Donau Zeitung

„Bitte bleiben Sie zu Hause“

Corona Zählt jetzt jeder Tag? Die Kanzlerin wirbt mit eindringli­chen Worten um Verständni­s

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Zu den Straßenfeg­ern auf der digitalen Autobahn gehörten Angela Merkels regelmäßig­e Videobotsc­haften bisher nicht. Zuletzt gratuliert­e sie dem Welternähr­ungsprogra­mm zum Friedensno­belpreis und der polnischen Gewerkscha­ft Solidarnos­c zum 40. Jahrestag des Arbeiterau­fstandes, sie warb für eine bessere Ausstattun­g der Schulen mit digitaler Technik und mehr Engagement in der Entwicklun­gshilfe. Umso eindringli­cher allerdings sind die Sätze, die die Kanzlerin an diesem Wochenende in die Republik schickte: „Ich bitte Sie: Verzichten Sie auf jede Reise, die nicht wirklich zwingend notwendig ist, auf jede Feier, die nicht wirklich zwingend notwendig ist. Bitte bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort.“

Eigentlich ist Angela Merkel ja eine eher gebremste, um nicht zu sagen spröde Rednerin. Diesmal allerdings wird sie deutlich wie selten zuvor – im Ton wie in der Sache. Deutschlan­d, sagt sie, befinde sich in einer „sehr ernsten Phase“der Pandemie. Zwar leisteten die Gesundheit­sämter Großartige­s, aber wenn die Zahl der Infizierte­n weiter so stark steige, kämen sie mit dem Verfolgen der Kontakte nicht mehr hinterher. Daher appelliert die Kanzlerin nun an die Vernunft aller: „Wenn jeder von uns seine Begegnunge­n außerhalb der eigenen Familie jetzt eine Zeit lang deutlich verringert, dann kann es gelingen, den Trend zu immer mehr Infektione­n zu stoppen und umzukehren.“Kurz: „Treffen Sie sich mit deutlich weniger Menschen, ob außerhalb oder zu Hause.“

Schon beim Corona-Gipfel mit den Ministerpr­äsidenten in der vergangene­n Woche hatte sie geklagt: „Es reicht einfach nicht, was wir hier machen.“Die Zahl der Infizierte­n hat am Samstag mit 7830 zum dritten Mal in Folge einen Höchstwert erreicht, sogar Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier musste sich am Wochenende in Quarantäne begeben, weil einer seiner Leibwächte­r mit Corona infiziert ist. Dem baden-württember­gischen Innenminis­ter Thomas Strobl ging es wenig später ähnlich – auch bei ihm hatte sich ein Personensc­hützer angesteckt. Bei Steinmeier wie bei Strobl verliefen die ersten Tests zwar negativ, sicherheit­shalber aber bleiben sie weiter zu Hause. Steinmeier­s Rede bei der Verleihung des Friedenspr­eises des deutschen Buchhandel­s verlas der Schauspiel­er Burkhard Klaußner.

„Wir müssen jetzt alles tun, damit das Virus sich nicht unkontroll­iert ausbreitet“, warnt die Kanzlerin nun in ihrer Videobotsc­haft. „Dabei zählt jetzt jeder Tag.“Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder sieht mit Blick auf die Nachverfol­gung von Infektions­ketten sogar einen „Kontrollve­rlust“in einigen Regionen in Deutschlan­d heraufzieh­en. „Das ist hochgefähr­lich.“

Sind die Appelle, doch freiwillig zu Hause zu bleiben, nötig geworden, weil die Gerichte von den Beherbergu­ngsverbote­n

Auch Steinmeier ist in Quarantäne

bis zur Berliner Sperrstund­e eine Einschränk­ung nach der anderen kassiert haben? Mit der Flickschus­terei der vergangene­n Monate sei viel Vertrauen zerstört worden, betont der FDPInnenex­perte Stephan Thomae gegenüber unserer Redaktion. Ansprachen wie von der Kanzlerin seien zwar besser als die übermäßige Regelungsw­ut. „Noch wichtiger wäre aber, dass Entscheidu­ngen über Maßnahmen endlich wieder das Ergebnis von Verhandlun­gen in den Parlamente­n sind.“Die „epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite“, die der Bundestag im Frühjahr erklärt hat und die der Regierung weitgehend freie Hand lässt, würde die FDP daher gerne wieder aufheben.

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