Durch die Flugverbotszone
Der Muskelmann Bryson DeChambeau ist der Favorit auf den Sieg beim 84. US Masters. Was den Amerikaner mit dem 63-jährigen Bernhard Langer verbindet
Augusta Glück spielt beim Golf immer mit. Mal hilft eine günstige Windböe, mal ein Stein oder ein Baum, der den Ball zurück auf die Spielbahn bugsiert. Der Spanier Jon Rahm brachte am Dienstag sogar Wasser ins Spiel, als ihm in seiner Einspielrunde für das 84. US Masters ein Hole-in-one gelang, das seitdem die Golfwelt elektrisiert.
Mit einem flachen Schlag und voller Absicht ließ der Weltranglistenzweite seinen Golfball wie einen Stein dreimal über einen großen Teich titschten, der auf Bahn 16 des Augusta National Golf Club zwischen Abschlag und Grün liegt. Rahms Ball erreichte nicht nur das rettende Ufer. Er rollte anschließend noch 17 Sekunden lang im großen Bogen über den fein manikürten Rasen, um letztlich im Loch zu verschwinden. Dieser beste Schlag im Leben des 26-Jährigen war obendrein das zweite Ass innerhalb von zwei Tagen. Setzt sich Rahms Glückssträhne fort, dürfte der Baske das Masters, das an diesem Donnerstag beginnt und bis Sonntag geht, gewinnen.
Als klarer Favorit beim prestigereichsten der vier Majorturniere gilt allerdings der Amerikaner Bryson DeChambeau. „The Scientist“, so sein Spitzname, hat das Golfspiel in den Rang der Wissenschaft gehoben. Wie kein anderer versucht der frühere Physikstudent, mittels Zahlen
und Statistiken das Spiel beherrschbar zu machen und das Optimum aus seinen Schlägern herauszuholen. Eine Berufsauffassung, die nicht alle seine Gegner ernst nehmen. Belächelt wird DeChambeau nicht mehr, seitdem er im Frühjahr nach der wochenlangen CoronaZwangspause der US PGA Tour plötzlich einen Körper präsentierte, der zwanzig Kilogramm mehr Muskeln trug als zuvor und viele spontan an den Actionheld Hulk erinnerte. Mit seinen 110 Kilogramm bei 1,85 Meter Körpergröße schlägt er den Golfball nun deutlich weiter als jeder andere auf der Tour – bis zu 370 Meter. Ein gewaltiger Vorteil, wie sich bereits bei der US Open im
September zeigte. DeChambeau feuerte aus allen Rohren, nicht immer gerade, entschied das Turnier aber mit sechs Schlägen Vorsprung für sich.
Mit seiner Statur ist der Kalifornier gewissermaßen der Antityp des drahtigen Bernhard Langer, der als ehemaliger Masterssieger automatisch für das Turnier qualifiziert ist zum 37. Mal. Der gebürtige Schwabe ist der einzige Deutsche unter den 96 Teilnehmern. Längennachteile kompensiert der inzwischen 63-Jährige durch Platzkenntnis, Strategie und ein kurzes Spiel, das so gut ist wie eh und je. Langers enorme Akribie ist vielleicht die einzige Gemeinsamkeit mit Topfavorit DeChambeau.
Nicht am Start in Augusta sind Martin Kaymer, der als 84. der Weltrangliste keine Einladung bekam, und Sergio Garcia, Sieger von 2017, der wegen einer Corona-Infektion nach 21 Jahren erstmals ein Majorturnier verpasst.
Überhaupt wird beim Masters wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr manches anders sein: Zuschauer sind erstmals nicht zugelassen. Durch die Verschiebung des Turniers vom April in den November bleibt die inoffizielle Gartenschau aus, die der Golfplatz im USBundesstaat Georgia im Frühjahr dank zigtausend blühender Azaleen bietet.
Bryson DeChambeau hat für seinen Teil angekündigt, auch einiges anders machen zu wollen in diesem Jahr. Angesichts seiner neugewonnenen Reichweite werde er die Grüns einiger Par-4-Bahnen direkt attackieren. Am spektakulärsten dürfte die Abkürzung werden, die DeChambeau über ein riesiges Waldstück links der 13. Bahn zu nehmen gedenkt. Selbst für Longhitter wie den Weltranglistenersten Dustin Johnson oder Titelverteidiger Tiger Woods ist das eine Flugverbotszone, weil ihr Ball in der Luft keine 350 Meter überwindet. Die „Tigerline“, wie man im Golf die jeweils wagemutigste aller Spiellinien nennt, könnte nach diesem Masters einen neuen Namensgeber erhalten. Falls Bryson DeChambeau das nötige Glück hat.