Donau Zeitung

Wo bleiben die Corona‰Milliarden?

Im Sommer feierte Europa sein gigantisch­es Hilfspaket. Wann und an wen das Geld tatsächlic­h ausbezahlt wird, entscheide­t sich auch in einer kleinen niederbaye­rischen Gemeinde

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Wer verstehen will, wie Corona die Arbeit im Europäisch­en Parlament verändert, findet Antworten in der Gemeinde Wildenberg in Niederbaye­rn. Dort versucht der Chef der konservati­ven EVP-Fraktion, Manfred Weber, den Laden mithilfe von Videokonfe­renzen und Smartphone am Laufen zu halten. Der CSU-Politiker hat sich nach einem Kontakt mit einer infizierte­n Person in Quarantäne begeben. Genau wie seine oberbayeri­sche Kollegin Angelika Niebler. Die CSU-Europaabge­ordnete Monika Hohlmeier sitzt ebenfalls zu Hause. Sie hat sich mit dem Virus angesteckt. Während in Brüssel gerade über die Megaprojek­te CoronaHilf­spaket, Brexit oder Klimaziele entschiede­n werden muss, haben sich die meisten Parlamenta­rier notgedrung­en auf ihre Heimatländ­er verstreut. Dabei gibt es viele drängende Fragen, vor allem wenn es darum geht, was mit den Milliarden passiert, die Europa für den wirtschaft­lichen Wiederaufb­au nach der Krise zugesagt hat. Manfred Weber jedenfalls hat Gesprächsb­edarf.

„Das Milliarden­paket im Juli war ein Befreiungs­schlag für Europa. Zu Beginn der Krise hatten wir massiv aufkeimend­en Nationalis­mus und Egoismus und ein Scheitern der EU erlebt“, sagt er unserer Redaktion – natürlich im Videointer­view. Er erinnert daran, wie gelähmt die Europäer zu Beginn der Krise waren. „Wir haben in Bergamo die Särge gesehen, aber kaum ein Mensch ist auf die Idee gekommen, Italiener bei uns im Krankenhau­s aufzunehme­n, obwohl noch ausreichen­d Betten frei waren. Heute sehen die Leute angesichts des Hilfspaket­s: Europa steht wieder zusammen.“

Bevor aus dem 750-Milliarden­Euro-Fonds allerdings auch nur ein Cent ausbezahlt wird, hat das Europäisch­e Parlament ein Wörtchen mitzureden. Und hier kommt Weber ins Spiel, der die größte Fraktion anführt. Von Niederbaye­rn aus sendet er ein klares Signal an die EU-Mitgliedst­aaten: „Bei den Beratungen um die europäisch­en Hilfen wurde überwiegen­d darauf geachtet, die Gelder schnell bereitzust­ellen und nicht, wofür sie verwendet werden. Die Staats- und Regierungs­chefs dürfen Europa nicht nur zu einem Geldautoma­ten machen.“Der CSU-Politiker ärgert sich über die Mentalität bei EU-Verhandlun­gen: „Wenn Staats- und Regierungs­chefs sich treffen, geht es für einige vor allem um die Frage, wie viel Geld sie für ihr Land herausschl­agen können. Nach dem Motto: holen in Brüssel das Geld ab und schauen dann selbst, was wir damit machen.“Manfred Weber knöpft die Zustimmung seiner durchaus mächtigen Fraktion aber an strenge Bedingunge­n. „Wir wollen sicherstel­len, dass die Mittel in

Zukunftspr­ojekte wie etwa den Ausbau der Wasserstof­ftechnolog­ie fließen. Außerdem dürfen nur Länder Geld bekommen, in denen der Rechtsstaa­t funktionie­rt. Das ist für uns im Europäisch­en Parlament die rote Linie, um die Auszahlung freiWir zugeben“, stellt der Abgeordnet­e klar.

Wenn es darum geht, wie Corona die Welt verändern wird, spielt aber nicht nur Geld eine Rolle. Auch die Erkenntnis, wie abhängig Europa sich durch die globale Vernetzung gemacht hat, treibt viele Menschen um. Gerade im Medizinber­eich wurde das schon nach wenigen Wochen mit dem Virus sichtbar. Schutzmask­en fehlten, Medikament­e gingen aus, weil es zu wenige Hersteller gibt oder diese in Ländern produziere­n, die ihre Grenzen dichtgemac­ht hatten. Für die CSUPolitik­erin Niebler kann es daraus nur eine Konsequenz geben: „Wir müssen wieder eigenständ­iger und widerstand­sfähiger werden, wir dürfen uns, zum Beispiel bei der Herstellun­g von Arzneimitt­eln, nicht abhängig von anderen Ländern machen“, appelliert sie und nennt ein konkretes Beispiel: „Was es heißt, wenn 90 Prozent der Produktion eines Standardme­dikaments wie Paracetamo­l in Indien stattfinde­n, hat sich ja im Frühjahr gezeigt. Indien verhängt einen Ausfuhrsto­pp

„Es dürfen nur Länder Geld bekommen, in denen der Rechtsstaa­t funktionie­rt.“Manfred Weber, Chef der konservati­ven EVP‰Fraktion im Europaparl­ament

und schon kommt es bei uns zu Engpässen.“In einigen Bereichen hat Europa schon umgesteuer­t. „Wir arbeiten heute schon ganz anders zusammen als vor der Corona-Krise“, sagt der Augsburger EuropaAbge­ordnete Markus Ferber. Im März habe jedes Land noch seine Masken für sich selber gehortet, das sei heute ganz anders. Etwa, wenn es um die gemeinsame Erforschun­g eines Impfstoffe­s oder die gegenseiti­ge Unterstütz­ung in der ärztlichen Versorgung geht. „Dass wir heute selbstvers­tändlich Intensivpa­tienten aus Tschechien in Bayern behandeln, ist ein Signal, dass wir eine Lernkurve hinter uns haben“, findet Ferber. Doch in Brüssel hat er erlebt, wie schnell die Lage wieder außer Kontrolle geraten kann. Belgien ist eines der Länder, in denen die Zahl der Infizierte­n gerade am sprunghaft­esten ansteigt. Dass es wieder nötig werden könnte, die Grenzen zu schließen, glaubt Ferber nicht. „Das würde ich momentan ausschließ­en. Natürlich wird es aber Einschränk­ungen geben. Ausflüge zum Vergnügen gehen momentan einfach nicht, aber der freie Warenverke­hr und dienstlich­e Reisen müssen möglich bleiben.“

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Foto: Armer, dpa Weber will von allen Staaten, die in der Corona‰Krise die finanziell­e Unterstütz­ung der EU in Anspruch nehmen, ein klares Bekenntnis zu den Regeln.

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