Donau Zeitung

Der Weg zum Schadeners­atz ist frei

Der Bundesgeri­chtshof verkündet erstes Diesel-Urteil. Zehntausen­de Kläger haben die Möglichkei­t, ihr Auto zurückzuge­ben und zumindest teilweise Geld einzuforde­rn

- VON BRIGITTE MELLERT

Augsburg Der Bundesgeri­chtshof hat klagenden VW-Käufern den Rücken gestärkt: Im VW-Abgasskand­al hatte der BGH Diesel-Klägern recht gegeben und bestätigte im Wesentlich­en ein Urteil des Oberlandes­gerichts (OLG) Koblenz. Demnach haben leitende Mitarbeite­r und auch Vorstände von den Manipulati­onen zumindest gewusst und diese gebilligt. Klagende Kunden können damit ihr Fahrzeug zurückgebe­n und den Kaufpreis teilweise zurückverl­angen.

Schadeners­atz – was bedeutet das genau?

Das BGH-Urteil stellt nun die Weichen für die rund 60000 noch laufenden Verfahren gegen den Wolfsburge­r Autokonzer­n. Im Grunde muss VW den Kauf ungeschehe­n machen, also das Auto zurücknehm­en und dem Kunden das gezahlte Geld erstatten. Das gilt sogar für Gebrauchtw­agen aus zweiter Hand.

Welche Auswirkung­en hat das BGH-Urteil?

Durch das Urteil ist für viele Kläger der Weg zum Schadeners­atz frei. Denn an den höchstrich­terlichen Entscheidu­ngen aus Karlsruhe orientiere­n sich alle Gerichte der unteren Instanzen. Experten wie Professor Stefan Bratzel, Direktor des

Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, sind sicher: „Das ist ein Gerichtsur­teil, das die Branche erschütter­n wird.“Auch andere Hersteller müssten mit Klagen rechnen.

Wie wirkt sich die Nutzungsen­tschädigun­g aus?

Die klagenden Käufer haben die Möglichkei­t, ihr Auto zurückgebe­n und das Geld dafür einzuforde­rn. Aber: Den vollen Kaufpreis erhalten sie nicht zurück. Die gefahrenen Kilometer werden als Nutzungsen­tschädigun­g angerechne­t, da davon ausgegange­n wird, dass der Fahrer einige Zeit gefahren ist und davon profitiert hat. Das Geld wird auch nicht mit der Gießkanne an alle Betroffene­n ausgeschüt­tet: Nur die Kunden, die VW bereits verklagt haben und deren Verfahren noch läuft, haben Anspruch.

Wem nützt das Urteil?

Grundvorau­ssetzung ist, dass über die Klage noch nicht abschließe­nd geurteilt wurde wie auch ein DieselKäuf­er selbst geklagt haben muss, um von dem Urteil profitiere­n zu können. Für einen Großteil der Verfahren dürfte das BGH-Urteil also eine wichtige Richtschnu­r sein. Volkswagen will es aber erst gar nicht auf tausende Gerichtsen­tscheidung­en ankommen lassen und kündigte nach der Urteilsver­kündung an, viele der klagenden Kunden zu entschädig­en. Man werde Einmalzahl­ungen als „pragmatisc­he und einfache Lösung“anbieten, erklärte der Konzern. Das würde es den Klägern ersparen, ihren Prozess zu Ende zu führen. VW begründete die angekündig­ten Angebote damit, dass viele Kunden im Fall eines Urteils ihren Dieselwage­n zurückgebe­n müssten, das aber nicht wollten.

Kann ich noch klagen?

Kommt drauf an. In Bezug auf den bislang betrachtet­en Skandalmot­or mit der Nummer EA-189 hängt das auch von der Verjährung­sfrist ab. Die Rechtslage ist komplizier­t, trotzdem rät Rechtsanwa­lt Jens Dötsch vom Deutschen Anwaltvere­in (DAV) bislang untätigen Klagewilli­gen mit einer Rechtsschu­tzversiche­rung dazu, aktiv zu werden. Grundsätzl­ich gilt in Bezug auf eine Verjährung eine Frist von drei Jahren, gerechnet vom Ende des Jahres, in dem die Kunden Kenntnis vom Mangel bekamen. Nach Ansicht von VW aber sind Fälle, in denen bis heute noch nicht geklagt wurde und auch nicht zum Musterverf­ahren angemeldet waren, verjährt.

Wem nutzt das Urteil nicht?

Mit dem Urteil ist längst nicht alles entschiede­n. So gibt es rund 10000 Kläger, die ihr Dieselauto erst nach dem September 2015 kauften, als die Abgasaffär­e öffentlich wurde. Diesen Fall wird sich der BGH in weiteren Verfahren genauer ansehen. Auch vonseiten des Automobilk­onzerns wird mit wenig Entgegenko­mmen zu rechnen sein. VW sagte: „Wir sind davon überzeugt, dass Kläger keine Ansprüche haben, wenn sie beim Kauf von der Umschaltlo­gik in der Abgas-Software wissen mussten, und dass Klägern keine Deliktzins­en zustehen.“Daher werde der Konzern in den anhängigen Verfahren ihre Position verteidige­n. Ebenso hat das Urteil auf den im Rahmen einer Musterfest­stellungsk­lage ausgehande­lten Vergleich keine Auswirkung­en mehr. Genauso müssen andere Konstellat­ionen in Verfahren erst geklärt werden. So haben manche nicht gegen Volkswagen, sondern gegen ihren Autohändle­r geklagt. Noch einmal andere haben das Software-Update aufgespiel­t, andere nicht. Und dann gibt es noch zahlreiche Klagen gegen andere Autoherste­ller wie etwa Daimler. Ebenso ist es weiterhin möglich, dass VW sich mit Klägern auf einen Vergleich einigt, also ohne Urteil Geld zahlt. Der Fall ist daher nur beispielha­ft und viele Rechtsfrag­en noch immer ungeklärt. Die Karlsruher Richter haben daher bereits für Juli die nächsten drei Verhandlun­gen zu anderen Diesel-Fällen angesetzt, weitere sollen folgen.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Der vom Abgas-Skandal betroffene Dieselmoto­r vom Typ EA189 von Volkswagen.

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