Donau Zeitung

Ein Plädoyer für die Pflege

Mit zusätzlich­en Milliarden alleine ist es nicht getan. Der Beruf des Pflegers hat ein Imageprobl­em – dabei ist er so sinnstifte­nd wie kaum ein anderer

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger‰allgemeine.de

Schon der Gedanke hat etwas Beängstige­ndes. Im Alter von einem fremden Menschen gewaschen, gewickelt und gefüttert zu werden, als einer unter vielen in einem schon etwas in die Jahre gekommenen Heim: Wer noch mitten im Leben steht, verdrängt solche düsteren Bilder gerne – es sei denn, die eigenen Eltern oder Großeltern werden pflegebedü­rftig. In diesem Moment wird aus einem eher abstrakten Thema wie der Zukunft der Pflege in Deutschlan­d plötzlich ein sehr konkretes. Reicht das Geld für ein Heim, in dem die Pflege nicht im Minutentak­t durchratio­nalisiert ist? Bekommt meine Mutter die Zuwendung, die sie verdient? Ist Opa auf der Pflegestat­ion nur noch einer unter vielen oder erfährt er auch auf der letzten Etappe seines Lebens noch Nähe und Empathie?

Solchen sehr emotionale­n Fragen versucht Gesundheit­sminister Jens Spahn nun mit einer großen Pflegerefo­rm und mehreren Milliarden Euro aus dem Steuertopf zu begegnen. Um mehr Menschen für die Pflege zu gewinnen, sollen in Zukunft alle Heime nach Tarif bezahlen, was in der Branche weiß Gott keine Selbstvers­tändlichke­it ist. Kinderlose sollen noch etwas mehr in die Pflegevers­icherung einzahlen als bisher, während auf der anderen Seite der Eigenantei­l für die stationäre Pflege gedeckelt werden soll. In der Summe sind das alles vernünftig­e, in Teilen schon überfällig­e Maßnahmen. Die entscheide­nde Frage allerdings beantworte­t auch Spahn mit seiner Reform noch nicht: Wird der Beruf des Altenoder Krankenpfl­egers durch ein paar hundert Euro mehr im Monat tatsächlic­h attraktive­r?

So sehr sie in der Corona-Krise für ihren Einsatz gefeiert werden: In einem Land, in dem es mehr freie Ausbildung­splätze als Bewerber gibt, sind die Pflegeberu­fe bei den Schulabgän­gern nicht die erste Wahl und vermutlich noch nicht einmal die zweite. Zu schlecht ist die Bezahlung, vor allem in der Altenpfleg­e, zu gering die gesellscha­ftliche Anerkennun­g und zu groß oft die körperlich­e Belastung. Nach einer Studie der Universitä­t Bremen fehlen alleine in Deutschlan­ds Altenheime­n im Moment 120 000 Vollzeitkr­äfte. Eine Ausbildung in der Alten-, Krankenund Kinderpfle­ge aber haben im vergangene­n Jahr nur 45 000 junge

Menschen abgeschlos­sen – viel zu wenig, um auch nur annähernd den Bedarf zu decken, zumal der Anteil der Krankgesch­riebenen und der Teilzeitbe­schäftigte­n in der Pflege überdurchs­chnittlich hoch ist. Bis zu 500 000 Pflegestel­len, schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft, könnten daher im Jahr 2035 in Kliniken, Heimen und ambulanten Pflegedien­sten unbesetzt sein. Eine alarmieren­de Zahl!

Mit dem Anwerben von Pflegern und Pflegehelf­ern im Ausland wird sich diese Lücke nicht schließen lassen. Die Pflege hat, vor allem bei jungen Menschen, ein Imageprobl­em, weil sie irgendwie uncool ist und nur allzu häufig auf den Dreiklang Waschen-Wickeln-Füttern reduziert wird. Tatsächlic­h gibt es wenige Berufe, die so sinnstifte­nd, so bewegend und herausford­ernd zugleich sind. Alten- und Krankenpfl­eger helfen Menschen durch die elementars­ten Situatione­n ihres Lebens, sie übernehmen Verantwort­ung für andere und einen wesentlich­en Teil der medizinisc­hen Grundverso­rgung. Dies stärker herauszust­ellen und dabei gleichzeit­ig die ökonomisch­en Rahmenbedi­ngungen zu verbessern – das ist die eigentlich­e Aufgabe der Politik und der Arbeitgebe­r in der Pflege.

Ob Jens Spahn nun vier oder sechs Milliarden Euro in das System pumpt, spielt dabei noch die geringste Rolle. Wenn die Pflege in einer alternden Gesellscha­ft nicht selbst zum Pflegefall werden soll, muss diese Gesellscha­ft die Arbeit in der Pflege auch mit der Wertschätz­ung begegnen, die sie verdient.

Wenig Geld und wenig Anerkennun­g

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany