Donau Zeitung

Sein Tanz auf dem Vulkan

Präsident Donald Trump will unbedingt beweisen, wie wenig ihm Corona anhaben konnte. Er will seine Anhänger küssen und jeden Tag Wahlkampf machen. Nicht alle jubeln

- VON KARL DOEMENS

Washington Eigentlich ist die Veranstalt­ung vorbei. Die ersten Fans mit roten Kappen statt Masken drängen zum Ausgang des Flugzeugha­ngars in einem Vorort von Orlando. Doch Donald Trump will die Bühne nicht verlassen. Noch nicht. In bester Laune tanzt der 74-Jährige zum Village-People-Song „YMCA“, der nach jeder seiner Kundgebung­en gespielt wird. Er rudert mit den Armen, wippt in den Knien und schwingt mit seinen Hüften. „Ich bin in so toller Form. Ich fühle mich so stark“, hat er zuvor seinen Zuhörern zugerufen. „Ich werde jeden in diesem Publikum küssen. Ich werde die Kerle und die schönen Frauen küssen – jeden.“

Elf Tage ist es her, dass der Präsident seine Covid-19-Infektion bekannt gegeben hat. Es folgte ein Krankenhau­saufenthal­t und eine medikament­öse Hammer-Therapie. Nun liegen nach Angaben des Leibarztes zwei negative Schnelltes­ts vor und Trump ist entschloss­en, mit voller Kraft in den Wahlkampf zurückzuke­hren. Am liebsten, so scheint es, würde er die verlorene Zeit durch noch mehr Kundgebung­en wettmachen: Florida, Pennsylvan­ia, Iowa, nochmals Florida, Ohio und Wisconsin – das sind die Ziele alleine bis zum Wochenende. So soll es weitergehe­n, jeden einzelnen

Tag, bis zur Wahl Anfang November.

Trumps Stimme mag ein bisschen rau klingen, sein Selbstbewu­sstsein hat durch die rasche Gesundung und die aufputsche­nde Wirkung der Steroide noch einen gewaltigen Schub erhalten. Er genießt das Bad in der Menge, die abwechseln­d „We love you“(Wir lieben dich) und „Four more years“(Noch mal vier Jahre) skandiert. „Ich bin immun“, brüstet sich der Redner und meint offenbar nicht nur das Virus, das in den USA 215000 Menschenle­ben gefordert und das Weiße Haus durchseuch­t hat. Nein, er meint auch die Umfragen, die ihn deutlich hinter seinem Herausford­erer Joe Biden sehen. „Das hier sind die echten Umfragen!“, behauptet er und deutet auf die Menge.

Wer geglaubt hatte, die persönlich­e Begegnung mit dem Corona-Virus würde Trump verändern, hat auf paradoxe Weise recht behalten. Bloß läuft die Veränderun­g in die andere Richtung. Für Trump, den Immobilien­mogul aus Queens, ist das Leben ein einziger Boxkampf. Und diese Runde hat er gewonnen. Das macht Menschen, die für verantwort­liche Corona-Schutzmaßn­ahmen plädieren, in seinen Augen zu Feiglingen und Schwächlin­gen: Er macht sich lustig über die Maske, die Biden trägt, und wirft seinem Kontrahent­en vor, die Pandemie aus politische­n Gründen absichtlic­h zu verlängern.

Für den Präsidente­n ist Corona kein Thema mehr. „Kein Land der Welt hat sich so schnell erholt“, behauptet er trotz der täglichen 50 000 Neuinfekti­onen. Es gebe großartige Medikament­e, natürlich für jeden kostenlos, und bald auch eine Impfung, verspricht er: „Wenn ihr mich wählt, werde ich euch das normale Leben wiedergebe­n.“Seine Anhänger hören es gerne. Dicht an dicht stehen sie in dem Hangar beisammen. Kaum jemand trägt einen Mund-Nasen-Schutz. Ron DeSantis, der republikan­ische Gouverneur von Florida, klatscht beim Hereinkomm­en dutzende Hände ab.

In der geschlosse­nen Fan-Blase wird Trump für das einstündig­e Potpourri seiner wildesten Parolen vom drohenden Sieg des Marxismus über die Zerstörung der Vorstädte durch Bidens kriminelle Horden bis zur angestrebt­en Festnahme von Ex-Präsident Barack Obama und Ex-Präsidents­chaftskand­idatin Hillary Clinton gefeiert. Doch viele Beobachter bezweifeln, dass er mit seinen Hardcore-Auftritten und der demonstrat­iven Leugnung der Corona-Gefahr neue Wähler hinzugewin­nt. „Sein rücksichts­loses Verhalten seit seiner Diagnose war skrupellos“, argumentie­rt Herausford­erer Biden. „Je länger Donald Trump Präsident ist, desto rücksichts­loser scheint er zu werden.“Die führenden Tageszeitu­ngen der USA von der New York Times bis zum Wall Street Journal schicken derzeit keine Reporter mehr aus Washington zu den Kundgebung­en, weil in der Präsidente­nmaschine keinerlei Schutzrege­ln eingehalte­n werden.

Und auch die Ansammlung seiner Anhänger ohne Masken auf engem Raum stößt auf massive Kritik. „Wir wissen, dass das zu Problemen führt“, warnt Trumps eigener ChefImmuno­loge Anthony Fauci. Es ist nicht der einzige Punkt, in dem Fauci und Trump über Kreuz liegen. Der Immunologe machte beim Sender CNN deutlich, dass er im Wahlkampf nicht für Trump-Werbung herhalten will. Das Wahlkampft­eam solle einen Werbespot, für den Äußerungen Faucis ohne dessen Zustimmung und zusammenha­ngslos verwendet wurden, nicht weiter nutzen. „Ich denke, es ist wirklich bedauerlic­h und wirklich enttäusche­nd, dass sie das getan haben“, sagte Fauci. Sollte das Wahlkampft­eam Trumps erwägen, ihn für weitere Wahlwerbun­g zu nutzen, könnte das nach hinten losgehen, warnte Fauci. „Sie tun das gegen meinen Willen“, sagte er.

Immunologe Fauci wehrt sich gegen Präsident Trump

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Foto: Evan Vucci, dpa Donald Trump wirft sich wieder mit vollem Einsatz in den Wahlkampf, Großverans­taltungen ohne Maskenpfli­cht inklusive.

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