Der König des Gitarrengewitters
Für die amerikanische Präsidentschaftswahl hat der Kanadier Neil Young extra noch die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragt – vor seinem 75. Geburtstag
Wo anfangen bei diesem Ausnahmemusiker? Bei seiner Sturheit? Davon hat Neil Young genügend in die Wiege gelegt bekommen. Er, der in jungen Jahren an Kinderlähmung erkrankt und seitdem gehandicapt ist, hat sich nicht entmutigen lassen und ist trotz großer Widerstände Rockmusiker geworden. An seinem 75. Geburtstag an diesem Donnerstag kann er auf ein riesiges Werk mit unzähligen Alben schauen, er hat Hits geschrieben, die bleiben: von Folk-Liebesliedern wie „Heart of Gold“bis zu Rock-Hymnen wie „Hey Hey, My My“. Aus seiner großen Zeit bringt er gerade eine zweite Auskopplung aus seinem Archiv heraus: zehn CDs mit Konzert-Aufnahmen aus den wichtigen Jahren von 1972 bis 1976.
Allerdings fangen Neil-YoungFans nicht kollektiv an, Hosianna zu rufen. Sie beschweren sich in Foren darüber, dass Young die Tonträger auf 3000 Exemplare limitiert und er drei der zehn Scheiben schon veröffentlicht hat, die die Treusten der Treuen doppelt kaufen müssen. Aber so ist er, der Kanadier, stur auch da. Zumutungen gehören bei ihm zum Schaffensprozess dazu.
Als Young das überaus erfolgreiche Quartett Crosby, Stills, Nash and Young verließ und gemeinsam mit seiner Band Crazy Horse die Alben „After the Gold Rush“und „Harvest“herausbrachte, lag ihm das Publikum zu Füßen, landete er ganz vorne in den Hitparaden. Ein rumpliges Live-Album und das langsame, großartige, aber viel weniger massentaugliche „On the Beach“später änderte das wieder. Auf den Folk-Sänger mit der markanten Falsett-Stimme wollte sich Young nicht festlegen lassen. Da gab es in ihm auch den Rocker, der live endlose Gewitter auf seiner Gitarre entfesselte, wenn er etwa „Like a Hurricane“anstimmte.
In den 80er Jahren, als er als Vater stark gefordert war, weil sein Sohn mit infantiler Zerebralparese zur Welt kam, brachte Young seine neue Plattenfirma Geffen Records zur Verzweiflung, weil er mit Synthesizern und Computerklängen im Stil von Kraftwerk experimentierte, woraufhin seine Firma ihn verklagte, weil er ihr unkommerzielle Musik anbot.
Wie zum Hohn auf diese Auseinandersetzung gelang Young als Patenonkel des Grunge-Rocks in den frühen 1990er Jahren ein erstaunliches Comeback – wieder zurück bei der alten Plattenfirma – unter anderem mit „Freedom“und der Hymne „Rockin’ in the Free World“.
Dieser Song schlägt eine Brücke in die Gegenwart. Denn Donald Trump und sein Wahlkampfteam vereinnahmten das Lied. Woraufhin Young sich juristisch dagegen wehrte und dann noch die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragte. Er, der Kanadier, der seit den 1960er Jahren in Kalifornien lebte, hatte das Bedürfnis, bei der amerikanischen Präsidentenwahl eine Stimme abgeben zu müssen. Für wen, daraus machte er keinen Hehl. Im August veröffentlichte er „Lookin’ for a Leader“, in dem er aufforderte, Biden zu wählen. Richard Mayr