Erst Venedig, jetzt Dillingen
Mit ihrer ersten Schauspielrolle gewann die Weisingerin Nadine Sauter direkt Preise. Ihr neuer Film wurde überraschend für die Filmfestspiele von Venedig auserwählt. Dafür ging es mit dem VW-Bus quer durch Europa
Dillingen Eine lesbische Schlussmachszene auf dem Dorf – das wäre mal was, dachten sich die Schulfreundinnen Nadine Sauter und Lisa Miller. Das ist nun einige Jahre her. Aus dem vermeintlichen Hirngespinst ist der unkonventionelle, aber sehr erfolgreiche Heimatfilm „Landrauschen“entstanden. Mittlerweile lebt Sauter bereits seit fünf Jahren im Landkreis Dillingen. Die Laienschauspielerin ist eigentlich Heilerziehungspflegerin und arbeitet im Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum Sankt Nikolaus in Dürrlauingen.
„Landrauschen“spielt in ihrem Heimatort Bubenhausen (Landkreis Neu-Ulm) und erzählt von der jungen Toni, die frustriert aus Berlin zurück in ihr ländliches Heimatdorf kommt und dort auf die lebensfrohe Rosa trifft. Im Film haben vor allem Laiendarsteller gewirkt. „Ich dachte, das wird maximal jeweils eine DVD für jeden“, erinnert sich Sauter. 2018 kam die Überraschung: Beim renommierten Max-OphülsWettbewerb räumt das Team um Regisseurin Lisa Miller die Auszeichnung für den besten Spielfilm, den Preis für das beste Drehbuch sowie den Preis der ökumenischen Jury ab.
Für ihre erste Filmrolle gab es zunächst gar kein Budget. Über eine Crowdfundingplattform wurde Geld im niedrigen fünfstelligen Bereich gesammelt. „Wir hätten nie gedacht, dass dieses Ergebnis mit unseren finanziellen Mitteln möglich sein wird.“Deshalb muss Sauter lachen, wenn sie hört, dass ihr neuer Film „Low-Budget“sei. Für die 31-Jährige war die Erfahrung bei der deutsch-französischen Produktion „Und morgen die ganze Welt“überwältigend. Zum Vergleich: Rund eine Million Euro hat der Film gekostet. Plötzlich war sie als Anfängerin vor allem von Profis umgeben.
Ihr Engagement kam eher unkonzustande. Die Regisseurin von „Und morgen die ganze Welt“, Julia von Heinz, sah den Trailer des Heimatfilms, war begeistert. Und zwar vor allem von Nadine Sauter. „Sie wollte mich für die Rolle der Peppa unbedingt haben“, sagt die selbstbewusste Weisingerin. Doch Sauter hatte keine Agentur. Von Heinz, unter anderem bekannt für ihre Verfilmung von Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“, versuchte über die Macher von „Landrauschen“mit der talentierten Laienschauspielerin Kontakt aufzunehmen. Sauter ging erst von einem Scherz aus und musste von der bekannten Regisseurin sogar überzeugt werden, dass sie es ernst mit ihr meinte.
Im Mittelpunkt des fast zweistündigen Films steht Jurastudentin Luisa (gespielt von Mala Emde), die alarmiert vom Rechtsruck in Deutschland etwas gegen Faschisten unternehmen will. Was ist erlaubt im Kampf gegen rechten Terror und Nationalsozialismus? Diese Frage bestimmt Sauters zweite große Rolle in „Und morgen die ganze Welt“. Als Peppa spielt sie eine gemäßigte Sprecherin der Antifa. Die politische Botschaft ist der Peppa-Darstellerin sehr wichtig. Auch im wahnavien. ren Leben spricht sie sich gegen soziale Missstände, Rassismus und Homophobie aus. „Der Film soll nicht nur unterhalten, sondern auch Fragen aufwerfen“, sagt Sauter, die über den Rechtsruck in der Gesellschaft besorgt ist. In einem seichten Film, ohne Botschaft, mitzuspielen, käme für sie weniger in Frage.
Auch privat läuft es bei der jungen Frau mit den kurzen dunklen Haaren und dem Lippenpiercing gut. Im Sommer unternahm sie in einem VW-Bus mitsamt ihrer Lebensgefährtin, Anja Staudacher, und dem gemeinsamen Hund eine mehrmonatige Reise nach Skandiventionell
In Norwegen stellte sie Freundin Anja einen Heiratsantrag. Das Paar möchte in Lauingen im Januar standesamtlich heiraten.
Doch ein weiterer Höhepunkt ihrer Reise sollte noch folgen: „Im August ging die Nachricht im Chat der Filmcrew rum, dass wir zu den Filmfestspielen von Venedig eingeladen sind.“Zu diesem Zeitpunkt stand das Paar mit seinem Auto gerade an einem norwegischen Fjord. Kurzerhand entschieden sich die jungen Frauen, die Reiseroute zu ändern, und zur Premiere am 10. September zu fahren. Mit einem Zwischenstopp in Weisingen – vor allem um Wäsche zu waschen – ging es mit dem Bulli Richtung Lagunenstadt.
Während die Schauspielkollegen von Designern kostenlos ausgestattet wurden, trug Sauter Kleidung von der Stange. Der Luxus der weltbekannten Festspiele war für sie ein extremer Kontrast zu den Stehklos des venezianischen Campingplatzes, auf dem sie mit ihrer Verlobten aus Solidarität übernachtete. „Das waren zwei Welten, die aufeinandertrafen“, sagt Sauter strahlend, die dankbar für Erfahrungen der vergangenen Monate ist. Im Oktober wurde das Politdrama per Livestream beim Internationalen Filmfest Chicago zum besten Ensemblefilm gewählt. Die Filmerfolge sprechen für sich. Ob sie wohl plane, den Erzieherjob an den Nagel zu hängen? Sie könne sich sehr gut vorstellen, hauptberuflich Schauspielerin zu sein. Ein Leben ganz ohne Erziehertätigkeit schließt Sauter hingegen aus: „Ich bin mit Leib und Seele Pädagogin und müsste zumindest ehrenamtlich in diesem Bereich tätig sein.“ Filmstart ist an diesem Donnerstag unter anderem in Augsburg (Thalia). Im Filmcenter Dillingen läuft der Streifen ab 5. November, persönlich anwesend wird Nadine Sauter zum Publikumsge spräch am 9. November um 19.30 Uhr sein – falls Corona es erlaubt.