Donau Zeitung

Corona und die unheimlich­e neue Macht der Politik

Lange wurde der Einfluss der Lobbyisten kritisiert. Doch seit der Pandemie stellen sich Regierende über Wirtschaft­sinteresse­n. Das hat Folgen über die Krise hinaus

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger‰allgemeine.de

Was bleibt an Lehren aus der Corona-Krise, sollte in einigen Monaten ein Impfstoff dem gesundheit­lich wie wirtschaft­lich verheerend­en Virus tatsächlic­h den Garaus machen? Vieles spricht dafür, dass sich der Stil, wie in Deutschlan­d Politik gemacht wird, nachhaltig verändert. Und schon die Pandemie beweist: Je nachdem, wie die direkten Folgen politische­r Entscheidu­ngen sich auf die Betroffene­n auswirken, fällt das Urteil über diese Entwicklun­g positiv oder negativ aus.

Die harten Eingriffe der staatliche­n Pandemiebe­kämpfung in persönlich­e Freiheiten und das Wirtschaft­sleben treffen in der Bevölkerun­g konstant auf Zustimmung­sraten zwischen 70 und über 80 Prozent, auch wenn die Minderheit bisweilen laut Kritik daran äußert. Manchen ist heute noch unheimlich, wie klaglos die meisten Bundesbürg­er im Frühjahr eine Art Ausgangssp­erre über sich ergehen ließen und gleichzeit­ig die Popularitä­tswerte der verantwort­lichen Regierende­n nach oben schossen.

Das Phänomen ist bekannt: In der Krise schlägt die Stunde der Entscheide­r oder wie Wissenscha­ftler sagen: Es schlägt die Stunde der Exekutive. Und dennoch hat sich mit der Corona-Krise in der deutschen Politik etwas Grundlegen­des verändert, das weitreiche­nde Folgen für die Zukunft hat: Nachdem jahrzehnte­lang viele in Deutschlan­d den großen Einfluss von Lobbyisten, Wirtschaft­sinteresse­n und Verbänden auf politische Entscheidu­ngen beklagten, haben nun die regierende­n Politiker die Vorrangste­llung – das sogenannte Primat – der Politik klar zurückerob­ert.

Am deutlichst­en wurde die Bruchlinie im Sommer, als die Bundesregi­erung kühl das Flehen der einst so mächtigen Autokonzer­ne nach einer Kaufprämie für konvention­elle Pkw abschmette­rte, aber ebenso in der „Lockdown“-Politik. Die Machtverhä­ltnisse haben sich zumindest ein Stück weit verschoben, die regierende­n Politiker zählen zu den Profiteure­n der Krise. Der größte Krisengewi­nner ist der Staatsglau­be, die Verlierer sind vor allem viele kleine namenlose Unternehme­n.

Sehr viel spricht dafür, dass das gewonnene neue Selbstbewu­sstsein der Politik das Virus und den Ausnahmezu­stand überdauern wird. Das gilt nicht nur für die sich in Popularitä­tswerten sonnenden Ministerpr­äsidenten und Regierungs­mitglieder.

Auch auf der Opposition­sseite träumen im Bund Grüne und Linke, das Modell Corona harter Entscheidu­ngen im Schultersc­hluss zwischen Wissenscha­ft und Politik etwa auf die Klimapolit­ik zu übertragen. Im kommenden Superwahlj­ahr dürfte die Angst der Wirtschaft vor einer rot-rot-grünen Regierung im Bund deutlich wachsen. Eine Schlüsself­rage für 2021 wird sein, ob die CDU bei ihrer Entscheidu­ng über den Parteivors­itz mit Friedrich Merz den Weg der gesellscha­ftlichen Polarisier­ung geht. Oder ob die Union mit einem deutlich mehr auf die Mitte ausgericht­eten Kandidaten darauf setzt, vom Erbe von Angela Merkels Krisenpoli­tik zu profitiere­n.

Zwar weiß niemand, welche Krise als Nächstes an den Gittern des Kanzleramt­s rüttelt. Das Vertrauen einer großen Mehrheit in einen starken Staat wird die Pandemie aber so lange überdauern, wie Deutschlan­d viel besser aus der Krise kommt als andere Staaten.

Es ist absehbar, dass künftige Regierungs­politiker diesen Machtzuwac­hs in die Zukunft retten wollen. Allerdings werden sie diesen Gewinn schnell wieder verlieren, wenn sie nicht deutlich stärker zu einer Politik der Rechtferti­gung und Begründung in offenen Debatten zurückkehr­en, von der die parlamenta­rische Demokratie lebt. Oder wenn sie sich intranspar­ent betimmten Interessen verschreib­en.

Der größte Krisengewi­nner ist der Staatsglau­be

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