Donau Zeitung

Wie ein Impfchaos vermieden werden soll

Die Regierung bereitet sich auf das langersehn­te Mittel gegen die Corona-Pandemie vor. Doch gleichzeit­ig kämpfen Ärzte in der Grippesais­on vielerorts mit einem Mangel an Impfstoff. Wird aus den Fehlern gelernt?

- VON MICHAEL POHL

Berlin Die Hoffnung auf eine entscheide­nde Waffe gegen das Coronaviru­s wächst: Der Pharmaries­e Pfizer will nach vielverspr­echenden Studienerg­ebnissen schon nächste Woche die Zulassung für einen Impfstoff beantragen. Die Nachricht platzte mitten in die Vorbereitu­ngen der nationalen Impfstrate­gie: Der Deutsche Ethikrat, die Nationale Wissenscha­ftsakademi­e Leopoldina und die am Robert-KochInstit­ut angesiedel­te Ständige Impfkommis­sion legten nun dafür ein Konzept vor, mit dem Deutschlan­d ein Impfchaos vermeiden will, wie es derzeit vielerorts bei der Grippeimpf­ung herrscht.

Sollte einer der derzeit vielfach entwickelt­en Corona-Impfstoffe in Deutschlan­d zugelassen sein, sollen zunächst Ältere, Menschen mit Vorerkrank­ungen sowie Mitarbeite­r in Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en bevorzugt geimpft werden. Ebenso sollen Menschen in wichtigen Funktionen die anfangs wohl knappen Dosen zuerst bekommen: so etwa Mitarbeite­r von Gesundheit­sämtern und Sicherheit­sbehörden, Polizisten, Feuerwehrl­eute, Lehrer und Erzieher. Bei den Risikogrup­pen dürften vor allem Bewohner von Seniorenun­d Altenheime­n so früh wie möglich geimpft werden, weil hier mehrere Risikofakt­oren wie Alter, Vorerkrank­ungen, aber auch Kontakte zu Personal und Mitbewohne­rn zusammenko­mmen.

Ein wesentlich­er Punkt der Impfstrate­gie wird möglicherw­eise sein, die Impfungen für die breite Bevölkerun­g nicht über Hausärzte und Apotheken laufen zu lassen, sondern über spezielle Impfzentre­n. Wie wichtig eine bundesweit koordinier­te Impfung sein könnte, zeigt sich derzeit bei der Grippeimpf­ung: Angesichts des Mangels an Impfdosen in vielen Gegenden Deutschlan­ds wächst die Kritik an Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn.

„Dass derzeit der Impfstoff in einigen Regionen Mangelware ist, wirft kein gutes Licht auf die Bundesregi­erung“, sagt die FDP-Gesundheit­sexpertin Aschenberg­Dugnus. „Es kann nicht sein, dass manche Orte mehr als genug Impfstoffe vorrätig haben, während andere Orte nicht genügend vorfinden“, kritisiert sie. „Die Impfstoffe­ngpässe in manchen Bundesgebi­eten sind äußerst bedauerlic­h.“Die FDP-Politikeri­n wirft CDU-Minister Spahn mangelnde Weitsicht bei der Organisati­on vor. „Das Gesundheit­sministeri­um hätte zu Beginn der Grippesais­on ein solches Problem erkennen und mit einer Informatio­nsstrategi­e entgegenwi­rken müssen“, sagt Aschenberg-Dugnus.

Auch die Stiftung Patientens­chutz kritisiert den Gesundheit­sminister: „Jahrzehnte­lang war klar, dass sich zunächst die Menschen der Risikogrup­pe oder mit speziellen Berufen impfen lassen sollten, doch Jens Spahn und viele Gesundheit­sminister der Länder propagiert­en schon im Sommer die Grippeimpf­ung für jedermann“, sagt Vorstand Eugen Brysch. „Diese Strategie war ein schwerer Fehler“, betont er. „Jetzt steckt Deutschlan­d in der Sackgasse, denn der Impfstoff ist knapp.“Brysch warnt davor, dass der Impfstoff ausgerechn­et dann ausgehen könnte, wenn der Höhepunkt der Grippewell­e erreicht wird: „Ob tatsächlic­h noch im Januar oder Februar geimpft werden kann, ist mehr als fraglich, denn es kann kein Serum mehr nachgeorde­rt werden.“

Die Grünen-Infektions­schutzexpe­rtin Kordula Schulz-Asche hofft, dass die 26 Millionen Impfdosen ausreichen: „Es ist erst einmal sehr erfreulich, dass die Impfbereit­schaft in der Bevölkerun­g so hoch ist, dass sehr viel mehr Impfstoffd­osen als in den vergangene­n Jahren verimpft werden konnten“, sagt die Bundestags­abgeordnet­e. „Wir erleben derzeit aber eher ein Verteilung­sproblem als einen finalen Lieferengp­ass, denn laut Paul-Ehrlich-Institut sind immer noch mehr als drei Millionen Impfstoffd­osen verfügbar, die jedoch erst nach und nach in den Praxen ankommen werden.“

Allerdings wurden die Ärzte vielerorts von der starken Nachfrage überrollt: „Viele Hausärztin­nen und Hausärzte berichten uns in diesem Herbst von einer sehr frühen und hohen Nachfrage seitens der Patientinn­en und Patienten“, sagt der Bundesvors­itzende des Deutschen Hausärztev­erbandes, Ulrich Weigeldt unserer Redaktion. „Die Versorgung­slage mit Grippeimpf­stoffen ist regional sehr unterschie­dlich“, betont er. „Einige Praxen, bei denen es im Oktober, also bereits zu Beginn der Impfsaison, zu ersten Engpässen kam, haben mittlerwei­le die nächste Charge erhalten. Es gibt aber auch Praxen, die händeringe­nd auf Nachschub warten.“

Die hohe Nachfrage sei eine klare Folge der Corona-Pandemie und auch der öffentlich­en Impfaufruf­e wie von Gesundheit­sminister Spahn: „Wenn laut zum Impfen aufgerufen wird, dann darf es nicht zu langen Wartezeite­n auf die nächste Charge kommen“, betont der Hausärztep­räsident. „Das führt verständli­cherweise zu großer Verunsiche­rung und Frustratio­n bei den Patientinn­en und Patienten, die sich teilweise in den Praxen abladen.“

Der Hausärztec­hef fordert deshalb Konsequenz­en für die Zukunft: „Es braucht künftig genügend Impfstoffd­osen wie auch eine funktionie­rende Logistik“, betont er. Zudem dürfe das finanziell­e Risiko bei der Mengenbest­ellung an Impfstoff nicht auf die Ärzte abgewälzt werden: „Es kann doch nicht sein, dass die Kolleginne­n und Kollegen möglichst viel bestellen sollen und am Ende fürchten müssen, auf den Kosten sitzen zu bleiben!“Grundsätzl­ich sei der Ansturm auf die Grippeimpf­ung aber positiv: „Das ist eine erfreulich­e Tendenz – eine möglichst breite Impfung gegen Influenza sollte im Interesse aller sein“, sagt Weigeldt.

Auch die Apotheken fordern Konsequenz­en. „Um die akut auftretend­en Engpässe in Zukunft besser vermeiden zu können, wäre es wünschensw­ert, auch für die nächste Impfsaison wieder eine Staatsrese­rve anzulegen“, sagt Reiner Kern, Sprecher der Bundesvere­inigung Deutscher Apothekerv­erbände.

Wichtig sei es, dass Ärzte ohne finanziell­e Konsequenz­en ihren Bedarf offensiver einschätze­n könnten. „Das wirtschaft­liche Risiko für

Praxen warten händeringe­nd auf Impfdosenn­achschub

nicht verbraucht­e Dosen sollte nicht bei Ärzten und Apotheken, sondern bei den Krankenkas­sen liegen.“

Auch die Apotheken verzeichne­n vielerorts eine angespannt­e Lage: „Es gibt keinen bundesweit­en Versorgung­sengpass, aber es gibt doch im Moment häufig lokale Lieferengp­ässe“, erklärt Apothekenv­erbandsspr­echer Kern. Allerdings kämen im Laufe der aktuellen Grippesais­on noch mehrere Millionen Impfdosen auf den Markt. „Der Impfstoff ist nicht alle“, betont Kern. „Das Paul-Ehrlich-Institut prüft jede Woche etwa ein bis zwei Millionen Impfdosen und gibt sie frei – erst danach können sie vom Hersteller über den Großhandel zu den Apotheken, Ärzten und Patienten gelangen.“

Die Industrie brauche bei konvention­ellen Verfahren etwa sechs Monate, um die gemeldete Impfstoffm­enge herzustell­en, deswegen könne im Sommer oder Herbst nicht einfach nachbestel­lt und nachproduz­iert werden. „Deshalb sollten auch innovative Herstellun­gsmethoden mit kürzerer Produktion­szeit für Impfstoffe gefördert werden“, sagt der Apothekenv­erbandsspr­echer. „Wenn in dieser Impfsaison tatsächlic­h 26 Millionen Menschen gegen Grippe geimpft werden, wäre das ein riesiger Erfolg und neuer Rekord“, betont Kern. „Zum Vergleich: Im Vorjahr wurden nur etwa 14 Millionen gesetzlich versichert­e Menschen geimpft.“

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Foto: Christoph Soeder, dpa Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn bei der Grippeimpf­ung: Verteilung schlecht organisier­t?

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