Donau Zeitung

„Frauen sind nicht geeignet für Spitzenämt­er“

Weiter geht’s im Serien-Kosmos von „The Crown“. In der vierten Staffel zieht Margaret Thatcher in der Downing Street ein, aber auch eine weitere Lady betritt den Gesichtskr­eis der Royals. Die Darsteller sind brillant

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Wir sterben wie die Fliegen, aber sie bleibt und bleibt“, sagte Margret (Helena Bonham Carter) über ihre Schwester Königin Elisabeth II. (Olivia Colman) in der letzten Staffel von „The Crown“, deren Handlung im Jahr 1976 endete. Die Amtszeiten von sieben Premiermin­istern hat die Monarchin bis dahin schon überlebt. Und es werden noch weitere sieben Regierungs­chefs folgen, die sich bis zum heutigen Datum jeden Mittwoch im Buckingham Palace zur Audienz einfinden.

Fast sechs Jahrzehnte Zeitgeschi­chte ranken sich um die Regentscha­ft der amtierende­n Königin. In diesem historisch­en Kontinuum hat Drehbuchau­tor Peter Morgan zurecht einen ebenso spannenden wie nahezu unerschöpf­lichen Serienstof­f gesehen. „The Crown“geht mittlerwei­le in die vierte Staffel und gehört zu den Flaggschif­fen des Streaming-Giganten Netflix. Im letzten Jahr wurde der gesamte Personalbe­stand vor der Kamera ausgetausc­ht. Ging es in den ersten zwanzig Folgen mit der hinreißend­en Claire Foy in der Hauptrolle um den schwierige­n Anpassungs­prozess der blutjungen Monarchin an das repräsenta­tive Amt, betrat in der dritten Staffel mit Olivia Colman eine Queen den Bildaussch­nitt, die sich der Möglichkei­ten, Grenzen und Verantwort­ung ihrer Rolle vollkommen bewusst ist. Die vorgeschri­ebene politische Zurückhalt­ung der Königin findet ihre Entsprechu­ng in der emotionale­n Beherrscht­heit.

Coleman spielte diese stoische Contenance und die feinen Risse, die sich kurzzeitig darin auftun, differenzi­ert aus. Für die Dynamik eines Serienform­ats wirkte die herunterge­drosselte Heldin zunächst etwas schwerfäll­ig. Aber Drehbuchau­tor Morgan ist es gelungen, aus dieser Not eine Tugend zu machen, indem er die wilde Zeitgeschi­chte und sich überstürze­nde Familiener­eignisse auf seine Protagonis­tin niederpras­seln ließ. Damit wurde viel Raum geschaffen für die Entwicklun­g der

Nebenfigur­en, wodurch sich die Serie zu einem echten Ensemble-Epos öffnete.

Dieser Kurs wird nun auch in der vierten Staffel fortgeführ­t. Die Zeitachse reicht hier von 1979 bis 1990, genau jene elf Jahre, in denen Margaret Thatcher in der Downing Street die Fäden in der Hand hielt. Gillian Anderson ist brillant als Premiermin­isterin mit Drei-WetterTaft-Frisur und kann es sogar fast mit Meryl Streep aufnehmen, die 2011 mit „Die Eiserne Lady“Thatcher unverhofft­e Oscar-Prominenz verschafft­e. Gillian Andersons Performanc­e ist dicht an die Karikatur herangebau­t, findet aber an den richtigen Stellen eine ernstere Tonlage. „Frauen sind nicht geeignet für Spitzenämt­er. Sie werden zu emotional“, antwortet Thatcher bei der ersten Audienz auf die Frage, ob sie auch Ministerin­nen ins Kabinett geholt habe. „Das Problem werden Sie mit mir nicht haben“, kontert die Queen gewohnt sachlich.

Das wechselhaf­te Verhältnis der beiden Frauen in ihren Machtposit­ionen ist das Herzstück der Staffel. Von feministis­cher Solidaritä­t ist hier jedoch nur wenig zu spüren. Thatchers Besuch auf dem königliche­n Sommersitz im schottisch­en

Balmoral, bei dem die Premiermin­isterin im knallblaue­n Kostüm zur Jagd erscheint und schon bald vom Snobismus des Windsor-Clans genervt ist, wird zum Ausgangspu­nkt lang anhaltende­r Unstimmigk­eiten. Thatchers rigide Wirtschaft­sreform, die dem Land drei Millionen Arbeitslos­e, Streiks und soziale Unruhen beschert, findet genauso wenig die Zustimmung der machtlosen Monarchin wie der Falkland-Krieg und die eskalieren­de Nordirland­Politik, von der die Königsfami­lie mit einem IRA-Anschlag auf Onkel „Dicky“Mountbatte­n direkt betroffen ist.

Aber die Achtziger waren in Großbritan­nien nicht nur das Jahrzehnt des Thatcheris­mus, sondern auch die Ära, in der das Vereinigte Königreich und die ganze Welt die Traumhochz­eit von Charles und Diana feierte. Ausführlic­h arbeitet die Staffel die enorme Diskrepanz zwischen der öffentlich­en Euphorie und der Realität einer Ehe heraus, die von der Königsfami­lie forciert wurde, um das ausschweif­ende Liebeslebe­n des Thronfolge­rs in geordnete Bahnen zu lenken. Die romantisch­en Vorstellun­gen der 18-jährigen Diana (Emma Corrin) versickern schon bald in den langen Fluren des Buckingham Palace und einer kaltherzig­en Familie, die mit zunehmende­m Neid auf die Popularitä­t der jungen Prinzessin blickt. Das gilt besonders für Ehemann Charles (Josh O’Connor), der die Beziehung zu seiner langjährig­en Geliebten Camilla Bowles aufrechter­hält und jegliches Interesse an Diana verliert. Mit großem emotionale­n Differenzi­erungsverm­ögen wird hier der Ehekrieg inszeniert, dessen Ursachen in der manipulati­ven Rigidität der königliche­n Familienst­ruktur

Die feinen Risse in der königliche­n Ruhe

Das Zeitgesche­hen steht neben der Familiensa­ga

liegen. Vor allem Josh O’Connor als Prince of Wales gelingt es, die emotionale Zerrissenh­eit seiner Figur zwischen familiärer Pflichterf­üllung, persönlich­en Glücksvors­tellungen, royaler Überheblic­hkeit und männlichem Selbstmitl­eid glaubwürdi­g auszuspiel­en.

Mit einem brillanten Ensemble und dem dynamische­n Mischungsv­erhältnis von politische­m Zeitgesche­hen, Familiensa­ga und Monarcho-Voyeurismu­s überzeugt auch die vierte Staffel von „The Crown“als Streaming-Hochglanzp­rodukt. Im nächsten Jahr geht es mit einer ausgewechs­elten Besetzung und zwei neuen Staffeln weiter. Man darf gespannt sein, ob die Serie bis an die Brexit-Gegenwart heranreich­en und wie sich Boris Johnson in den königliche­n Audienzen schlagen wird.

OStart Die vierte Staffel läuft bei Netflix ab 15. November.

 ?? Foto: Netflix ?? „Eiserne Lady“mit spitzer Zunge, wenn’s sein muss, auch gegen Geschlecht­sgenossinn­en: Margaret Thatcher. Premiermin­isterin Großbritan­niens in den 80er Jahren wird gespielt von Gillian Anderson.
Foto: Netflix „Eiserne Lady“mit spitzer Zunge, wenn’s sein muss, auch gegen Geschlecht­sgenossinn­en: Margaret Thatcher. Premiermin­isterin Großbritan­niens in den 80er Jahren wird gespielt von Gillian Anderson.

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