Donau Zeitung

„Manchmal muss ich Sheriff spielen“

Erhan Genc betreibt mitten in Gundelfing­en einen Dönerstand. Unfälle, Streiterei­en, Jobverlust: Er bekommt vieles in der Stadt mit. Und gibt seinen großen Traum noch nicht auf

- VON ANDREAS SCHOPF

Gundelfing­en Erhan Genc hat einen Traum. Ein eigenes Restaurant in Gundelfing­en, mit deutsch-türkischer Küche, er selbst als Koch. Konkrete Pläne dafür gab es bereits. Daraus wurde nichts. „Jetzt verkaufe ich eben Döner“, sagt er und lacht.

Genc sitzt entspannt auf einem grünen Plastikstu­hl und schaut auf die Lauinger Straße. Es ist Mittag. Auf dem Parkplatz des Supermarkt­es gegenüber ist einiges los. Auch auf dem Gehweg vor ihm kommen immer wieder Passanten vorbei. Zwei Männer in Handwerker­kluft bleiben stehen und möchten bedient werden. Genc springt auf, ist mit einem Satz in seinem Anhänger verschwund­en. Zwei Minuten später kommt er zurück. „Das ist okay“, sagt er. Der Job als Dönerverkä­ufer mache ihm Spaß. Man kommt mit den Leuten ins Gespräch, ist viel an der frischen Luft. Und bekommt mehr mit, als einem lieb ist.

Der 43-Jährige arbeitet mitten in Gundelfing­en, an der Hauptverke­hrsachse

durch die Stadt, ums Eck ist das Rathaus. „Ich weiß hier über vieles Bescheid“, sagt Genc. Er erzählt von Menschen, die zu ihm an den Stand kommen, weil sie Job oder Wohnung verloren haben, und etwas Neues suchen. „Wenn ich helfen kann, helfe ich.“Durch seine Kontakte könne er immer wieder etwas vermitteln, sagt er. Verlorene Handys und Schlüssel werden bei ihm abgegeben. Flüchtling­en hilft er beim Ausfüllen von Formularen.

Er selbst spricht perfektes Deutsch. Sein Vater Bahri Genc kam 1972 aus der Türkei in den Landkreis Dillingen. Zwei Wochen war er dafür mit dem Zug unterwegs. Erst wohnte er in Medlingen, dann fand er Arbeit in Gundelfing­en und zog in die Gärtnersta­dt. Seine Frau kam nach. Sie bekamen vier Kinder, darunter Erhan. Er hat schon immer in Gundelfing­en gelebt, ist dort heimisch geworden. „Ich fühle mich mehr deutsch als türkisch.“Er erzählt von seinem

Bruder, der nach einem Unfall querschnit­tsgelähmt war und dann im Alter von 32 Jahren an einer Infektion starb. Das war vor zwölf Jahren. „Ein Schock für die ganze Familie“, sagt Genc. Kurz hält er inne. Dann erzählt er weiter. 2013 kauften er und seine Familie den Dönerstand an der Lauinger Straße. Den Wagen gibt es an diesem Standort bereits seit 1994. Mittlerwei­le gibt es in Gundelfing­en insgesamt vier Dönerläden. „Keiner ist so lange hier wie dieser Wagen“, sagt Genc. Die Verwurzelu­ng in der Gärtnersta­dt zeigt sich im Aufdruck des Anhängers: „Gundelfing­er Kebap.“Nach der Übernahme 2013 führte erst Genc selbst den Stand, dann sprang sein Vater ein, der als Rentner Zeit hat. Genc orientiert­e sich einige Jahre um. Der gelernte Bäcker arbeitete zwischenze­itlich als Maurer, Koch und im Büro. „Ich habe berufsmäßi­g vieles ausprobier­t“, sagt er. Jetzt, seit einigen Monaten, steht der 43-Jährige mit dem Dreitageba­rt und der schwarzen Weste wieder in „seinem“Stand. Sechs Tage die Woche, bis auf Sonntag, hat er vormittags bis abends geöffnet. „Freizeit habe ich kaum“, sagt Genc. „Wenn ich etwas erledigen muss, springen meine Eltern am Stand ein.“Vor allem mittags und nach Feierabend habe er viele Kunden. 80 Prozent davon möchten ganz klassisch Döner im Brot. Er bedient nicht nur Menschen aus Gundelfing­en, sondern etwa aus Dillingen, Höchstädt oder auch Ulm, Günzburg oder Heidenheim. „Ich habe sehr viele Stammkunde­n“, sagt Genc. „Die Leute gehen einkaufen und kommen dann zu mir.“Mancher nimmt sich einen Döner und geht sofort weiter. Andere setzen sich auf die Plastikstü­hle neben dem Wagen und kommen ins Plaudern. Genc erzählt von einer Begegnung vor einigen Monaten. Damals hielt ein Mann an seinem Stand, der angeblich mit dem Fahrrad

Der Vater fand einst Arbeit in Gundelfing­en

Zur Familie nach Ungarn

zu seiner Familie nach Ungarn unterwegs war.

Immer wieder kommt es in der Nähe des Dönerstand­s zu Verkehrsun­fällen. Öfters habe er schon als Zeuge aussagen müssen, sagt Genc. Auch auf dem Parkplatz gegenüber beobachte er regelmäßig Streiterei­en und Parkremple­r. Gerade abends sieht er Jugendlich­e, die trinken, streiten oder auch mal schlägern. Mitunter greift Genc ein. „Manchmal muss ich Sheriff spielen“, sagt er lachend. Regelmäßig­en Kontakt hat er außerdem zu Bewohnern vom Haus der Senioren um die Ecke. Wollen sie zum Supermarkt, hilft er ihnen über die Straße, und manchmal auch beim Einkaufen, sagt Genc.

An seinem freien Sonntag verbringt er vor allem Zeit mit seiner siebenjähr­igen Tochter, seiner „Prinzessin“, wie er sagt, ansonsten fährt er Fahrrad oder geht skaten. Und langfristi­g hat er immer noch diesen einen Traum: ein eigenes Restaurant in Gundelfing­en.

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Foto: Andreas Schopf Erhan Genc betreibt an der Lauinger Straße in Gundelfing­en einen Dönerstand.

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