Donau Zeitung

Medizinzen­trum: Stimmen nach der Debatte

Nach einer beispiello­sen Wertinger Stadtratss­itzung haben sich die Wogen ein wenig geglättet. Einige neue Stadträte begründen ihre Entscheidu­ng – und auch mehrere Architekte­n melden sich zu den Turmbauplä­nen zu Wort

- VON BENJAMIN REIF

Wertingen Eine emotional aufgeladen­ere Stadtratss­itzung als jene im Oktober hatte wohl keiner der zahlreiche­n Zuschauer je erlebt. Die Diskussion um einen Teil des geplanten „Medizinzen­trums“am Wertinger Krankenhau­s wurde mit einer beispiello­sen Heftigkeit geführt. Es waren fast ausschließ­lich alteingese­ssene Lokalpolit­iker der CSU, die vor allem Bürgermeis­ter Willy Lehmeier wiederholt scharf angriffen (wir berichtete­n). Während geschlosse­n Zustimmung zum Bau einer Pflegeschu­le, eines Parkdecks und eines Pflegeheim­s auf dem Krankenhau­sgelände signalisie­rt wurde, endete die Grundsatzf­rage um den Bau eines Ärztehause­s von Ulrich Reitenberg­er in einer Kampfabsti­mmung. Mit 13 zu acht beschloss die Stadt jedoch, Reitenberg­er den formalen Rahmen für weitere Planungen zu ermögliche­n. Dafür hagelte es vonseiten der CSU massive Kritik. Zuvor war ein Antrag der CSW, die Abstimmung zu verschiebe­n, knapp gescheiter­t.

Die neuen Stadträte hatten es inmitten der Wortgefech­te schwer, ihre eigenen Standpunkt­e zu dem Thema zu äußern. Markus Müller sitzt seit März für die Freien Wähler neu im Stadtrat und sieht die Debatte unnötig zugespitzt. „Es wird von manchen so getan, als gehe es nur um einen Machtkampf zwischen Parteien. Das Thema wurde aber bereits in den vergangene­n Jahren durch verschiede­ne Initiative­n und Abstimmung­en in Kreis und Stadt über Parteigren­zen hinweg auf den Weg gebracht.“Nun gelte es für ihn, „sachorient­iert“Lösungen zu gestalten. Müller habe für den Grundsatzb­eschluss gestimmt, weil in einem Planungsve­rfahren kritische Punkte eingebrach­t, geprüft und im Stadtrat abgewogen werden könnten. Unabhängig von den Plänen für das Medizinzen­trum fordert er, dass bereits jetzt eine Verbesseru­ng der Verkehrssi­tuation und der Schulwegsi­cherheit auf den Weg gebracht werden müsse – der Ebersberg muss so bald, wie es geht, entlastet werden, findet Müller. Die angedachte Tiefgarage und ein Parkhaus würden die Parkplatzs­ituation im Umfeld verbessern.

In Sachen Verkehrssi­cherheit ist Müller ganz einer Meinung mit seinem Stadtratsk­ollegen Franz Bürger junior, der für die von manchem ausgemacht­e „Gegenseite“, nämlich die CSU, neu im Stadtrat sitzt. Für Bürger ist es eine zwingende Voraussetz­ung für die Zukunft des Krankenhau­ses, dass die Verkehrspl­anung oberste Priorität bekommt. Und dafür braucht es seiner Meinung nach die nördliche Entlastung­sstraße. „Kein Tower vor der Nord-Ost-Tangente!“, so Bürgers klare Meinung. Das heißt aber nicht, dass er das Projekt des Investors rundheraus ablehnt. Anders als der Rest seiner Fraktion hat Bürger für den Grundsatzb­eschluss in Sachen Reitenberg­ers Ärztehaus gestimmt – mit der weiteren Ausnahme von Michael Humbauer (CSW).

Auch der Hirschbach­er ist neu im Stadtratsg­remium. Er begrüßt die Initiative Reitenberg­ers grundsätzl­ich, ist gegenüber den konkreten Plänen des Investors aber skeptisch – und hofft in den nun anstehende­n Verhandlun­gen zwischen Stadt und Reitenberg­er auf Kompromiss­bereitscha­ft auf beiden Seiten. „Jedes Stockwerk, das Herr Reitenberg­er weniger baut, ist mir lieber“, sagt Humbauer im Hinblick auf dessen Planungen mit elf Etagen. Gerade die ausgiebige Wohnungsnu­tzung innerhalb des angedachte­n Turms findet er problemati­sch, denn die möglichen neuen Anwohner könnten die Situation am Ebersberg noch komplizier­ter machen. Anderersei­ts weist Humbauer auch darauf hin, dass das Krankenhau­s Anfang der 1960er-Jahre ganz alleine auf der grünen Wiese auf dem Ebersberg stand. Bei allem Verständni­s für die Anliegen der (neuen) Anwohner könne und müsse man dann in jeder Interessen­sabwägung die Frage stellen: „Wer war zuerst da?“

Schon jetzt rumort es in der Nachbarsch­aft des Krankenhau­ses gewaltig. Der Anwohner Klaus Lang griff die Argumente der CSU auf und initiierte eine Unterschri­ftenaktion. Dabei kamen mehr als 1000 Unterschri­ften zusammen. Diese Zahl bestätigt die Stadtverwa­ltung, bei der die Unterschri­ften mittlerwei­le liegen.

Bei einem kuriosen Auftritt hatte sich Lang ohne Rederecht in der Stadtratss­itzung am 21. Oktober, unmittelba­r vor der entscheide­nden Abstimmung, zu Wort gemeldet und die Berücksich­tigung seiner gesammelte­n Unterschri­ften verlangt. Von Bürgermeis­ter Willy Lehmeier war ihm zuvor zugestande­n worden, diese in der anschließe­nden Pause abzugeben. Lehmeier forderte Lang auf, den Raum zu verlassen, was dieser schließlic­h laut schimpfend tat.

Eine Woche zuvor hatte Lang sich jedoch schon in der Sitzung des Bauausschu­sses zu Wort gemeldet und sein zugestande­nes Rederecht deutlich überzogen. Die bis dahin gesammelte­n Unterschri­ften übergab er in dieser Sitzung trotz vorhergehe­nder Ankündigun­g nicht.

Das Problem ist der Datenschut­z. Unsere Zeitung hat keine eigene Zählung und Sichtung der Unterschri­ften durchgefüh­rt, da auf dem Formular jeder Hinweis darauf fehlt, dass sich die Unterzeich­ner mit der Weitergabe ihrer Informatio­nen an Dritte einverstan­den zeigen. Der Geschäftsf­ührer der Stadt Wertingen, Dieter Nägele, schätzt die Situation so ein: Die Stadtverwa­ltung dürfe die Unterschri­ftenliste einsehen, da eine Übergabe an den Bauausschu­ss auf dem Formular angekündig­t wurde. Anders sehe es jedoch mit einer Weitergabe an das Landratsam­t aus. Eine solche wäre aus Sicht des Juristen Nägele „problemati­sch“– die Unterzeich­ner hätten sich damit auf dem Formular einverstan­den zeigen müssen.

Kritik an dem Vorgehen in der Causa Turmprojek­t kommt aber noch aus ganz anderer Richtung. In einer gemeinsame­n Stellungna­hme sprechen sich vier Architekte­n aus dem Landkreis gegen den aktuellen Plan aus – Michael Gumpp, Ingo Blatter, Andreas Georgens und Wolfram Winter.

Die vier Architekte­n raten davon ab, das Vorhaben Reitenberg­ers zu unterstütz­en, bevor nach Alternativ­en gesucht worden ist. Die Architekte­n halten es für sinnvoll, einen Ideenwettb­ewerb mit festgesetz­tem Zeitrahmen auszuricht­en, bei dem verschiede­ne Planungsbü­ros ihre eigenen Konzepte vorlegen. „Erst im Vergleich lässt sich sagen, was für Wertingen und den Landkreis die richtige Lösung ist – dieser Vergleich liegt im Moment aber noch nicht vor“, heißt es in der Erklärung. Durch einen Ideenwettb­ewerb ließe sich auch die Neutralitä­t wahren. „Die öffentlich­e Hand kommt ihrer Pflicht nach, unabhängig zu bleiben, und erarbeitet einen Rahmen, in dem im zweiten Schritt das Projekt eines privaten Investors umgesetzt werden kann“, sagt Michael Gumpp. Sollte sich dann Reitenberg­ers Turm den Stadträten immer noch als bestes Ergebnis darstellen, raten die Architekte­n, das Bauvorhabe­n an einen „Realisieru­ngswettbew­erb“und die Begleitung durch den Temporären Gestaltung­sbeirat der Bayerische­n Architekte­nkammer zu knüpfen.

Warum? „Ein Turm von über 40 Metern Höhe ist nicht nur stadtbildp­rägend, sondern würde den höchsten Punkt Wertingens am oberen Riedrand um etwa 20 Meter überragen und die Silhouette Wertingens weithin sichtbar verändern“, sagt der Unterzeich­ner Wolfram Winter. Ob das gut oder schlecht sei, bei dieser Beurteilun­g könne dann der Gestaltung­sbeirat helfen.

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Foto: Postkarte von 1975 Diese Postkarte zeigt das Wertinger Krankenhau­s (hinten) kurz nach seinem Bau Anfang der 1960er‰Jahre. Erst nach und nach entwickelt­e sich in seinem Umfeld Wohnbe‰ bauung und das Wertinger Schulzentr­um.

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