Vom Homeoffice zum digitalen Nomaden?
Viele arbeiten wieder von zu Hause aus, Reisen zu Urlaubszielen wie die Kanaren oder Madeira sind möglich. Wer nun mit dem Laptop im Gepäck im warmen Süden überwintern will, muss allerdings einiges beachten
Augsburg Reif bedeckt die Dächer vorm heimischen Fenster, wenn der Blick morgens vom Laptop nach draußen schweift. Mit dem Lockdown arbeiten viele wieder von zu Hause aus. Doch wie wäre es, wenn der Blick aus dem Fenster weißen Sand statt weiße Dächer zeigt? Warum sich nicht an digitalen Nomaden ein Beispiel nehmen? Diese Frauen und Männer reisen um die Welt und arbeiten von unterwegs. Sie programmieren, bieten Assistenzdienste an oder verdienen ihr Geld, indem sie als Reiseblogger von ihren Erfahrungen berichten. Also mit dem Laptop im Gepäck aus dem kalten Homeoffice in den warmen Süden fliehen? Ist doch egal, von wo aus man arbeitet – oder?
Nicht ganz. Denn zunächst einmal brauchen Angestellte eine spezielle schriftliche Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber, wenn sie woanders als von zu Hause aus arbeiten wollen, sagt Miruna Xenocrat von der Arbeitnehmerhilfe Berlin. Sie ist Rechtsanwältin unter anderem mit dem Schwerpunkt auf Arbeitsrecht. Außerdem besteht laut Xenocrat die Gefahr, dass der Aufenthalt im Ausland durch einen Lockdown oder Ein- und Ausreiseverbote länger als vereinbart ausfällt. „Dann hat man keinen Anspruch auf Gehalt.“
Auch schwierig: Wer zahlt im Falle eines Unfalls? „Das ist im Homeoffice genauso“, sagt Xenocrat. Wenn man daheim auf dem Weg zum Kaffeemachen hinfällt und sich etwas bricht, kommt zwar nicht die Unfallversicherung des Arbeitgebers, aber auf jeden Fall die gesetzliche Unfallversicherung auf. Passiert das am ausländischen Strand, hängt man versicherungstechnisch in der Luft. Deshalb rät Xenocrat in diesem Bereich selbst die Vorsorge aufzustocken.
Apropos Versicherungen: Wer länger im Ausland arbeiten will, sollte auch an seine Sozialversicherung denken. Denn wenn jemand mehr als 25 Prozent eines Jahres seiner Arbeit in einem anderen EULand verrichtet, wird er dort beitragspflichtig. Dann müsste man auch mit dem Arbeitgeber klären, wer die Beiträge abführt. Das trifft natürlich nicht auf digitale Nomaden zu, die ständig reisen. Ihnen empfiehlt Xenocrat deshalb, mit ihren Trägern zu sprechen.
Momentan ist es mit dem Reisen aber sowieso nicht allzu weit her, meint Carolin Müller. Sie bietet psychologische Beratungen an, die sie per Videochat mit ihren Kunden führt. Normalerweise ist sie dabei auf der ganzen Welt unterwegs. Aktuell ist sie aber in Deutschland und wird dort auch vorerst bleiben. „Meine Bekannten reisen langsamer und bleiben länger an einem Ort.“
Damit meint sie andere digitale Nomaden, die sie im Laufe der Jahre kennengelernt hat.
Sie bekomme außerdem mit, dass derzeit viele im Süden Europas unterkommen. „Weil hier das Gesundheitssystem besser ist – für den Fall der Fälle“, sagt Müller. Sie gibt zu bedenken, dass der Lockdown in anderen Ländern stärker ausfiel als hier. In Frankreich etwa durften sich die Menschen nicht mehr als einen Kilometer von ihrem Zuhause entfernen. Außerdem müssen Reisende aktuell oft negative CoronaTests vorweisen, wodurch Müller zufolge zusätzliche Kosten entstehen können.
Momentan ist nach Müllers Einschätzung dennoch ein guter Zeitpunkt, um das Arbeiten vom Ausland aus zu probieren. Die CoronaKrise habe zum Umdenken bewegt, viele seien der Digitalisierung gegenüber offener. Beispielsweise könnte man versuchsweise für drei Monate im Süden überwintern. Aber: Auch digitale Nomaden arbeiten ohne Ende, sagt Müller. Wer sich davon nicht entmutigen lässt und sich sogar selbstständig machen will, solle überlegen, wie er seine Fähigkeiten digital umsetzen kann. Müller rät zudem, Rücklagen zu bilden – nicht jeder, der schnell ins kalte Wasser springt, könne sich auch schnell über Wasser halten.
Für die meisten deutschen Angestellten bleibt indes das digitale Nomadentum ein Traum. Bislang können nur wenige komplett ortsunabhängig arbeiten, sagt Romana Dreyer. Dazu zählen überwiegend Bürotätigkeiten. Dreyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Hamburg und forscht als Arbeitsund Organisationspsychologin zum Thema entgrenzte Arbeit sowie psychische Gesundheit. Sie schätzt, dass Unternehmen ihre Strukturen dafür nur ein wenig überarbeiten müssten. „Was sich aber in vielen Firmen verändern müsste, wäre die Aufgabengestaltung, denn diese müsste den Arbeitnehmern größere Autonomie und Flexibilität zugestehen.“Und der technologische Aufwand wäre natürlich größer.