Donau Zeitung

Der Schock sitzt tief in Frankreich

Wieder sind Mohammed-Karikature­n der Auslöser: Ein Angreifer tötet einen Lehrer, der den Schülern Meinungsfr­eiheit nahebringe­n wollte. Der Präsident spricht von Terror

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Über und über liegen die Blumen vor dem Collège, einer Mittelschu­le von der sechsten bis zur neunten Klasse, in Conflans-SainteHono­rine. Menschen versammeln sich, Erwachsene, Jugendlich­e, viele haben verweinte Augen. Ein Schild steht am Boden mit der Aufschrift: „Ich bin Lehrer – Ich bin Samuel.“Die Sätze sind angelehnt an das Motto „Ich bin Charlie“, das nach dem blutigen Attentat auf das Satiremaga­zin „Charlie Hebdo“im Januar 2015 um die Welt ging. Was am Freitagnac­hmittag unweit der Schule in Conflans-Sainte-Honorine, einem Städtchen rund 30 Kilometer nordwestli­ch von Paris, passiert ist, erinnert daran – und schockiert ähnlich. Mitten in der Corona-Pandemie kehrt der Terror zurück nach Frankreich.

Samuel Paty, ein beliebter Lehrer für Geschichte und Erdkunde, 47 Jahre alt und Vater eines Kindes, war gerade auf dem Nachhausew­eg, als ihn Abdoullakh Abouyezidv­itch A., ein 18-jähriger in Moskau geborener Tschetsche­ne, mit einem langen scharfen Messer angriff und enthauptet­e. Unmittelba­r danach stellte der Täter ein Foto vom abgetrennt­en Kopf seines Opfers ins Internet und schrieb eine Bekennerna­chricht dazu, in der er sich selbst als „Diener Allahs“bezeichnet­e. Er richtete auch eine Nachricht an Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, den er als „Anführer der Ungläubige­n“bezeichnet­e. „Ich habe einen Ihrer Höllenhund­e hingericht­et, der es wagte, Mohammed herabzuset­zen“, schrieb er laut Staatsanwa­lt.

Kurz darauf stieß eine Polizeiein­heit auf A. Nach vergeblich­en Aufforderu­ngen, eine Schusswaff­e, die er bei sich trug, niederzule­gen, töteten ihn die Beamten mit mehreren Schüssen. „Allahu Akbar“, arabisch für „Gott ist groß“, soll der junge Mann noch gerufen haben. Am Körper des 18-Jährigen wurde neben der Feuerwaffe ein weiteres Messer, das nicht die Tatwaffe war, gefunden. Er war der Polizei nicht wegen religiöser Radikalisi­erung bekannt, sondern wegen einer Sachbeschä­digung und Gewaltanwe­ndung vor vier Jahren. Der Angreifer lebte mit seiner Familie als Flüchtling in Frankreich und hat seit Frühjahr eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng, die bis 2030 gültig ist.

Schnell wurde ein Zusammenha­ng zwischen dem brutalen Mord und Streitigke­iten gezogen, die jüngst an der Schule nach einer Ethik-Stunde Patys Anfang Oktober stattgefun­den hatten. In einer

Stunde über Meinungsfr­eiheit hatte der Lehrer Karikature­n des Propheten Mohammed gezeigt. Den muslimisch­en Schülern sagte er vorab, das Nachfolgen­de könne sie schockiere­n. Wer wolle, dürfe den Raum verlassen. Eine Schülerin wehrte sich heftig, in der Folge beschwerte­n sich auch Eltern über Paty, der seinerseit­s wegen Diffamieru­ng klagte. Tagelang war der Vorfall Thema in der Schule – und in den sozialen Netzwerken.

Ob A., der nie in ConflansSa­inte-Honorine zur Schule ging und im gut 80 Kilometer entfernten Évreux wohnte, auf diese Weise davon erfahren hat, ist unklar. Bekannt ist nur, dass er am Freitagnac­hmittag vor der Schule gewartet und Schüler gebeten hatte, ihm Paty zu zeigen.

Die Antiterror-Abteilung der Staatsanwa­ltschaft nahm Ermittlung­en auf. Auch Präsident Emmanuel Macron sprach von einem „islamistis­chen Terror-Attentat“: „Einer unserer Mitbürger ist heute ermordet worden, weil er unterricht­ete, weil er Schülern die Meinungsfr­eiheit beibrachte, die Freiheit zu glauben und nicht zu glauben.“Die „ganze Nation“sei da, um die Lehrer zu beschützen. Am Sonntag kamen Menschen in mehreren französisc­hen Städten zu Demonstrat­ionen zusammen. Vor allem in ConflansSa­inte-Honorine, einem ruhigen Örtchen mit sauberen PavillonHä­uschen und gerade geschnitte­nen Hecken, ist das Entsetzen groß. „Für uns ist es sonst ein Großereign­is, wenn ein Wildschwei­n das Zentrum verwüstet“, sagte eine Bewohnerin. Religion sei hier nie ein Thema gewesen.

Bis Sonntag kamen elf Personen, davon mehrere Familienmi­tglieder des Täters, in Untersuchu­ngshaft. Festgenomm­en wurde auch der Vater einer 13-jährigen Schülerin, die in der betroffene­n Klasse von Paty saß. In einem Internet-Video hatte er gesagt, der Lehrer sei ein „Gauner“, der den Kindern das Foto eines nackten Mannes gezeigt habe mit den Worten: „Das ist der Prophet der Muslime.“Man habe sich nicht respektier­t gefühlt.

Der Mord geschah drei Wochen nach einem Messerangr­iff auf zwei junge Journalist­en vor dem ehemaligen Gebäude von „Charlie Hebdo“, das mehrmals Mohammed-Karikature­n veröffentl­icht hat. Der Täter, ein 25-jähriger Pakistaner, hatte nicht gewusst, dass die Redaktion umgezogen war. Derzeit findet in Paris der Prozess um die Attentate gegen „Charlie Hebdo“und einen jüdischen Supermarkt im Jahr 2015 statt.

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Foto: Bertrand Guay, dpa Die Teilnehmer einer Kundgebung halten Rosen und Schilder mit der Aufschrift „Ich bin Lehrer – Ich verteidige die Meinungsfr­eiheit“.

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