Mit dem Zollstock ins Restaurant
Viele Staatsbürger sehnen sich schon lange danach, für den Staat zu bürgen und ihm in finanzieller Not beizuspringen. Das war noch nie so einfach wie heute – insbesondere für Hotelbesitzer. Wer sich weigert, einem Gast im Restaurant zehn Quadratmeter und im Aufzug 1,5 Quadratmeter freien Raum zur Verfügung zu stellen, verwandelt sich vom Gastronom zum Wohltäter. Der gültige Corona-Bußgeldkatalog verdonnert ihn sofort zu einer empfindlichen Geldstrafe.
Wer solche Maßnahmen ablehnt, hat nicht verstanden, dass der Corona-Bußgeldkatalog eine Vielzahl neuer Jobs schaffen wird. Wo Menschen zusammenströmen, darf bald der staatlich beauftragte Corona-Sünden-Fahnder nicht fehlen. Er ist schwer zu erkennen. Aber wer künftig ein Restaurant, ein Kino oder ein Kaufhaus mit einem Meterstab in der Hosentasche betritt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mitglied der neuen Armee staatlicher Sündenfahnder. Er widmet sich der schwierigen Aufgabe, leichtfertigen Gästen die Missachtung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstands von 1,5 Metern zur nächsten Person nachzuweisen.
In der deutschen Geistesgeschichte geschieht es nicht zum ersten Mal, dass der Meterstab an die Unnatürlichkeit bestimmter Messungen erinnert. Fritz Mauthner gibt im „Wörterbuch der Philosophie“zu bedenken: „Auch die Handwerker gebrauchen Meterstab, Winkelmaß und Lot nicht, um für sich die Natur zu erkennen, … die Mathematiker messen immer nur die tote Natur, und wenn sie das Leben selbst messen, so haben sie vorher das Leben weggedacht.“