„Zu CoronaLeugnern keine Handbreit Nähe“
Staatsintendant André Bücker hat einen offenen Brief an die Staatsregierung mit unterschrieben. Die Forderung: keine pauschalen Schließungen in der Kultur. Im Hotspot Augsburg fällt es ihm aber schwer, ein offenes Haus zu fordern
Herr Bücker, gab es bei Ihnen am Staatstheater Augsburg einen CoronaFall, mit dem Sie als Intendant des Hauses zu tun hatten?
André Bücker: Ja, es gab Fälle im Haus. Die waren aber glücklicherweise isoliert und haben zu keinen weiteren Ansteckungen im Haus geführt. Wir haben bisher, toi, toi, toi, großes Glück gehabt und mussten bis zum Lockdown keine Vorstellung ausfallen lassen wegen eines Corona-Falls. Es gab mehrfach Quarantäne-Situationen, weil sich das Gesundheitsamt bei Mitarbeitern gemeldet hatte, die Corona-Kontaktpersonen der ersten Kategorie gewesen sind. Aber das geht wohl zurzeit jedem größeren Betrieb so.
Dann sind Ihre Hygienekonzepte aufgegangen?
Bücker: Wir haben von Anfang an sehr gute und detaillierte Konzepte erstellt. Wir haben mit unserem Sicherheitsbeauftragten, den Betriebsärzten und dem Gesundheitsamt für jede Abteilung eigene Gefährdungsbeurteilungen und Hygienekonzepte entwickelt. Wir müssen als Theater ja immer an beide Seiten denken: sowohl an unsere Zuschauer als auch an die Mitarbeiter. Da haben alle super mitgezogen.
Für das Gesundheitsamt müssen Sie in Pandemiezeiten auch Listen vorhalten, wer im Publikum saß, um CoronaInfektionsketten rasch nachverfolgen zu können. Hat das Gesundheitsamt deswegen bei Ihnen je angefragt? Gab es mögliche Infektionssituationen? Bücker: Ein einziges Mal, aber noch vor dem ersten Lockdown. Wir hatten Ende Februar einen der ersten Corona-Infizierten in der Premiere von „Auf dem Paseo del Prado mittags Don Klaus“. Dieser Fall wurde auch über die Medien bekannt. Damals galt die Regel der Rückverfolgbarkeit noch gar nicht, wir konnten aber genau rekonstruieren, wer in der Vorstellung war. Das Gesundheitsamt war sehr begeistert von uns. Es hat sich niemand im Theater angesteckt. Es war eine voll besetzte Premiere, und es gab bei damals noch voll besetztem Zuschauerraum keinerlei Ansteckung, was wohl auch dafür spricht, dass unsere Lüftungsanlage gut funktioniert hat.
Sie erfüllen seit Monaten Hygienekonzepte als Theater, das Publikum ist stark reduziert und musste zuletzt Maske tragen, jetzt darf das Theater nicht spielen. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Bücker: Wenn ich in Augsburg auf die Zahlen blicke und wir einen Inzidenzwert von über 340 haben, dann fällt es mir tatsächlich schwer, mich hinzustellen und zu sagen: Wir haben aber so tolle Hygienekonzepte! Wenn ich in einer Stadt mit einem Inzidenzwert von 48 wäre, würde ich das anders sehen, das muss ich ganz ehrlich sagen. Die Situation ist zweischneidig, ich sehe das differenziert.
Was heißt das genau?
Bücker: Ich habe meine Probleme mit der Pauschalität der Maßnahmen, ich finde, man hätte die Debatte im Bundestag vor der Entscheidung führen müssen, ich finde, man hätte die Debatte im Landtag vor der Entscheidung führen müssen. Das sind zum Beispiel Kritikpunkte, die ich habe. Wenn man sich jetzt aber die Situation anschaut, kann man kaum ruhigen Gewissens die Möglichkeit für größere Veranstaltungen einfordern, obwohl wir natürlich auch gar keine größeren Veranstaltungen mehr gemacht haben. In der Gesamtsituation müssen die Infektionszahlen runtergehen. Ich hätte mir gewünscht, dass das differenzierter geplant und strukturierter umgesetzt wird und vielleicht auch ein bisschen besser kommuniziert wird. Nach acht Monaten Pandemie hätte ich da mehr erwartet.
Kam das Publikum denn überhaupt in den zurückliegenden Monaten zu Ihnen?
Bücker: Wir hatten überhaupt kein Zuschauerproblem, die Menschen wollen ins Theater, in die Oper, in die Konzerte gehen.
Allerdings bei coronabedingt reduziertem Platzangebot.
Bücker: Man weiß natürlich nicht, ob die Säle voll wären, wenn es keine Sitzplatzbeschränkungen gegeben hätte, das stimmt. Ich weiß auch nicht, ob jetzt – bei diesem hohen Inzidenzwert von 340 – Besucher nicht Tickets zurückgeben würden. Das würde sicherlich den einen oder anderen dazu bewegen, seinen Theaterbesuch zu überdenken. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust, ganz ehrlich. Andererseits bin ich der Meinung, dass Theater einen öffentlichen Auftrag haben und die Öffentlichkeit nicht daran gehindert werden sollte, diese Orte aufzusuchen. Unsere einzige Äußerungsmöglichkeit ist zurzeit der digitale Raum, und den nutzen wir intensiv.
Würden Sie vor diesem Hintergrund den Brief, den Sie vergangene Woche mit Ihren Intendanten-Kollegen verschickt haben, noch einmal so abschicken?
Bücker: Ja, den würde ich schon noch einmal so abschicken. Die Maßnahmen wurden so beschlossen, aber ich bin nicht davon überzeugt, dass das die einzige Möglichkeit der Politik war. Ich glaube, es hätte auch andere Optionen gegeben. Natürlich kämpft jeder für seinen Bereich. Wir Theaterleute kämpfen dafür, unsere Theater offen zu halten, wie Restaurant-Betreiber dafür kämpfen, ihre Restaurants offen zu halten. Das macht es Politikern natürlich schwer. Wenn Theater sich jetzt hinstellen und sagen, dass es dort keine Infektionen geben kann, macht man es Politikern gerade nicht leichter, aber das ist auch nicht unsere Aufgabe (lacht). Die Abwägung der Argumente ist schwer. Man hat ja seitens der Politik durchaus gewusst, wo Problemherde liegen und die Abstands- und Hygieneregeln nicht befolgt werden. Da muss sich die Politik fragen lassen, ob man dort konsequent genug gehandelt hat, um jetzt den Theatern die Tür zu verschließen. Es ist die Frage, ob da nicht Bevölkerungsgruppen, die sich äußerst diszipliniert an alle Maßnahmen halten, bestraft werden für die
Unvernunft der anderen, ob man nicht besser diese vor den Undisziplinierten schützen muss, indem man die Undisziplinierten stärker sanktioniert. Das sind Fragen, die sich auftun.
Warum sind offene Theater in dieser kritischen Situation wichtig?
Bücker: Theater haben eine gesellschaftliche Funktion, sind soziale Räume, sind Diskursräume, sind – das ist in Zeiten der Pandemie schwierig – Versammlungsräume. Ich glaube, dass eine künstlerische Reflexion von sozialer Gegenwart, von gesellschaftlicher Gesamtsituation, die in Theatern immer stattfindet, in einer Demokratie wichtig ist. Dann ist Kunst an sich auch noch grundsätzlich notwendig. Nicht nur im Sinne von Diskurs und Reflexion, auch im Sinne von Erbauung und Trost. Natürlich ist die Aufführung von einer Oper, von einem Sinfoniekonzert etwas, das der Seele guttut, selbst wenn man auf Abstand zu den anderen Besuchern mit einer Maske sitzt. Da haben die Theater dann auch Berührungspunkte zu den Kirchen. Und mir ist nicht klar, warum Gottesdienste erlaubt sind und Theater nicht, zumal beides, die Religionsfreiheit und die Kunstfreiheit, im Grundgesetz verankert ist und sich bei manchen Gottesdiensten nachweislich viele Menschen mit Corona infiziert haben. Das ist für Künstler schwer nachvollziehbar, denen gerade die Existenzgrundlage entzogen worden ist, also zum Beispiel für die Freiberufler, die seit acht Monaten keinen Cent verdienen. Da geht es um Schicksale, das muss man sich ganz genau vor Augen führen.
Befürchten Sie mit Ihrem kritischen Blick auf die aktuellen Maßnahmen im
November, denjenigen eine Steilvorlage zu geben, die behaupten, die Corona-Pandemie sei eine große Verschwörung?
Bücker: Davon muss man sich ganz deutlich abgrenzen und distanzieren, zu Corona-Leugnern darf man keine Handbreit Nähe zulassen. Was uns gesellschaftlich nie abhandenkommen darf, ist die Fähigkeit zur Differenzierung.
Dass soloselbstständige Künstler von den Corona-Maßnahmen extrem getroffen werden, ist bekannt. Wie gefährdet sind die Institutionen? Bücker: Unsere Aufgabe ist es, jetzt dafür zu sorgen, dass die Institutionen nicht nachhaltig Schaden nehmen. Wir als Theater haben gerade ein riesiges Einnahmedefizit. Es war letzte Spielzeit schon groß und wird in der laufenden Spielzeit noch größer. Nicht nur die Soloselbstständigen sind in Gefahr, auch für die Einrichtungen wird die Luft immer dünner.
Wie gehen Sie da vor?
Bücker: Wir leisten gerade einen Beitrag. Wir müssen auf uns schauen, was wir leisten können. Wir versuchen, an allen Ecken und Enden Kosten zu reduzieren. Wir besetzen vakante Stellen gerade nicht neu. Wir bemühen jetzt zum ersten Mal das Instrument Kurzarbeit, was nicht nur für die freie Wirtschaft, sondern auch für Kulturinstitutionen ein existenzsicherndes Element ist, gerade für sehr mitarbeiterintensive Institutionen wie das Theater – 78 Prozent unserer Ausgaben sind Personalausgaben.
André Bücker, 51, kam 2017 als In tendant ans städtische Theater Augsburg, das 2018 zum Staatsthea ter umgewidmet wurde.