„Manchmal muss ich Sheriff spielen“
Erhan Genc betreibt mitten in Gundelfingen einen Dönerstand. Unfälle, Streitereien, Jobverlust: Er bekommt vieles in der Stadt mit. Und gibt seinen großen Traum noch nicht auf
Gundelfingen Erhan Genc hat einen Traum. Ein eigenes Restaurant in Gundelfingen, mit deutsch-türkischer Küche, er selbst als Koch. Konkrete Pläne dafür gab es bereits. Daraus wurde nichts. „Jetzt verkaufe ich eben Döner“, sagt er und lacht.
Genc sitzt entspannt auf einem grünen Plastikstuhl und schaut auf die Lauinger Straße. Es ist Mittag. Auf dem Parkplatz des Supermarktes gegenüber ist einiges los. Auch auf dem Gehweg vor ihm kommen immer wieder Passanten vorbei. Zwei Männer in Handwerkerkluft bleiben stehen und möchten bedient werden. Genc springt auf, ist mit einem Satz in seinem Anhänger verschwunden. Zwei Minuten später kommt er zurück. „Das ist okay“, sagt er. Der Job als Dönerverkäufer mache ihm Spaß. Man kommt mit den Leuten ins Gespräch, ist viel an der frischen Luft. Und bekommt mehr mit, als einem lieb ist.
Der 43-Jährige arbeitet mitten in Gundelfingen, an der Hauptverkehrsachse
durch die Stadt, ums Eck ist das Rathaus. „Ich weiß hier über vieles Bescheid“, sagt Genc. Er erzählt von Menschen, die zu ihm an den Stand kommen, weil sie Job oder Wohnung verloren haben, und etwas Neues suchen. „Wenn ich helfen kann, helfe ich.“Durch seine Kontakte könne er immer wieder etwas vermitteln, sagt er. Verlorene Handys und Schlüssel werden bei ihm abgegeben. Flüchtlingen hilft er beim Ausfüllen von Formularen.
Er selbst spricht perfektes Deutsch. Sein Vater Bahri Genc kam 1972 aus der Türkei in den Landkreis Dillingen. Zwei Wochen war er dafür mit dem Zug unterwegs. Erst wohnte er in Medlingen, dann fand er Arbeit in Gundelfingen und zog in die Gärtnerstadt. Seine Frau kam nach. Sie bekamen vier Kinder, darunter Erhan. Er hat schon immer in Gundelfingen gelebt, ist dort heimisch geworden. „Ich fühle mich mehr deutsch als türkisch.“Er erzählt von seinem
Bruder, der nach einem Unfall querschnittsgelähmt war und dann im Alter von 32 Jahren an einer Infektion starb. Das war vor zwölf Jahren. „Ein Schock für die ganze Familie“, sagt Genc. Kurz hält er inne. Dann erzählt er weiter. 2013 kauften er und seine Familie den Dönerstand an der Lauinger Straße. Den Wagen gibt es an diesem Standort bereits seit 1994. Mittlerweile gibt es in Gundelfingen insgesamt vier Dönerläden. „Keiner ist so lange hier wie dieser Wagen“, sagt Genc. Die Verwurzelung in der Gärtnerstadt zeigt sich im Aufdruck des Anhängers: „Gundelfinger Kebap.“Nach der Übernahme 2013 führte erst Genc selbst den Stand, dann sprang sein Vater ein, der als Rentner Zeit hat. Genc orientierte sich einige Jahre um. Der gelernte Bäcker arbeitete zwischenzeitlich als Maurer, Koch und im Büro. „Ich habe berufsmäßig vieles ausprobiert“, sagt er. Jetzt, seit einigen Monaten, steht der 43-Jährige mit dem Dreitagebart und der schwarzen Weste wieder in „seinem“Stand. Sechs Tage die Woche, bis auf Sonntag, hat er vormittags bis abends geöffnet. „Freizeit habe ich kaum“, sagt Genc. „Wenn ich etwas erledigen muss, springen meine Eltern am Stand ein.“Vor allem mittags und nach Feierabend habe er viele Kunden. 80 Prozent davon möchten ganz klassisch Döner im Brot. Er bedient nicht nur Menschen aus Gundelfingen, sondern etwa aus Dillingen, Höchstädt oder auch Ulm, Günzburg oder Heidenheim. „Ich habe sehr viele Stammkunden“, sagt Genc. „Die Leute gehen einkaufen und kommen dann zu mir.“Mancher nimmt sich einen Döner und geht sofort weiter. Andere setzen sich auf die Plastikstühle neben dem Wagen und kommen ins Plaudern. Genc erzählt von einer Begegnung vor einigen Monaten. Damals hielt ein Mann an seinem Stand, der angeblich mit dem Fahrrad
Der Vater fand einst Arbeit in Gundelfingen
Zur Familie nach Ungarn
zu seiner Familie nach Ungarn unterwegs war.
Immer wieder kommt es in der Nähe des Dönerstands zu Verkehrsunfällen. Öfters habe er schon als Zeuge aussagen müssen, sagt Genc. Auch auf dem Parkplatz gegenüber beobachte er regelmäßig Streitereien und Parkrempler. Gerade abends sieht er Jugendliche, die trinken, streiten oder auch mal schlägern. Mitunter greift Genc ein. „Manchmal muss ich Sheriff spielen“, sagt er lachend. Regelmäßigen Kontakt hat er außerdem zu Bewohnern vom Haus der Senioren um die Ecke. Wollen sie zum Supermarkt, hilft er ihnen über die Straße, und manchmal auch beim Einkaufen, sagt Genc.
An seinem freien Sonntag verbringt er vor allem Zeit mit seiner siebenjährigen Tochter, seiner „Prinzessin“, wie er sagt, ansonsten fährt er Fahrrad oder geht skaten. Und langfristig hat er immer noch diesen einen Traum: ein eigenes Restaurant in Gundelfingen.