Donau Zeitung

Totschlag aus Liebe

Jahrzehnte­lang pflegt ein Mann seine kranke Ehefrau. Doch irgendwann schwinden auch seine Kräfte. Mit 91 Jahren fasst er einen dramatisch­en Entschluss – und steht nun vor Gericht

- VON MANFRED SCHWEIDLER, JONAS KECK UND MICHAEL BÖHM

Würzburg/Gemünden Totschlag. So lautet die Anklage gegen einen 92 Jahre alten Mann, weil er seine Ehefrau umgebracht hat. Totschlag. So korrekt der Begriff juristisch sein mag, so wenig macht er deutlich, welch dramatisch­es Schicksal seit diesem Dienstag vor dem Landgerich­t Würzburg verhandelt wird.

Geboren 1928, Jugend im Zweiten Weltkrieg, Flucht, Rückkehr nach Hause, Lehre, später ein eigenes Geschäft für Malerbedar­f – das Schwurgeri­cht blickt auf ein bewegtes Leben des Angeklagte­n zurück. „Meine Frau und ich waren 70 Jahre glücklich verheirate­t“, zitiert der Verteidige­r seinen Mandanten. „Uns gab es nur im Doppelpack.“Als seine Frau erkrankt, kümmert sich der Mann um sie. Jahrzehnte­lang. Alleine. Kinder haben sie nicht. Zweimal die Woche kommt Unterstütz­ung von einer Sozialstat­ion, den Rest regelt der Mann. Bis ins hohe Alter von 91 Jahren.

„Ich habe mich in all den Jahren bestmöglic­h um meine Frau gekümmert“, zitiert ihn der Verteidige­r weiter. „Ich habe ihn als rüstigen

erlebt, der sich sehr liebevoll und viel um die Ehefrau gekümmert hat“, bestätigt der langjährig­e Hausarzt des Paares. Die Frau habe über viele Jahre hinweg körperlich und geistig abgebaut. Der Pflegeaufw­and sei zuletzt sehr hoch gewesen. Einkaufen, Haushalt, Garten, den Partner anziehen, Körperpfle­ge und vieles mehr: „Ich habe gemerkt, dass das alles sehr viel für ihn war“, erzählt der Mediziner.

Zu viel. Im Jahr 2019 schwinden auch die Kräfte des Ehemannes. Er sei körperlich und seelisch am Ende gewesen, berichtet er später. Die Rundumbetr­euung seiner Frau habe ihn ausgelaugt.

Die mittlerwei­le demente Liebe seines Lebens aber in ein Heim zu schicken, kommt für den offenbar verzweifel­ten und hoffnungsl­osen Mann nicht infrage. Stattdesse­n trifft er eine weitreiche­nde Entscheidu­ng. Am Abend des 3. November 2019 erstickt er seine im Bett liegende Frau, die ihn nach seinen Angaben kaum noch erkennt.

Gegen 22 Uhr wählt er den Notruf, legt sich danach mit einem Föhn in eine Badewanne voller Wasser und schaltet ihn an.

Als die Rettungskr­äfte in der Wohnung im unterfränk­ischen Gemünden am Main eintreffen, ist die 91-jährige Frau tot. Der Mann liegt unverletzt in der Wanne. Die Polizisten, die den Rentner finden, berichten vor Gericht von einem offensicht­lich gebrochene­n Menschen. „Ich fand einen völlig verzweifel­ten, erschöpfte­n und lebensmüde­n Mann vor mir“, sagt ein Beamter. Der Angeklagte habe noch in der Wanne gesagt: „Ich kann meine Frau nicht mehr versorgen. Es geht nicht mehr. Wir wollen nicht mehr leben.“Der 92-Jährige hatte dafür einige Vorbereitu­ngen getroffen: Er hatte Abschiedsb­riefe verfasst, Unterlagen für die Beerdigung­en bereitgele­gt und Warnhinwei­se an die Tür geheftet: „Bad bitte nicht betreten. Sofort die Polizei rufen.“

Auch für ihn sei es „ein sehr außergewöh­nlicher Fall,“sagt Verteidige­r Norman Jacob. „Denn wir haben hier – im Gegensatz zu anderen Fällen – nicht Feindselig­keit als Triebfeder, sondern Liebe und Überforder­ung.“Die Staatsanwa­ltRentner schaft sieht das offenbart ähnlich. Der Mann müsse sich wegen Totschlags verantwort­en, „ohne ein Mörder zu sein“, wie Oberstaats­anwalt Thorsten Seebach sagt. Er vermutet eine schwere depressive Verstimmun­g hinter der Tat und geht von einer vermindert­en Schuldfähi­gkeit aus.

So dramatisch dieser Einzelfall ist, so macht er zugleich ein generelles Problem unserer Zeit deutlich. Für 2020 geht der Verband für häusliche Betreuung und Pflege von rund vier Millionen Pflegebedü­rftigen aus. Mehr als drei Millionen leben zu Hause. Ausgebilde­te Pflegekräf­te fehlen an allen Ecken und Enden. Bei einem Viertel der Haushalte sind Angehörige mehr als sieben Stunden mit der Pflege beschäftig­t – besonders zeitaufwen­dig ist es bei Menschen mit hohen Pflegegrad­en und Demenz, wie jüngst eine Umfrage im Auftrag des Wissenscha­ftlichen Instituts der Allgemeine­n Ortskranke­nkassen ergab. Laut der Deutschen Stiftung Patientens­chutz legt die Studie den Finger in die Wunde, dass die zeitliche, psychische und physische Hauptlast allein bei pflegenden Angehörige­n bleibt.

Seine Frau ist tot, er liegt in der Wanne

 ?? Foto: Nicolas Armer, dpa ?? Nach 70 Jahren Ehe bringt ein 91 Jahre alter Mann in Unterfrank­en seine Frau um. Nicht aus Wut, nicht aus Hass, sondern aus Hilflosigk­eit und Liebe, sagt sein Verteidige­r. Nun muss er sich wegen Totschlags vor Gericht verantwort­en.
Foto: Nicolas Armer, dpa Nach 70 Jahren Ehe bringt ein 91 Jahre alter Mann in Unterfrank­en seine Frau um. Nicht aus Wut, nicht aus Hass, sondern aus Hilflosigk­eit und Liebe, sagt sein Verteidige­r. Nun muss er sich wegen Totschlags vor Gericht verantwort­en.

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