Die Klinge am Hals der Geisel
Im Gefängnis von Münster rastet ein Häftling aus. Er bedroht eine Auszubildende und fordert einen Hubschrauber. Dann schlägt die Polizei zu. Nun ist der Mann tot
Münster Er wirkte unberechenbar und drohte den Tod seiner Geisel an: Bei einem Polizeieinsatz im Gefängnis in Münster haben Spezialkräfte der Polizei am Freitag einen Häftling erschossen. Dem gewaltsamen Zugriff gingen Verhandlungen über mehrere Stunden voraus.
Ausgelöst wurde der Alarm um 6.20 Uhr. Genau drei Stunden später war der Mann tot, wie Polizei und Staatsanwaltschaft in einer gemeinsamen Presseerklärung gegen Mittag mitteilten. Der Häftling habe einen Hubschrauber haben wollen, um zu fliehen, hieß es. In drei Wochen wäre er ohnehin entlassen worden.
Der Häftling hatte in den frühen Morgenstunden eine 29 Jahre alte Auszubildende überwältigt. Wie es von der Polizei hieß, bedrohte er sie außerhalb der Zelle mit einem aus einer „Rasierklinge gefertigten gefährlichen Gegenstand“. Spezialisten der Polizei versuchten, mit dem Mann zu verhandeln. Dies gelang aber trotz „intensiver Kommunikationsversuche“nicht, wie es am Freitag hieß.
Immer wieder habe der Häftling seiner Geisel die Klinge an den Hals gehalten und gedroht, sie zu töten. Seine Forderung: ein Hubschrauber, um aus der JVA zu fliehen. Weil der 40-Jährige einen psychisch unberechenbaren Eindruck machte, setzten die SEK-Beamten nach rund drei Stunden bei der Befreiung der Geisel eine Schusswaffe ein. Der Täter starb noch vor Ort. Aus Neutralitätsgründen
hat die Dortmunder Polizei jetzt die Ermittlungen zu diesem Schusswaffeneinsatz übernommen.
Der Deutsche saß eine viermonatige Haftstrafe wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ab. Konkret ging es um einen Tritt gegen einen Polizisten. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Münster hatte der wohnungslose und alkoholkranke Mann 2019 auf dem Gelände einer Klinik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe randaliert. Die
Pfleger riefen die Polizei. Der Mann wehrte sich und trat in Richtung eines Beamten. Das Amtsgericht verurteilte den Randalierer daraufhin zu einer Bewährungsstrafe.
Weil er in dieser Zeit den Bewährungsauflagen nicht nachkam, musste er schließlich ins Gefängnis. Warum er jetzt, kurz vor seiner Entlassung am 10. November, eine Geisel nahm, ist Teil der Ermittlungen, wie die Staatsanwaltschaft Münster erklärte. Bei der Befreiung der Geisel hatten die Spezialkräfte ein psychisch auffälliges Verhalten beobachtet.
Die 29 Jahre alte Bedienstete sei körperlich nahezu unversehrt, sagte der Sprecher des Ministeriums. Laut Polizei wurde sie durch die Klinge leicht am Hals verletzt. Was bleibt, sind die seelischen Folgen. Man kümmere sich nun intensiv um die Frau, sagte der Ministeriumssprecher. Gleichzeitig drückte er sein Beileid für den 40 Jahre alten Häftling aus: „Wir sind in Gedanken bei den Angehörigen.“
Die Justizvollzugsanstalt Münster liegt mitten im nordöstlichen Stadtgebiet in einem Wohnbereich. Rund um das Gelände liegen enge Straßen. Der denkmalgeschützte Altbau und die Neubauten sind gut einsehbar. Für Anwohner und Passanten waren unter anderem schwer bewaffnete SEK-Beamte nach dem Einsatz zu sehen.
Bereits vor vier Jahren hatte das Gefängnis in Münster bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Der über 160 Jahre alte denkmalgeschützte Altbau musste innerhalb von 48 Stunden geräumt werden. Die nahezu 500 betroffenen Häftlinge sollten vor einem drohenden Einsturz geschützt werden. Sie wurden kurzfristig auf Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen verteilt.
Um einen Neubau gibt es schon viele Jahre lang Streit. Die SPDFraktion im Landtag warf am Freitag die Frage an den Justizminister auf, „ob der bauliche Zustand der Justizvollzugsanstalt Münster die Geiselnahme begünstigt hat“. Notfalls werde man eine Sondersitzung des Rechtsausschusses beantragen, um den Fall aufzurollen.
Er sollte schon Anfang November entlassen werden