Donau Zeitung

„Joe Kaeser hat einen guten Job gemacht“

Eine einflussre­iche Aktionärss­chützerin stellt dem Siemens-Chef nach seiner letzten Bilanzvorl­age sehr gute Noten aus. Gewerkscha­fter wollen es aber nicht nur bei Lob für den Manager belassen

- VON STEFAN STAHL

München Joe Kaeser geht auf Abschieds-Tour. Mit der Hauptversa­mmlung am 3. Februar kommenden Jahres endet die Zeit des 63-Jährigen an der Siemens-Spitze. Der Niederbaye­r wird sich vor allem auf den Aufsichtsr­atsvorsitz der großen und inzwischen börsennoti­erten Siemens-Energiespa­rte konzentrie­ren. Sein 55-jähriger Nachfolger Roland Busch, der schon jetzt gemeinsam mit ihm den Riesen lenkt, kann dann allein die Geschicke der nach all den Abspaltung­en (Osram, Gesundheit­ssparte, Energieber­eich) auf das Industrie-, Digitalund Bahngeschä­ft zugeschnit­tenen Siemens AG bestimmen.

So legt Kaeser seine letzte Bilanz für die Aktiengese­llschaft vor, der er rund 40 Jahre und damit sein ganzes Berufslebe­n treu war, seit 2013 als Vorstandsv­orsitzende­r. Der Manager muss sich, das wird bei der digitalen Pressekonf­erenz am Donnerstag deutlich, ein gehöriges Maß an Zurückhalt­ung auferlegt haben. Wie intensiv Journalist­en auch nachhaken, Kaeser will sich an dem Tag nicht zu offensicht­lich selbst für seine Lebensleis­tung loben. Dabei lächelt er ein ums andere Mal verschmitz­t, als würde es ihm Spaß machen, sich auch einmal zu bändigen. Der meinungs- und austeilung­sstarke Twitter-König unter den deutschen Top-Managern will die Bewertung der Leistung seiner Person „den Medien und Aktionären überlassen“. Immerhin lässt der Manager erahnen, wie zufrieden er mit seiner Arbeit für den von ihm heiß geliebten Siemens-Konzern ist, den er 2013 vom eher glücklosen Österreich­er Peter Löscher übernahm:

„Das Fundament ist gelegt, jetzt kann die Wertsteige­rung beginnen.“Kaeser wäre demnach ein solider Bauunterne­hmer, der einen festen Grund fertiggest­ellt hat, auf dem Busch nun ein noch gewinnträc­htigeres Haus errichten kann. Als der Noch-Siemens-Chef gefragt wird, ob er nicht Bitternis verspüre, weil ihm bei der virtuellen Hauptversa­mmlung am 3. Februar Aktionäre keine Ovationen bereiten können, meint er, wobei wiederum ein Lächeln über sein Gesicht huscht: „Es zahlt sich jetzt aus, dass ich mich immer dann geäußert habe, wenn es etwas zu sagen gab und mir nichts aufgespart habe.“Damit spielt Kaeser auf seine politische­n Twittereie­n an, in denen er sich gegen jede Form von Ausländerf­eindlichke­it zur Wehr setzte und etwa gegen die AfD stichelte. Für solche Bekundunge­n sei er ja auch kritisiert worden, merkt Kaeser ganz ruhig an und wird plötzlich – was neu an ihm wirkt – philosophi­sch. Ganz im Duktus des deutschen Überdichte­rs Johann Wolfgang von Goethe meint er: „Es kommt auf den Augenblick an. Wichtig sei, was bleibt.“Selbst wenn Menschen für ihn zu Ovationen aufstünden, würden sie sich auch wieder hinsetzen. Schwingt da nicht neben Ironie ein wenig Wehmut bei dem Mann mit, der sich wohl durchaus zugetraut hätte, zwei Jahre länger Siemens-Chef zu sein?

Auf alle Fälle wäre mit hoher Wahrschein­lichkeit nach seiner Abschiedsr­ede auf der Hauptversa­mmlung mit Publikum lauter Beifall aufgebrand­et, schlägt sich doch Siemens selbst im Corona-Jahr 2020 vergleichs­weise gut. Kaeser spricht vorsichtig nur von einer „verlässlic­hen, ja bemerkensw­erten Leistung in außergewöh­nlichen Zeiten“. Dabei hat der Konzern das Kunststück fertiggebr­acht, den Umsatz in dem bis 30. September laufenden Geschäftsj­ahr mit 57,1 Milliarden Euro in etwa auf Vorjahresn­iveau zu halten und bei leicht rückläufig­en Auftragsei­ngängen nach Steuern einen Gewinn von 4,2 Milliarden Euro einzufahre­n, auch wenn es 2019 noch 5,6 Milliarden waren. Demnach erhalten Aktionäre eine Dividende von 3,50 Euro je Papier, während sie im Vorjahr 3,90 Euro einheimste­n. Was aber in düsteren Zeiten das Beste ist: Siemens rechnet für 2021 mit einem „moderat steigenden Gewinn“. All das würde es rechtferti­gen, wenn sich der Manager ein wenig beherzter auf die Schultern klopft. Doch er stellt sich sogar selbst kritische Fragen, eine Kaeser-Novität. Der Siemens-Chef will vom Siemens-Chef wissen: „Hätte es besser laufen können?“Seine Antwort an sich lautet: „Absolut. Aber es hätte auch schlimmer laufen können – viel schlimmer.“Um es nicht bei Selbstrefl­exionen zu belassen und Kaesers Bitte zu entspreche­n, Vertreter von Anteilseig­nern nach seiner Bilanz zu befragen, soll die langjährig­e Siemens-Kennerin Daniela Bergdolt als Vize-Präsidenti­n der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz zu

Wort kommen. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt die Expertin, die immer wieder auch Kritik am Siemens-Kurs äußerte: „Joe Kaeser hat einen guten Job gemacht. Seine Bilanz ist positiv.“Der Konzern sei unter seiner Führung ein völlig anderes Unternehme­n geworden: „Siemens war einst verschlafe­n und ist jetzt hellwach und auf dem Weg an die Weltspitze.“Um das zu erreichen, fordert Bergdolt indes, müsse das Unternehme­n noch besser werden. Die Rechtsanwä­ltin schätzt an Kaeser am meisten, „dass er lernfähig und nicht abgehoben ist“. Daniela Bergdolt kommt zum Schluss: „Er ist der beste SiemensChe­f seit Heinrich von Pierer.“Mit der Wahl von Busch zum KaeserNach­folger wirkt die Aktionärss­chützerin zufrieden: „Er kann das, muss sich jedoch freistramp­eln.“Busch und Kaeser haben also Aktionäre auf ihrer Seite.

Doch wie sehen Gewerkscha­fter die Leistung des Noch-SiemensChe­fs? Ihre Bilanz fällt insgesamt freundlich aus, wenn auch Arbeitnehm­ervertrete­r nicht zu laut Beifall klatschen. Jürgen Kerner, Vorstand der IG Metall und Siemens-Aufsichtsr­at, verschweig­t gegenüber unserer Redaktion nicht, dass es „Differenze­n“gegeben habe. Bekanntlic­h kam es im Energieber­eich zu massiven Auseinande­rsetzungen um Jobs und Standorte. Kerner lobt den Manager dann doch: „Kaeser war ein harter, aber immer ein fairer und berechenba­rer Verhandlun­gspartner.“Am Ende sei es Arbeitgebe­rwie Arbeitnehm­erseite immer darum gegangen, das Beste für das Unternehme­n und seine Beschäftig­ten zu finden. Die Abschiedst­our gestaltet sich für Kaeser entspannt.

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Foto: Matthias Balk, dpa Joe Kaeser legt seine letzte Siemens‰Bilanz vor.

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