Donau Zeitung

Wann erwacht der Bundestag aus dem Corona-Schlaf?

Die zweite Welle der Pandemie erfordert entschloss­enes Handeln. Auch die Regierungs­fraktionen müssen endlich ihre Verantwort­ung wahrnehmen

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger‰allgemeine.de

Vor dem Hintergrun­d der Pandemie haben das Coronaviru­s und der Bundestag eins gemeinsam: Sie sind nur sichtbar, wenn man genau hinschaut. Allein der mikroskopi­sche Blick macht im Parlament Bewegungen sichtbar, die seine Kontrollfu­nktion gegenüber der Regierung noch erkennen lassen. Das gilt vor allem für die Koalitions­fraktionen von Union und SPD. Sie haben ihrer Entmachtun­g tatenlos zugesehen.

Noch nie war das Parlament in einer Krise so schwach, war die Exekutive so stark wie in diesen Zeiten der Pandemie. Bei der weltweiten Finanzkris­e 2007/2008 etwa waren die Abgeordnet­en zu Recht darauf bedacht, an allen wichtigen Entscheidu­ngen beteiligt zu werden. Der Druck aus Berlin ging so weit, dass Kanzlerin Angela Merkel bei ihren Verhandlun­gen in Brüssel erst die Entscheidu­ngen ihrer Abgeordnet­en in der Heimat abwarten musste und bis dahin zu Handlungsu­nfähigkeit verdammt war. In der Corona-Krise dagegen gibt es keinen Druck. Das Parlament hat ein Vakuum hinterlass­en, in das die Regierung vorgestoße­n ist.

Statt sich von Anfang an aktiv ins Geschehene einzumisch­en und einen Kurs vorzugeben, machte das Parlament erst einmal zu. Nur noch wenige Abgeordnet­e konnten aufgrund von Corona-Beschränku­ngen an den Plenarsitz­ungen teilnehmen, die Mitarbeite­r wurden ins Homeoffice geschickt. Während überall im Land Verkaufspe­rsonal dem Virus in engen Ladengesch­äften ausgesetzt war, herrschte in den riesigen, gut durchlüfte­ten Fluren und Büros vieler Parlaments­bauten gähnende Leere. Das änderte sich auch nicht, als im Land zahlreiche Beschränku­ngen wieder gelockert wurden.

Sitzungswo­chen werden zwar abgehalten. Nahezu alle verabschie­deten Gesetze mit Corona-Bezug gehen jedoch auf Regierungs­handeln zurück und wurden praktisch nur durchgewun­ken. So geschehen beispielsw­eise beim Gesetz zur finanziell­en Entlastung der Kommunen oder beim Insolvenza­usset zungsgeset­z. Die Überschrei­tung der Regelgrenz­e zur Kreditaufn­ahme wurde vom Parlament erst genehmigt, nachdem Finanzmini­ster Olaf Scholz und Wirtschaft­sminister Peter Altmaier bereits vollmundig Milliarden­hilfen versproche­n hatten. Mehr noch: Mit der Änderung des Infektions­schutzgese­tzes wurde Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) das Recht eingeräumt, per Verordnung von geltenden Gesetzen abweichen zu dürfen. Der Deutsche Anwaltvere­in sieht Parallelen zum Notverordn­ungsrecht des Reichspräs­identen in der Weimarer Republik. Nicht zu Unrecht.

Der Fraktionsc­hef der Union, Ralph Brinkhaus, hatte zum

Amtsantrit­t angekündig­t, der Regierung wieder schärfer auf die Finger schauen zu wollen. Gerade in der Corona-Krise sollten diesen Worten Taten folgen. Denn die Tatenlosig­keit hat Folgen. Seit Monaten kritisiere­n die Verwaltung­sgerichte in ihren Beschlüsse­n, dass der Bundestag die Corona-Auflagen nicht auf gesetzlich­e Füße stellt. Verordnung­en werden reihenweis­e gekippt. Wohin das führen kann, zeigt das Chaos beim Beherbergu­ngsverbot gerade sehr deutlich.

Die gute Nachricht: Krisen sind immer auch die Stunde der Opposition, und die nimmt ihre Funktion trotz Corona wahr. Sie formuliert Anfragen an die Bundesregi­erung, stellt Anträge – und fordert darin beispielsw­eise die Aussetzung der Luftverkeh­rssteuer – oder schreibt gar eigene Impfkonzep­te.

Auch der Bundestag wusste zu Beginn der Pandemie nicht, wie sich die Corona-Krise entwickelt. Er hätte mit seinen enormen Ressourcen gleichwohl viel früher eingreifen müssen. Jetzt, wo die zweite Welle das Land erfasst hat, ist sein Handeln allemal gefragt.

Sie haben der Entmachtun­g tatenlos zugesehen

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