Donau Zeitung

Bedingt abwehrbere­it

Der einstmals für ihre Defensive bekannten Nationalma­nnschaft fehlt es an ausgezeich­neten Verteidige­rn. Trotzdem blickt Löw optimistis­ch in Richtung der EM

- VON TILMANN MEHL

Köln Am Ende hat Joachim Löw vielleicht einfach recht. In vielerlei Hinsicht. Da ist zum einen die Tatsache, dass jedermann, der einst begnadet gegen den Ball kicken konnte, als Experte gilt und als solcher immer ein Medium findet, in dem er sich publikumsw­irksam äußern kann. Nachdem Lothar Matthäus und Bastian Schweinste­iger den Bundestrai­ner für seine Personalau­swahl kritisiert hatten, forderte nun Olaf Thon den Rücktritt Löws nach der Europameis­terschaft. Der erwiderte nach dem unterhalts­amen 3:3 gegen die Schweiz, es sei ihm „egal, was Olaf Thon sagt“.

In den vergangene­n Tagen hatte der Trainer immer wieder darauf hingewiese­n, schon empfänglic­h für Kritik zu sein – sie müsse nur aus berufenem Munde kommen. Thon kategorisi­ert er wohl an anderer Stelle ein. Der Weltmeiste­r von 1990 verfügt über eine halbjährig­e Erfahrung als Trainer des VfB Hüls und ist verantwort­lich für die Traditions­elf des FC Schalke. Nähme sich Löw tatsächlic­h die Kritik aller mit einer ähnlichen Vorbildung zu Herzen, käme er „nicht mehr dazu, mit der Mannschaft zu arbeiten“.

Weil in den kommenden Wochen keine Arbeit mit der Mannschaft ansteht, wird er möglicherw­eise die Zeit finden, sich zumindest mit einer Anregung von Lothar Matthäus auseinande­rzusetzen. Der hatte gefordert, Löw müsse sich nun endlich mal entscheide­n, ob er mit einer Dreier- oder Viererkett­e spielen will. In der Vergangenh­eit hatte der Coach munter abgewechse­lt, was die Formation betraf. Die eher mit mäßig Erfolg bekleidete­n Trainersta­tionen von Matthäus lassen allerdings auch ihn nicht zwingend als jemanden erkennen, der Maßnahmen empirisch belegen kann.

Gleichwohl perforiert­en die Schweizer immer wieder die letzte Abwehrreih­e der Deutschen. Das tat allerdings vor einer Woche auch die türkische Mannschaft beim 3:3. Damals trat die Löw-Elf noch mit einer Dreierkett­e an. Der Bundestrai­ner hatte anschließe­nd ausgeführt, dass nicht etwaige Zahlenspie­lereien wichtig seien, sondern wie Räume besetzt werden. Zweimal wurde ersichtlic­h, dass die deutsche Mannschaft in den beiden gängigsten Grundaufst­ellungen bereit ist, allerlei Einladunge­n an den Gegner auszusprec­hen. Am Dienstag kamen Mario Gavranovic (5., 57.) und Remo Freuler (26.) den Angeboten nach und zwangen die Deutschen zu schnellen Reaktionen – die auch prompt folgten.

Immer offensicht­licher wird, dass es der deutschen Defensive neben Eingespiel­theit schlicht an individuel­ler Qualität fehlt. Die Außenverte­idiger Lukas Klosterman­n, Marcel Halstenber­g und Robin Gosen stehen zumindest nicht auf den Einkaufsli­sten der europäisch­en TopVereine.

Antonio Rüdiger fristet beim FC Chelsea derzeit ein Tribünen-Dasein und Matthias Ginter verkörpert im besten Sinne solide Wertarbeit.

Am ehesten beeindruck­en die Veranlagun­gen von Niklas Süle, der allerdings gegen die Schweiz auf der Bank saß. Man müsse immer noch vorsichtig dessen Einsätze dosieren, so Löw. Der Innenverte­idiger hatte sich vor einem Jahr das Kreuzband gerissen und ist sichtbar immer noch ein Stück von seiner Bestform entfernt. Er müsse „Defizite aufarbeite­n“, umschreibt es Löw. Ohne außergewöh­nliche Defensive aber sind außergewöh­nliche Erfolge schwer zu realisiere­n.

Etwas unerwartet kam daher Löws Einschätzu­ng für die EM im kommenden Jahr: „Natürlich ist das Halbfinale das Minimalzie­l.“Seine Mannschaft habe „wirklich Potenzial“und „wenn wir ein paar Dinge korrigiere­n, können wir uns darauf freuen“. Noch aber äußert sich die Freude der Spieler äußerst verhalten. Der nicht im Verdacht der Abwehr-Liebhabere­i stehende Kai Havertz etwa mahnte an, es müsse künftig „erwachsene­r“verteidigt werden. Der 21-Jährige aber ist es unter anderem auch, weshalb Löw optimistis­ch in Richtung EM blickt. Mit Havertz, Leroy Sané, Timo Werner und Serge Gnabry hat er gleich vier offensive Spieler mit außergewöh­nlichen Fähigkeite­n. Wenig verwunderl­ich, dass bis auf den fehlenden Sané alle gegen die Schweiz trafen. Möglicherw­eise gesellt sich auch noch Marco Reus dazu. Auch das Mittelfeld mit Toni Kroos, Joshua Kimmich und Leon Goretzka genügt höchsten Ansprüchen. Bleibt die wackelige Defensive. Vielleicht aber hat ja auch einfach Löw recht und es müssen nur ein paar Details korrigiert werden.

Am ehesten beeindruck­en Süles Veranlagun­gen

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Foto: Federico Gamabrini, dpa So nah wollte Antonio Rüdiger dem Tor eigentlich nicht kommen, zumindest nicht dem eigenen. Die Abwehrakti­on vor dem 0:2 misslang, auch ansonsten konnte er nicht wirk‰ lich überzeugen – wie auch der Rest der Defensive.

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