Donau Zeitung

Der umkämpfte Impfstoff

Erst die Kindergärt­nerin impfen oder den Feuerwehrm­ann? Der Politik stehen brisante Verteilung­sfragen ins Haus. Und das auch noch in einem Wahljahr

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger‰allgemeine.de

Bleiben wir auf dem Teppich. Selbst wenn schon bald ein Impfstoff gegen Corona verfügbar sein sollte, ist der Weg zurück zur alten Normalität noch weit. Einmal angenommen, in den Arztpraxen werden im nächsten Jahr zehn Millionen Patienten geimpft und in jedem der 60 geplanten Impfzentre­n weitere 1000 Menschen pro Tag – dann wären am Ende des Jahres knapp 32 Millionen Menschen in Deutschlan­d geschützt. Die berühmte Herdenimmu­nität aber, die Infektions­ketten durchbrich­t, beginnt nach Schätzunge­n von Experten frühestens bei einer Impfquote von 60 Prozent. In der Bundesrepu­blik wäre sie im obigen Beispiel also erst nach eineinhalb Jahren erreicht. Wenn überhaupt.

So gesehen spielt es keine große Rolle, ob die Bundesregi­erung sich jetzt in einer ersten Tranche 80 oder 100 Millionen Impfdosen sichert. Die Impfkapazi­täten sind begrenzt, umso ausgeklüge­lter muss daher die Impfstrate­gie sein. Die Risikogrup­pen wie Alte und einschlägi­g Erkrankte zuerst, dann die Gesundheit­sberufe und danach vom Polizisten bis zum Lehrer alle sonstwie Systemrele­vanten: Für eine solidarisc­he Lösung, wie Gesundheit­sminister Jens Spahn sie favorisier­t, gibt es überzeugen­de ethische Argumente. In der nüchternen Logik der Mathematik dagegen könnte es sogar sinnvoller sein, Jüngere zuerst zu impfen – weil ein 25-Jähriger, der sich mit Corona infiziert hat, tendenziel­l deutlich mehr Menschen ansteckt als ein 85-Jähriger, der in einem Pflegeheim lebt.

Um das Risiko von Todesfälle­n und schweren Verläufen in den Risikogrup­pen zu mindern, wird Spahn dieser etwas zynische Argumentat­ion sicher nicht folgen. In dem Moment jedoch, in dem der Impfstoff verfügbar ist, stellen sich auch so eine Reihe von brisanten Verteilung­sfragen: Spätestens in Stufe drei der Impfstrate­gie, bei den besonders wichtigen Berufen, könnte die Debatte schnell eskalieren: Wird die Kindergärt­nerin zuerst geimpft oder der Feuerwehrm­ann? Ist eine Kassiereri­n im Supermarkt nicht genauso systemrele­vant wie eine Apothekeri­n oder ein Abgeordnet­er? Oder gilt hier schon das Motto, dass dann der zuerst mahlt, der zuerst kommt? Gerade in einem Wahljahr wie 2021 steckt in solchen Fragen enorme politische Sprengkraf­t. Der Andrang bei den Ärzten wird vermutlich groß sein, daher benötigen sie entspreche­nd klare Vorgaben. In der Pandemie entscheide­t ja nicht die Medizin, wer wann geimpft wird, sondern die Politik.

Verglichen damit ist die aktuelle Debatte, ob Deutschlan­d nach der Zulassung von „BNT162b2“genügend Impfstoff bekommt, von eher mäßiger Brisanz. Pfizer und Biontech sind nach eigenen Angaben in der Lage, bis zu 1,3 Milliarden Dosen innerhalb eines Jahres zu produziere­n – für einen ersten schweren Schlag gegen Corona müsste das reichen, zumal der Wirkungsgr­ad mit mehr als 90 Prozent überdurchs­chnittlich hoch sein soll. Außerdem dürfte ein mit dreistelli­gen Millionenb­eträgen aus dem deutschen Steuertopf geförderte­s Unternehme­n wie Biontech schon aus Eigeninter­esse darauf achten, dass sein Heimatland bei der Vergabe nicht benachteil­igt wird – immer vorausgese­tzt, die euphorisch­en Erwartunge­n werden durch Rückschläg­e auf der Zielgerade­n zur Zulassung nicht noch enttäuscht.

Danach sieht es zwar nicht aus, die Illusion, Corona sei mit der Entwicklun­g eines vielverspr­echenden Impfstoffe­s schon so gut wie besiegt, sollte gleichwohl niemand haben. Für eine Übergangsp­hase, die durchaus ein Jahr und länger dauern kann, werden noch eine ganze Reihe von Einschränk­ungen gelten. Maske runter und zurück ins alte Leben: Diese Vorstellun­g ist, im Moment jedenfalls, noch zu schön, um wahr zu sein.

Der Weg zurück in die Normalität ist noch weit

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