Donau Zeitung

Eskalation in Leipzig hat ein politische­s Nachspiel

Bei der „Querdenker“-Demonstrat­ion hielten sich tausende Menschen nicht an die Regeln zur Bekämpfung der Pandemie. Die Polizei griff kaum durch, will aber trotzdem nicht als „Buhmann“herhalten

- VON MICHAEL STIFTER UND STEFAN LANGE

Leipzig Nach der völlig entgleiste­n Demonstrat­ion gegen die CoronaMaßn­ahmen in Leipzig wehrt sich die Polizei gegen Vorwürfe, sie habe nicht entschiede­n genug durchgegri­ffen. „Anstatt über angebliche­s Polizeiver­sagen zu reden, sollte man die wahren Ursachen für die Eskalation benennen: Man hätte diese ganze Situation überhaupt nicht zulassen dürfen“, sagte der sächsische Landeschef der Polizeigew­erkschaft GdP, Hagen Husgen, unserer Redaktion. Die Bilder aus Leipzig, wo am Sonntag tausende Menschen – von der Polizei weitgehend unbehellig­t – Abstands- und Hygienereg­eln ignorierte­n und ohne MundNasen-Schutz ausgelasse­n Polonaise tanzten, lösten bundesweit massive Irritation­en aus.

Die Bundesregi­erung hat die Missachtun­g von Auflagen und die Gewalt bei der Demonstrat­ion ebenfalls scharf verurteilt. Nach der Auflösung der Versammlun­g hätten „Extremiste­n, Chaoten, gewaltbere­ite Menschen“sich ihren Weg durch Leipzig gebahnt, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. „Gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen und der Missbrauch des Demonstrat­ionsrechts sind nicht zulässig.“

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder forderte eine klare Aufarbeitu­ng der Ereignisse. „Alle müssen sich an die Regeln des Gesundheit­sschutzes halten. Es gibt hier keine Sonderrech­te für Querdenker – ganz im Gegenteil“, sagte der CSU-Chef. Bundesinne­nminister Horst Seehofer hatte noch am Sonntagabe­nd der Polizei seine „volle Rückendeck­ung“zugesicher­t. Auch der Augsburger CSU-Bundestags­abgeordnet­e Volker Ullrich wies die Kritik an den Einsatzkrä­ften vor Ort zurück: „Sie haben in dieser unübersich­tlichen Situation angemessen reagiert. Sorgen muss uns bereiten, dass Teile der Querdenker-Bewegung sich zunehmend radikalisi­eren.“

Polizeigew­erkschafte­r Husgen sieht die Schuld an der Eskalation vor allem beim sächsische­n Oberverwal­tungsgeric­ht:

„Dass es diese Demo so genehmigt hat, ist für mich völlig unverständ­lich.“Hintergrun­d: Die Stadt hatte die Proteste ursprüngli­ch aus dem Zentrum heraushalt­en wollen, doch die Richter erteilten kurzfristi­g doch eine Genehmigun­g für die Innenstadt.

Warum die Beamten nach der Auflösung der Demonstrat­ion mit mehreren zehntausen­d Teilnehmer­n kaum noch eingriffen und die Situation in der Innenstadt derart außer Kontrolle geraten konnte, bleibt unklar. Für Husgen steht fest, dass die Polizisten es gar nicht richtig machen konnten. „Meine Kolleginne­n und Kollegen sind richtig erzürnt darüber. Wenn wir deeskalier­en, heißt es, die Polizei habe zu lax reagiert. Wenn wir härter durchgreif­en, ist sofort von Polizeigew­alt die Rede.“Der Vize der FDP-Bundestags­fraktion, Stephan Thomae, fordert Konsequenz­en: „Der Kontrollve­rlust ist ein Armutszeug­nis. Es muss jetzt umfassend aufgearbei­tet werden, warum die sächsische Polizei die Demonstrat­ion nicht konsequent auflösen konnte.“Die Eskalation in Leipzig bezeichnet­e er als „Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die sich an die Corona-Maßnahmen halten oder wie Gastronomi­e, Hotellerie und Eventbranc­he unter den Maßnahmen besonders zu leiden haben“.

Auch Husgen fürchtet eine verheerend­e Signalwirk­ung. „Die Menschen, die sich zum größten Teil vernünftig verhalten, verstehen die Welt nicht mehr. Sie fragen sich natürlich: Ich darf nicht zum Fußball, nicht zum Eishockey, nicht in die Gaststätte, nicht mit der Familie feiern und hier wird zugelassen, dass sich mitten in der Innenstadt von Leipzig zigtausend­e Leute treffen, die keinen Mund-Nasen-Schutz tragen. Wo bleibt da die Konsequenz?“

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Foto: S. Willnow, dpa Ein harter Kern der Demonstran­ten provoziert­e die Polizei in Leipzig. Masken trug nur ein kleiner Teil der Gegner der Corona‰Beschränku­ngen.

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