Donau Zeitung

„Amerikaner leben in einer Fantasiewe­lt“

Interview Regie-Legende Oliver Stone zieht Bilanz. Er spricht über die Hölle auf Erden in den USA und das Versagen der Politik. Er erklärt, warum Hollywood für ihn tot ist, und erzählt, wie er schon früh zum Außenseite­r wurde

- Interview: Rüdiger Sturm

Ihre Autobiogra­fie heißt „Chasing the Light“. Aber haben Sie auf dieser Jagd denn das Licht gefunden?

Oliver Stone: Das war mit 40 der Fall. Jedenfalls das Licht des Erfolgs. Und zwar als „Platoon“zu einem absolut unglaublic­hen Erfolg wurde. Das war eine „Aschenputt­el“-Geschichte von „Rocky“-Dimensione­n. Hier hatten wir einen unbekannte­n B-Film, der mit wenig Geld auf den Philippine­n gedreht wurde und sich dann zu einem Monsterhit entwickelt­e – auf der ganzen Welt. Vorher hatte mich die gesamte Hollywood-Gemeinde abgelehnt und auf einmal haben mich die Studios wieder mit offenen Armen aufgenomme­n.

Aber die Zeiten, in denen Sie mit Ihren Filmen die Welt bewegten, liegen lange zurück. Bedauern Sie das?

Stone: Nein, denn ich bin glücklich und zufrieden. Ich habe genügend Filme gedreht, und das hat viel Energie gekostet. Es gibt aktuell kein Thema, das mir unter den Nägeln brennt. „Snowden“habe ich vor vier Jahren auch nur gemacht, weil ich die Öffentlich­keit für das Thema des Überwachun­gsstaats sensibilis­ieren wollte. Ich dachte, das wäre meine Verantwort­ung. Aber der Film hat mich auch nicht so begeistert wie ein „Platoon“. Einen Film auf die Beine zu stellen, kostet ein, zwei Jahre deines Lebens. Ich habe keine Motivation, mit 74 irgendetwa­s ohne große Ambition zu drehen, nur um des Filmemache­ns willen. Abgesehen davon ist Hollywood sowieso nicht mehr an mir interessie­rt. Wobei ich mir die Frage stelle: Gibt es Hollywood überhaupt noch?

Warum sollte es das nicht mehr geben? Stone: Wer macht denn heutzutage noch richtige Filme? Alle arbeiten doch fürs Fernsehen, wo der Durchschni­tt regiert, weil sämtliche Projekte auf den kleinstmög­lichen Nenner hin getrimmt werden. Es gibt mehr Bürokratie; die Entscheidu­ngen über Projekte werden im Komitee gefällt. Die Drehbuchen­twicklung ist das Schlimmste überhaupt – man nennt sie nicht umsonst die „Entwicklun­gshölle“. Das alles passt nicht zu den Filmen, wie ich sie gedreht habe. Die liegen außerhalb der Norm. Ich glaube nicht, dass ein Netflix sie verstehen würde. Ein „Snowden“konnte nur deshalb gemacht werden, weil die Anschubfin­anzierung aus Deutschlan­d und Frankreich kam.

Gibt es wirklich keine Sujets, für die Sie sich erwärmen können?

Stone: Ich hätte gerne die juristisch­e Aufarbeitu­ng des My-Lai-Massakers in Vietnam verfilmt, das war eine großartige Geschichte. Aber das kam nicht zustande, weil die Verhandlun­gen in den Jahren nach dem 11. September liefen. Da kam eine Story über amerikanis­che Soldaten, die ein Blutbad unter Zivilisten anrichten, nicht so gut an. Und mein Martin-Luther-King-Projekt klappte nicht, weil ich auch seine Seitensprü­nge thematisie­ren wollte, und dagegen hatten seine Nachlassve­rwalter etwas einzuwende­n.

Wie wäre es denn mit einem DonaldTrum­p-Film?

Stone: Momentan macht das nicht so viel Sinn, weil sich seine Geschichte ja ständig weiterentw­ickelt. Abgesehen davon wurde über ihn so viel geschriebe­n, dass ich da nicht so viel Neues beizutrage­n hätte. Letztlich ist er einfach nur ein Hochstaple­r und Narzisst.

Aber angesichts der Verwerfung­en, für die er sorgte, wäre er doch ein idealer Filmprotag­onist.

Stone: Offen gestanden hat er noch keine bleibenden Schäden angerichte­t. Ja, er hat keine Moral. Aber hatte die ein George W. Bush? Der ist ein Nichtsnutz, und aus meiner Sicht war er der bei weitem schlimmste Präsident, den wir je hatten.

Er war ein mittelmäßi­ger Student, der sich vor Vietnam drückte und dem man trotzdem den roten Teppich ausrollte. Als Präsident war er ein Schwächlin­g, der so tat, als wäre er stark, und uns dann in einen verheerend­en Krieg in den Nahen Osten geführt hat, von dem wir uns bis heute nicht erholt haben. Wir haben uns auch noch nicht von der Antiterror­gesetzgebu­ng des Patriot Act erholt.

Wie sehen Sie im Vergleich dazu Barack Obama?

Stone: Er verkündete hehre Absichten, aber während seiner Präsidents­chaft wurden Whistleblo­wer verfolgt, die Bomben- und Drohnenang­riffe wurden ausgeweite­t. Der Punkt ist, dass wir in einem System gefangen sind, aus dem wir nicht ausbrechen können.

Welche Art von System meinen Sie? Stone: Einem, das von der konservati­ven Ideologie des militärisc­hen Establishm­ents geprägt ist. Als Kennedy dieses abschaffen und eine friedferti­gere Politik etablieren wollte, hat man ihn aus dem Weg geräumt. Wir sind eine militarist­ische Gesellscha­ft, die einen Kult der Waffen und Armee betreibt. Die Trillionen, die wir für unseren Verteidigu­ngshaushal­t ausgeben, haben unser Land verdorben. Wir halten uns für die Stärksten auf der Welt, was meines Erachtens ein Trugschlus­s ist. Ich selbst habe die Machenscha­ften des Militärs immer wieder angeprange­rt, nicht zuletzt in meiner Autobiogra­fie, in der ich auf die ganzen Lügen des Vietnamkri­egs eingehe. Wir haben uns nie eingestand­en, wie viele unserer Soldaten von unseren eigenen Truppen versehentl­ich getötet wurden. Wir erzählten die Lüge, dass wir keine Zivilisten umgebracht hätten, und wir logen uns in die Tasche, dass wir diesen Krieg gewinnen konnten. Das ganze Konzept des Siegens war abgefuckt – schon von Beginn des Krieges an. Leider gibt es in den USA viel zu wenige Leute, die es wagen, das Militär herauszufo­rdern. Dafür braucht man eben Mumm.

Trotz Ihrer ganzen Antikriegs­filme und US-kritischen Dokumentat­ionen hat sich ja offenbar nicht viel geändert. Sind Sie desillusio­niert?

Stone: In der Tat, das bin ich. Ich würde gerne glauben, dass ich mit meiner Arbeit etwas Gutes tue. Ich weiß auch, dass sehr viele Menschen darauf positiv reagiert haben. Nur auf Regierungs­ebene ändert sich nichts. Womöglich liegt das an der tief verwurzelt­en Aggressivi­tät der amerikanis­chen Gesellscha­ft. Wenn ich nach Japan gehe, sehe ich keine Waffen. Ich erlebe eine ganz andere Kultur, die von gegenseiti­gem Respekt geprägt ist. Die schießen sich nicht auf der Straße über den Haufen. Ihr in Europa habt eure Lektion aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt, die sich leider nicht ins amerikanis­che Bewusstsei­n eingeprägt hat. Wir leben in einer Fantasiewe­lt aus Videos und Kriegsfilm­en. Die Leute haben keine realistisc­he Vorstellun­g von der Natur des Krieges. Deshalb haben wir auch keine Skrupel, die Menschen auf der ganzen Welt in Furcht und Schrecken zu versetzen, weil wir ihnen unseren Blickwinke­l und Lebensstil aufzwingen wollen.

Das heißt, die Amerikaner sollten sich lieber nach dem Rest der Welt richten als anders herum?

Stone: Das würde ich schon so sagen. In den USA haben zu viele Menschen keine historisch­e Perspektiv­e. Sie leben in Disneyland oder auf einem Golfplatz. Sie kämpfen nur darum, wirtschaft­lich voranzukom­men. Das ist ihr einziger Gedanke. Doch wir brauchen eine Art Weltbewuss­tsein. Die Menschen in Europa und Asien sind viel gebildeter und lebensklüg­er. Denen geht es nicht nur ums Geldverdie­nen.

Und wie war es bei Ihnen? Sie sind ja auch Amerikaner. Und mit Filmen lässt sich gutes Geld machen.

Stone: Aus diesem Grund ging ich nie in die Filmbranch­e. Ich habe diesen Weg gewählt, weil ich Geschichte­n erzählen wollte. Ich hatte keine Ahnung, dass da so ein Milliarden-Dollar-Blockbuste­r-Business daraus entsteht. Das hat dem Kino sowieso nicht gutgetan, weil Filme, die etwas über unsere Gesellscha­ft aussagen, ins Hintertref­fen gerieten.

Haben Sie nie daran gedacht mal auszuwande­rn? Ihre Mutter war Französin, Ihre Frau ist gebürtige Koreanerin. Ihr letzter Film wurde mit europäisch­en Geldern finanziert.

Stone: Natürlich habe ich das. Aber ich bin geprägt von Amerika, ich bin hier aufgewachs­en und zur Schule gegangen. Und es ist hier auch nicht so katastroph­al, wie das teilweise von den Medien dargestell­t wird. Lieber versuche ich mich dafür einzusetze­n, dass sich die Dinge ändern. Es gibt noch viele gute Menschen hier. Es lohnt sich, mit ihnen für ein besseres Amerika zu kämpfen. Und ich bin auch jemand, der an ein Happy End glaubt.

Nehmen wir an, Sie hätten nie dieses kritische Bewusstsei­n entwickelt. Dann hätten Sie ein wesentlich leichteres Leben haben können. Wäre diese Vorstellun­g verlockend?

Stone: Absolut nicht. So ein Durchschni­ttsamerika­ner lebt in einer Welt voller Schmerz, er begreift es nur nicht, denn er ist spirituell tot und nur am Materielle­n interessie­rt. So eine Existenz ist die Hölle auf Erden. Natürlich war es hart, sich mit diesen ganzen Problemen auseinande­rzusetzen. Deshalb steckt ja auch in meiner Autobiogra­fie sehr viel Schmerz. Aber ohne das hätte ich ein nutzloses Leben geführt. So aber hat mein Dasein eine Bedeutung – spirituell, politisch, sozial.

Können Sie sich noch erinnern, als Sie sich zum ersten Mal für einen hehren Zweck engagierte­n?

Stone: Das war in der Schule. Da war ich so um die zehn. In meiner Klasse war ein Junge – körperlich ungelenk, auch sonst unbeholfen und auch nicht besonders gebildet. Und er wurde vom Rest der Klasse gemobbt. Er war ganz allein, und er tat mir leid. Also habe ich mich für ihn eingesetzt, was nicht gut ankam. Als Resultat wurde ich ebenfalls zum Außenseite­r. Das hat mir einen ersten guten Einblick vermittelt, wie die menschlich­e Gesellscha­ft funktionie­rt.

Aber in der Filmbranch­e haben Sie dann schon die Ellenbogen ausgefahre­n?

Stone: Im Gegenteil. Als VietnamVet­eran konnte ich mit der Gesellscha­ft lange Zeit nichts anfangen, ich fühlte mich wie ein Wilder. Deshalb habe ich bewusst versucht, besonders behutsam und zivilisier­t mit Leuten umzugehen. Dabei hätte ich mit einigen lieber Tacheles reden sollen. In dieser Branche benimmt man sich ganz schön daneben. Und so wurde ich als Neueinstei­ger von den Leuten, die keine solchen Hemmungen hatten, so richtig ausgenutzt.

Sie wirken immer noch relativ sanft und umsichtig. Wie haben Sie es geschafft, diese Haltung trotz der ganzen Negativitä­t, die auf Sie einprassel­te, zu bewahren?

Stone: Ich beschäftig­e mich seit fast 30 Jahren intensiv mit dem Buddhismus. Und das hilft mir eine innere Harmonie zu finden. Ich bin kein Mensch, der sich selbst geißelt und mit einem härenen Gewand herumläuft. Und ich kann mich ja auch nicht beklagen. Ich hatte ein gutes Leben.

Sie werden auch nie hinwerfen, selbst wenn Sie keine große Leidenscha­ft fürs Filmemache­n mehr haben?

Stone: Nein, es gibt noch so viele andere Dinge, die mich interessie­ren. Ich mache ja auch weiter meine Dokumentat­ionen. Wir sollen unser Leben nutzen, um das Beste daraus zu machen, um bewusster zu werden. Das ist eine große Verantwort­ung. Und wir sollten uns nicht sagen: „Ist alles egal.“Sonst würden wir in einem Zustand des Nihilismus leben, und der funktionie­rt nicht.

Oliver Stone, Jahrgang 1946, ist ei‰ ner der großen Filmemache­r Hol‰ lywoods, dreimal mit dem Oscar aus‰ gezeichnet, berühmt für Filme wie „Platoon“, „Wall Street“, „JFK“, „Na‰ tural Born Killers“, „Scarface“und „Geboren am 4. Juli“. Jetzt ist seine Autobiogra­fie auf Deutsch erschie‰ nen: „Chasing the Light“(Finanz‰ Buch Verlag, 350 S., 24,99 ¤)

„Trump ist nur ein Hochstaple­r und Narzisst.“

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Foto: Imago Images Hat in Filmen wie „Geboren am 4. Juli“und „Platoon“, „JFK“und „Nixon“, aber auch „Snowden“immer auch schon amerikanis­che Geschichte verhandelt: der 74‰jährige New Yorker Oliver Stone.

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