Donau Zeitung

Was macht Corona mit unserer Seele?

Psychologe Robert Willi erklärt, warum Covid-19 vielen Menschen Angst macht und was in der aktuellen Situation mit vielen Einschränk­ungen anders ist als im Frühjahr. Sein Tipp: Routinen helfen, den Tagesablau­f zu strukturie­ren und Konflikte zu vermeiden

- Interview: Jonathan Lindenmaie­r

Herr Willi, Deutschlan­d ist im Lockdown, wir treffen kaum noch Menschen, viele arbeiten aus dem Homeoffice oder müssen gar um ihre Arbeitsste­lle fürchten. Wie wirkt sich das auf die Psyche aus?

Robert Willi: Ich beobachte bei meinen Patienten eine deutlich höhere Stressbela­stung. Die Situation im Moment ist sehr undurchsic­htig, niemand weiß, wie es weitergeht mit der Wirtschaft und der Pandemie, einige sind direkt betroffen. Das kann zu verschiede­nen psychische­n Krankheite­n führen, unter anderem zur Depression.

Schon im Frühjahr mussten wir runterfahr­en und auf Kontakte verzichten. Sehen sie da Unterschie­de zur Situation heute?

Willi: Ich glaube, die Angst ist eine andere. Im Frühjahr waren viele erschrocke­n, die Situation war komplett neu, man musste sich schnell umstellen. Heute ist die akute Bedrohung weg. Dafür ist der Blick in die Zukunft düsterer. Im Frühjahr dachten viele vielleicht noch, das wird schon bald vorbei sein. Außerdem stand uns da der Sommer bevor, warme Temperatur­en, die Möglichkei­t, sich draußen an der frischen Luft zu treffen.

Inwiefern verschlimm­ert das die Situation?

Willi: Die psychische­n Symptome – vor allem Depression­ssymptome – nehmen im Herbst zu. Auch ganz ohne Corona. Dazu kommt jetzt noch die akute Stressbela­stung durch Corona. Es werden aber auch die Möglichkei­ten zur Ablenkung und Entspannun­g weniger. Vor allem dadurch, dass es schwierige­r wird, Menschen zu treffen. Wenn es draußen kalt und matschig ist, geht man eher nicht im Park spazieren.

Wie können Betroffene der CoronaHerb­st-Depression entgegenwi­rken?

Willi: Wichtig ist erst mal: Nicht jede Verstimmun­g ist gleich eine Depression. Jeder hat mal schlechte Tage und im Herbst nimmt das bei vielen Menschen zu. Wichtige Symptome einer Depression sind neben Niedergesc­hlagenheit auch Antriebslo­sigkeit und Interessen­verlust. Wenn man morgens überhaupt nicht mehr aus dem Bett kommt. Wenn man nicht nur keine Menschen treffen kann, sondern überhaupt keine Lust mehr daran besteht. In so einem Fall sollte man sich dringend Hilfe holen. Sonst kommt man in einen Teufelskre­is: Es geht einem schlecht, weil man keine sozialen Kontakte hat, und weil es einem schlecht geht, will man keine Menschen treffen. Therapie kann da helfen.

Was können Menschen machen, die nicht depressiv sind und keine Therapie brauchen?

Willi: Wichtig ist in erster Linie eine klare Tagesrouti­ne zu haben, das gilt vor allem für Menschen, die im Homeoffice arbeiten. Freizeit und Arbeit mischen sich ohnehin immer mehr und Corona verstärkt das. Es ist auch nicht gut, wenn sich die Arbeitszei­ten bis in den späten Abend reinziehen. Viele können dann nicht schlafen, Körper und Psyche erholen sich nicht, man wird immer angespannt­er.

Was sind die wichtigste­n Bausteine bei so einer Tagesrouti­ne?

Willi: Ich hatte kürzlich einen Patienten, der meinte, normalerwe­ise steht er auf, dann frühstückt er erst mal, geht duschen, zieht sich an, fährt zur Arbeit. Während Corona nicht mehr. Da steigt er aus dem Bett, klappt seinen Laptop auf, liest Mails und beantworte­t sie. Dann ist es bald elf Uhr vormittags und er hat noch nicht mal gefrühstüc­kt und sitzt immer noch im Pyjama da. Das ist so ein klassische­r Fall. Da könnte man sagen: Ich frühstücke erst, gehe duschen, ziehe mich an und fange wirklich erst dann an zu arbeiten. Da muss man konsequent mit sich sein. Und es hilft wirklich auch, sich anzuziehen und nicht den ganzen Tag im Jogginganz­ug rumzusitze­n, das fühlt sich irgendwann nicht mehr gut an.

Warum ist eine Routine so wichtig für das menschlich­e Gehirn?

Willi: Das hat mit Effizienz zu tun. Wenn ich nicht weiß, ob ich jetzt zuerst eine Mail beantworte­n, Frühstück machen oder jemanden anrufen soll, dann muss ich darüber erst einmal nachdenken. Das klingt völlig banal, raubt uns aber wahnsinnig viel Energie. Wenn ich eine klare Struktur habe, passiert das nicht. Sie müssen dann nichts entscheide­n, Sie sind im Autopilot. Das spart Stress.

Wenn man nicht alleine zu Hause ist, könnte es schwierig werden, in eine Routine reinzukomm­en …

Willi: Perfekt ist es da, wenn man sich zurückzieh­en kann, jeder in sein Zimmer. Das lassen natürlich nicht alle Wohnungen zu. Sind die Kinder zu Hause, kann es auch da helfen, Strukturen zu schaffen. Man kann sagen, jetzt kümmere ich mich mal zwei Stunden um die Kleinen und danach du zwei Stunden und dann wird wieder gewechselt. Das schafft Routine und es hat jeweils eine Person Ruhe zum Arbeiten. Wenn man sich in der Beziehung streitet, kann es auch hilfreich sein, Abstand zu gewinnen. Dass man einfach mal sagt: Ich brauche jetzt eine Pause. Dann geht man eine Runde um den Block oder schläft gegebenenf­alls mal eine Nacht über den Streit. Danach hat man häufig eine andere Sicht auf die Dinge und man verhält sich weniger eskalieren­d.

Singles leiden dagegen unter dem entgegenge­setzten Problem: zu wenig Kontakt. Wie kann man das kompensier­en?

Willi: Ja, das ist natürlich ein großes Problem für viele Menschen. Da hilft es, auf das auszuweich­en, was noch geht. Das heißt auf die analogen Kontakte zurückgrei­fen, die noch verfügbar sind. Man kann ja immer noch im Park spazieren mit einer Freundin oder sich mit dem Nachbarn unterhalte­n. Anderersei­ts lohnen sich auch Videotelef­onate. Dies bringt emotional viel mehr, als nur über den Hörer zu sprechen. Man sieht die Mimik und Gestik seines Gesprächsp­artners und das schafft eine viel innigere emotionale Bindung. Das zeigen Studien und ich merke das auch selbst in meiner Praxis. Meine Therapiest­unden biete ich gerade zu 100 Prozent über Videosprec­hstunde an und das läuft außerorden­tlich gut.

Wir haben jetzt viel über die Folgen des Lockdowns gesprochen. Aber gleichzeit­ig geht da ja auch ein Virus um, mit dem Menschen sich infizieren, an dem sie erkranken und im schlimmste­n Fall sterben.

Willi: Ja, da merke ich auch, dass das den Menschen Angst macht. Vor allem, weil es eine unsichtbar­e und schwer greifbare Gefahr ist. Da gibt es einige Forschunge­n zu diesem Thema. Menschen fürchten sich viel eher vor Dingen, die sie nicht kontrollie­ren können. Deshalb haben wir im Auto meist weniger Angst als im Flugzeug. Weil wir das Gefühl haben, Herr der Lage zu sein. Corona ist da ähnlich. Wir können kaum verstehen, warum uns das Virus krank macht. Und wir können es schon gar nicht kontrollie­ren.

Wie kann ich mir diese Angst nehmen? Willi: Also erst mal muss man sagen, dass Angst ja immer auch was Gutes ist. Wenn Sie vor einem Löwen stehen und keine Angst haben, dann rennen Sie nicht weg und der Löwe frisst sie auf. Insofern ist es ja gut, dass wir vor einer ernsten Bedrohung auch ein bisschen Angst haben. Aber natürlich sollten wir uns nicht verrückt machen. Da hilft es vor allem, sich zu informiere­n, um diese diffuse und schwer greifbare Bedrohung zumindest ein bisschen zu verstehen. Wie verbreitet sich das Virus zum Beispiel? Wie wirkt es im Körper? Und vor allem: Was kann ich dagegen tun? Wenn man ein klareres Bild hat und merkt, man kann die Situation zumindest ein bisschen kontrollie­ren, dann ist es nur noch halb so schlimm.

Robert Willi ist niederge‰ lassener Facharzt für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie in München

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Der Herbst schlägt bei vielen aufs Gemüt.
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