Kein Arzt im Landkreis führt Abtreibungen durch
Für einen Schwangerschaftsabbruch müssen Frauen woanders hin. Im Kreis gibt es keinen Mediziner, der dazu bereit ist. Eine OP-Schwester spricht über Anfeindungen, ein Doktor spekuliert über die möglichen Hemmnisse seiner Kollegen
In Polen wurde tagelang gegen die Verschärfung des Abtreibungsverbots demonstriert. Wie ist die Lage bei uns?
Landkreis In Polen wehren sich die Bürger gegen ein verschärftes Abtreibungsgesetz. Doch wie ist das bei uns? Laut Statistischem Bundesamt ließen in Bayern im vergangenen Jahr 2019 knapp 12 000 Frauen einen Schwangerschaftsabbruch durchführen – davon 95 Prozent im Rahmen der sogenannten Beratungsregelung. In den verbleibenden fünf Prozent lag meist ein medizinischer Grund vor, etwa eine massive Fehlbildung beim Embryo. Da es im Landkreis Dillingen aktuell keinen Arzt gibt, der diese Eingriffe durchführt, müssen Betroffene den Weg in Nachbarlandkreise auf sich nehmen.
Denkt eine Frau über einen Schwangerschaftsabbruch nach, ist sie gesetzlich verpflichtet, einen Termin in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle wahrzunehmen. Stefanie Eder und Janina Prasser, beide Sozialpädagoginnen am Dillinger Landratsamt, führen diese Konfliktgespräche. Zu ihrem Berufsfeld gehören unter anderem die Begleitung der Schwangeren vor und nach der Geburt bis zum dritten Lebensjahr des Kindes, die Beratung zu Schwangerschaft, Sexualität, Familienplanung und Empfängnisverhütung und eben die Schwangerschaftskonfliktberatung nach Artikel 219 des Strafgesetzbuches.
„Die Beratung geschieht wertneutral und ergebnisoffen“, sagen die Sozialpädagoginnen. Sie sind dafür da, den Betroffenen eine außenstehende Sicht auf die Situation zu bieten und die Möglichkeiten der Unterstützung aufzuzeigen. Die Gespräche können auf Wunsch auch anonym erfolgen, unterliegen der Schweigepflicht und sind kostenlos. Erst nach Abschluss des oft mehrstündigen Gesprächs kann eine Bescheinigung ausgestellt werden, diese ist für das weitere Vorgehen zwingend notwendig. Eine Beratung ist nicht an den Wohnort gebunden, denn „gerade in Kleinstädten kennt man sich“, sagt Eder. „Das Thema ist sehr emotional und wird oftmals politisiert“, ergänzt Prasser. So sei auch in Internetforen Vorsicht geboten, weil oftmals falsche Informationen in Umlauf gebracht würden.
Die Schwangerschaftskonfliktberatung soll wertneutral über die Möglichkeiten der Schwangeren informieren. Allerdings auf der Basis eines Gesetzes, das bereits im ersten Artikel „den Schutz des ungeborenen Lebens“betont und ausdrücklich darauf ausgelegt ist, dass die Schwangerschaft fortgesetzt werden sollte. Weiter gilt ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als rechtswidrig und strafbar. Nur in Ausnahmefällen ist er straffrei. Beide Gesetze stammen aus den 1990er Jahren. Die Ausnahmefälle umfassen den ärztlich durchgeführten Abbruch bis zur zwölften Schwangerschaftswoche nach einem staatlich anerkannten Beratungsgespräch und einen medizinischen oder kriminologischen Grund.
490 Frauen verließen im vergangenen Jahr für eine Abtreibung den Freistaat und suchten sich einen Arzt außerhalb, meist in BadenWürttemberg. Viele fahren aber auch einfach weiter, damit man sie nicht kennt – ob für das Beratungsgespräch oder den Eingriff –, das bestätigt auch eine OP-Schwester, die diese Eingriffe in Ulm begleitet hat. Sie selbst kommt aus dem Landkreis Dillingen und möchte anonym bleiben. Denn aufgrund ihrer Arbeit hat sie bereits einige Anfeindungen erlebt.
Ihre Ausbildung zur Operationstechnischen Assistentin hat sie in Ulm absolviert. In diesen drei Jahren war sie bei einigen Abbrüchen dabei. Jede Woche gab es durchschnittlich sieben solcher Eingriffe – meist Ausschabungen, die auf Wunsch der Frauen durchgeführt wurden. Bei diesem Eingriff wird das Gewebe aus der Gebärmutter mit einer Art Löffel abgetragen. Aber auch Abbrüche aus medizinischen oder kriminologischen Gründen oder aufgrund von Komplikationen oder eines sexuellen Übergriffes hat sie erlebt. Der jungen Frau ist vor allem ein Fall in Erinnerung geblieben: Ein 13-jähriges Mädchen kam mit seinen Eltern in die Praxis. Nachdem es sexuell missbraucht worden war.
Zwei Mal in der Woche gab es Operationstage. Das war bekannt und wurde auch von Personen ausgenutzt, die sich selbst als „Lebensschützer“bezeichnen und sich gegen Abtreibungen einsetzen. „Die standen dann vor der Eingangstür und haben die Frauen angesprochen“, berichtet sie. Früher wären solche Gruppen auch im Eingangsbereich gestanden, bis sie von der Polizei aufgefordert wurden, das Gebäude zu verlassen. „Manche Frauen haben sich deswegen umentschieden, kamen dann meist aber eine Woche später wieder, um den Eingriff doch machen zu lassen.“Fotos von den Angestellten wurden von der Internetseite der Praxis entfernt. Das war notwendig, weil sie privat angegangen und des Mordes beschuldigt wurden. Die OPSchwester sei den Abtreibungsgegnern auch auf dem Weg zur Arbeit begegnet: „Ich habe dann behauptet, dass ich woanders hingehe. Im Gebäude war nicht nur die Arztpraxis.“Sogar durch Bekannte, denen sie von ihrem Beruf erzählt hat, habe sie Anfeindungen erlebt. „Immer wieder wurde ich gefragt, wie ich das mit meinem Gewissen vereinbaren kann“, sagt sie. „Ich bin damit früher recht offen umgegangen. Wenn ich ungeplant schwanger werde, hätte ich auch gern die Option.“
Viele der Patientinnen werden über ihren Frauenarzt an Ärzte weitergeleitet, die eine Abtreibung durchführen. Durch das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, das im Artikel 219a des Strafgesetzbuchs verankert ist, dürfen Gynäkologen nicht offen darüber informieren, dass sie die Eingriffe tätigen. Das Gesetz wurde Anfang 2019 überarbeitet. Laut Gesetz darf nun über einen Abbruch informiert werden, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen genannt werden. Bei Nennung der Methode drohen den Ärzten Geldstrafen oder auch Freiheitsstrafen. Geben die Ärzte aber Auskunft über ihre Operationen, beispielsweise im Zusammenhang mit Fehlgeburten, darf die Methode erklärt werden. Das operative Vorgehen ist dasselbe.
Die Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen, seien ganz unterschiedlich und hätten verschiedene Hintergründe für ihre Entscheidung, erzählt die ehemalige Angestellte aus dem Landkreis Dillingen. Auch eine Frau, bei der keine Verhütungsmethode angeschlagen habe, hatte die Ulmer Praxis aufgesucht. „Weder die Pille, noch das Zäpfchen, noch die Spirale. Das war erstaunlich“, erzählt die OP-Schwester. „Natürlich gibt es auch Frauen, die öfter abtreiben lassen und bei denen man sich schon fragt, ob sie nicht richtig verhüten können.“
Immer wieder seien auch Frauen aus dem Landkreis Dillingen nach Ulm gefahren. „Einige habe ich sogar gekannt“, begegnet ist sie ihnen dann allerdings nicht. „Viele nehmen wegen der Anonymität den Weg auf sich, damit das niemand mitbekommt. Dann bin ich ihnen vor Ort auch, so gut es ging, aus dem Weg gegangen.“
Betroffene Frauen fragen sich, warum im Landkreis Dillingen kein Gynäkologe Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Ein Arzt aus dem Nachbarlandkreis Günzburg meint, es könnte am religiösen Hintergrund liegen. Auch er möchte anonym bleiben, denn den Eingriff, den seine Kollegen im Landkreis Dillingen scheuen, bietet er nur eigenen Patientinnen an. Er selbst ist nur für den Abbruch mit einem Medikament bereit. Seine Begründung: „Da bin ich nicht selbst aktiv, die Frau muss das Medikament einnehmen.“Operationen führt er aus moralischen Gründen nicht durch, trotzdem möchte er den Frauen die Möglichkeit eines Abbruchs nicht verweigern.
Ein Kompromiss also. Wichtig ist für ihn, dass die Frauen vor ihrer Entscheidung gut aufgeklärt sind, denn das Ziel im Gespräch ist, dass die Schwangerschaft nur beendet wird, wenn kein anderer Ausweg gefunden werden kann. Durch seine Aufklärung hat er eine Rate von einem Abbruch pro Monat. Eine Behinderung des Kindes sieht er nicht zwingend als Anlass für einen Schwangerschaftsabbruch.
Der Gynäkologe stellt ebenfalls kein Muster bei den betroffenen Frauen fest; alle Alters- und Gesellschaftsgruppen seien vertreten. Auch Frauen, die sich früher aus Glaubensgründen gegen einen Abbruch ausgesprochen hätten, haben bei ihm das Medikament schon eingenommen. Meistens seien sie aufgrund einer Verhütungspanne gekommen, aber mangelnde Aufklärung spiele ebenso eine Rolle.
Für die Zukunft wünscht sich der Günzburger Frauenarzt, dass das Strafgesetzbuch so reformiert wird, dass weder Frauen noch Ärzte länger kriminalisiert werden. „Verschiedene Studien zeigen, dass eine Entkriminalisierung keinen Anstieg der Fallzahlen bedeutet“, sagt der Mediziner.