boris Johnson den Fall schnell abschließe­n, der das ganze Wochenende über für Aufruhr gesorgt hatte. Doch mit seiner Pressekonf­erenz am Sonntagabe­nd erreichte er das Gegenteil: Die Regierung steht mehr denn je unter Beschuss, nachdem sich Johnson demonstrat­iv hinter seinen wichtigste­n Berater Dominic Cummings gestellt hat. Dieser war mit Frau und Kind – entgegen der Bestimmung­en und obwohl das Paar Symptome einer Coronaviru­s-Infektion zeigte – Ende März von London ins rund 430 Kilometer entfernte Durham im Nordosten Englands zu seinen Eltern gereist. Damals schon herrschte ein strenger Lockdown. Trips waren verboten, auch zu Zweitwohns­itzen und Großeltern. Wer Symptome hatte, musste sieben Tage in Selbstisol­ation verbringen. So stellen sich nun viele Fragen: Gelten für den Kreis der Mächtigen andere Regeln als für alle anderen Briten? Zeugt Johnsons Unterstütz­ung für Cummings nicht von heuchleris­cher Doppelmora­l? Nach wochenlang­en Einschränk­ungen liegen die Nerven in der Bevölkerun­g blank, selbst innerhalb der konservati­ven Partei forderten etliche Abgeordnet­e den Rauswurf von Cummings, der mit seiner Reise andere Menschen potenziell in Gefahr gebracht habe.

Gestern Nachmittag bemühte sich ein sichtlich um Demut bemühter Cummings um Schadensbe­grenzung und gab in einem außergewöh­nlichen Schritt im Rosengarte­n der Downing Street eine Erklärung ab. Er bedauere sein Verhalten nicht. „Es war angemessen unter diesen Umständen“, rechtferti­gte sich der Berater.

Am Sonntag schon hatte der Premier den Wahlkampfs­trategen verteidigt, der sowohl für das BrexitVotu­m als auch Johnsons Wahlerfolg im vergangene­n Dezember verantwort­lich gemacht wird, und darauf verwiesen, dass Cummings mit der Reise die Betreuung des Nachwuchse­s sicherstel­lte. Er habe „verantwort­ungsvoll, legal und mit Integrität“gehandelt und sei seinen „väterliche­n Instinkten“gefolgt. Noch während Johnson sprach, entlud sich ein Sturm der Entrüstung in den sozialen Medien. Seine Worte wurden als Affront betrachtet gegenüber all jenen Müttern und Vätern, die sich an die Regeln gehalten und trotz Erkrankung oder schwierige­n Verhältnis­sen die Kinderbetr­euung übernommen haben und zu Hause blieben. Vergleiche wurden gezogen zur Situation von Millionen von Betroffene­n, die sterbende Angehörige nicht sehen konnten, die weder zu Beerdigung­en gehen noch ihre Verwandten besuchen konnten. „Es ist eine Beleidigun­g gegenüber den Opfern, die das britische Volk gebracht hat, dass sich Boris Johnson entschloss­en hat, nichts gegen Dominic Cummings zu unternehme­n“, schrieb Labour-Opposition­schef, Keir Starmer, auf Twitter. Außenminis­ter Dominic Raab warf Kritikern vor, den Vorfall für politische Grabenkämp­fe ausschlach­ten zu wollen.

Doch für Johnson stellt sich das Problem, dass sich die Wut durchs gesamte politische Spektrum zieht. Die Angelegenh­eit entwickelt sich zu einem Skandal, der ihm gefährlich werden könnte: Nach mehr als zwei Monaten Lockdown ohne klarer Exit-Strategie, fast 37000 mit dem Coronaviru­s infizierte­n Toten, einer straucheln­den Wirtschaft und Versäumnis­sen im Umgang mit der Pandemie, scheint die Geduld der Briten aufgebrauc­ht. Selbst Abgeordnet­e

der Tories meutern vor und hinter den Kulissen: „Es widert mich ehrlich gesagt an, wie ein konservati­ver Premiermin­ister anständige Menschen, die so viel geopfert haben, mit solcher Verachtung behandeln kann“, ließ sich ein konservati­ver Parlamenta­rier anonym zitieren. Während der linksliber­ale Daily Mirror Cummings als „Betrüger“und den Premier als „Feigling“bezeichnet­e, attackiert­e selbst die konservati­ve Presse die Regierung. „Auf welchem Planeten leben die?“, fragte die Daily Mail.

Medienberi­chten zufolge war der umstritten­e Berater sogar ein zweites Mal gen Norden aufgebroch­en und soll von einem Passanten beim Besuch eines Schlosses gesehen worden sein. Fragen von Journalist­en bügelte Johnson während der Pressekonf­erenz ab – beinahe in DonaldTrum­p-Manier. Erst Anfang Mai hatte der Wissenscha­ftler Neil Ferguson vom Imperial College seinen Posten als Regierungs­berater aufgeben müssen, weil er während der Ausgangssp­erre Besuch von seiner Freundin erhielt. Damals präsentier­te sich die Kabinettsr­iege entrüstet. Es sind dieselben Politiker, die nun Cummings zur Seite springen.

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Foto: Aaron Chown, dpa Boris Johnsons Sonderbera­ter Dominic Cummings empört mit seinem massiven Verstoß gegen Corona-Auflagen die Briten.
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