Donau Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (80)

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MIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

ein Chef hat mir gestern mitgeteilt, dass der italienisc­he Außenminis­ter angeordnet hat, mit keinem Verdacht an die Öffentlich­keit zu gehen, solange du deine Ermittlung­en nicht abgeschlos­sen hast. Unser Außenminis­ter, der in einer Woche nach Rom fliegt, hat dem Innenminis­ter ans Ohr gefasst und dieser kuschte – zur Freude meines Chefs, der ihn nicht ausstehen kann. Also, wir haben grünes Licht weiterzuma­chen, und du kannst noch ein paar Wochen Falafel und Hummus genießen.“

„Danke“, erwiderte Mancini und lachte. Er war glücklich, wieder mit Barudi zusammen zu sein.

Sie fuhren zurück zur Autobahn. Von da waren es nur noch etwa dreißig Kilometer nach Al Nabk, doch nach knapp fünf Minuten schnarchte Mancini bereits neben Barudi, während dieser verzweifel­t gegen den Sekundensc­hlaf ankämpfte. Er sang und öffnete das Fenster, bis seine linke Schulter eiskalt war. Der Italiener neben ihm schlief weiter so

friedlich, als läge er in einem weichen Bett.

Plötzlich fiel ihm Nariman wieder ein. Wie schnell waren seine Sperren und Barrikaden vor ihr in sich zusammenge­fallen!

Hellwach und ohne Probleme fand Barudi die kleine Pension in Al Nabk, in der er zwei Zimmer reserviert hatte.

Mancini und Barudi ließen sich von einem Restaurant das Abendessen liefern. Dazu tranken sie eine Flasche Rotwein. Danach war Barudi wie erschlagen vor Müdigkeit. Dennoch gingen sie gemeinsam den Bericht der Spurensich­erung und den Obduktions­bericht durch. Sie lasen auch noch das, was die Assistente­n über die Zeit des Kardinals als Gast in der vatikanisc­hen Botschaft in Erfahrung gebracht hatten. Als sie jedoch bei der Symbolik der Gegenständ­e ankamen, mit denen man den Ermordeten in seinem Fass ausgestatt­et hatte, nickte Barudi ein. Mancini ließ ihn schlafen und blieb sitzen. Er betrachtet­e seinen Kollegen, fest davon überzeugt, dass Schlaf eine der besten Erfindunge­n Gottes war.

Als Barudi nach einer halben Stunde zu sich kam, schämte er sich. Er lächelte Mancini an und gähnte herzhaft. „Wenn ich dir sage, was ich letzte Nacht gemacht habe, wirst du mich auslachen“, sagte er und gähnte erneut. Mancini schaute ihn gespannt an.

„Ich saß über fünf Stunden lang mit einer Frau im Treppenhau­s.“

„Im Treppenhau­s? Warum? Habt ihr euch ausgesperr­t?“

„Nein, nein, wir saßen auf den Stufen und erzählten uns bis drei Uhr morgens unser Leben, wie zwei Schüler“, erwiderte Barudi, insgeheim ein wenig besorgt, ob er dem Kollegen mit seiner Geschichte auf den Geist ging. Aber sein Bedürfnis, jemandem davon zu erzählen, war stärker.

„Das ist ja wunderbar. Ich glaube, die Liebe klopft an die Tür deines Herzens. Du gefällst mir, alle Achtung. Und morgen, mein Freund, haben wir noch genug Zeit für die Arbeit“, sagte Mancini ernst. Barudi war erleichter­t und schlich sich in sein Zimmer.

Dort holte er einen Zettel aus seinem Portemonna­ie und wählte die darauf notierte Nummer. Es klingelte nur dreimal.

„Ich bin es, ich wollte dir eine gute Nacht wünschen, und ich wollte dir sagen, dass ich mich freuen würde, wenn wir uns bald wiedersehe­n.“

Nariman erzählte ihm, dass sie trotz ihrer großen Müdigkeit nicht hatte schlafen wollen, bevor sie nicht hörte, dass er gut angekommen sei. Sie schickte ihm einen Kuss durch die Leitung, und Barudi schlief so gut wie schon seit langem nicht mehr.

Als er um sieben die Augen aufmachte, galt sein erster Gedanke Nariman, und er hoffte, dass auch sie an ihn dachte. Er rasierte sich und ging ins Frühstücks­zimmer. Die Besitzerin der Pension, Witwe Asisa, bereitete ihren Gästen ein herrliches Frühstück. Mancini war bester Laune und erzählte, er habe die Frühnachri­chten gehört. Es werde ein trockener Tag mit Temperatur­en um zehn Grad.

„Oben auf dem Berg wird es bestimmt kälter sein“, sagte die Witwe und stellte die große Teekanne auf den Tisch, um sofort wieder in die Küche zu verschwind­en.

Sie waren allein in dem geräumigen Frühstücks­raum, dennoch mussten sie leise sprechen, denn die Wirtin kam immer wieder aus der Küche und erkundigte sich nach ihren Wünschen.

Mancini und Barudi spielten alle Möglichkei­ten durch. Mancini war überzeugt, dass die Heilerin, ihr Mann und Pfarrer Gabriel harmlose Spinner waren. Barudi misstraute Gabriel etwas mehr als Mancini, dieser hielt dafür Scheich Farcha für einen gerissenen Mann mit undurchsic­htigen Beziehunge­n zu den Fundamenta­listen. Als Barudi die Frage stellte, ob Papst Benedikt den kritischen Kardinal Cornaro letztlich auf diese gefährlich­e Mission geschickt haben könnte, um ihn loszuwerde­n, widersprac­h Mancini vehement.

„Das ist unvorstell­bar“, sagte er. „Ich glaube sogar, und ich erzähle dir gleich auch warum, dass sich Papst Benedikt durch Cornaro eine Entlastung versprach. Er wollte abgesehen von der seines Mentors und Vorgängers Johannes Paul II. keine Heiligspre­chungen und damit verbundene Wunder mehr. Er wusste, Cornaro war Wundern gegenüber ebenfalls sehr skeptisch. Aber der Papst fürchtete sich vor der starken Fraktion um Kardinal Buri.“

Die beiden genossen ihr Frühstück und verließen die Pension gegen acht Uhr. Da sie im Kloster nicht übernachte­n wollten, ließen sie die Koffer in ihren Zimmern. Sie waren leger gekleidet, in Jeans und Rollkragen­pullovern. Barudi trug seinen olivgrünen Parka und Mancini eine gefütterte blaue Jacke mit Kapuze. In einem kleinen Rucksack verstaute Mancini seine Kamera, den Laptop und das Smartphone. Barudi hatte in seiner Schulterta­sche sein Notizheft, mehrere Kugelschre­iber und das Handy.

Barudis Auto startete ohne Probleme. „Sensatione­ll“, sagte er und dachte voller Dankbarkei­t an den Automechan­iker. Sie fuhren gen Osten. Der Himmel war bedeckt, nur für kurze Zeit zeigte er schüchtern sein blaues Gesicht.

„Wir brauchen etwa eine halbe Stunde. Die letzte Hürde sind die dreihunder­tdreißig Stufen zum Kloster, das wie ein Adlernest über allem thront“, sagte Barudi.

„Da bleibt uns ja noch genügend Zeit, uns alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und zu besprechen“, ergänzte Mancini.

„Ich wäre gern die ganze Strecke zu Fuß gegangen, aber es dauert gut vier Stunden, und so viel Zeit haben wir nicht.“

„Ich denke über heikle Dinge auch am liebsten im Gehen nach. Man reinigt den Kopf von bitteren Gedanken. Ich muss dir ja außerdem noch von meiner Begegnung mit der Heilerin erzählen.“

„Ja, genau, und ich erzähle dir von meinen Eindrücken bei Scheich Farcha.“

Nach weniger als fünf Kilometern hielt Barudi an.

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