Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (102)
MIn die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli giösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019
anchmal mussten sie Urin und Fäkalien ertragen, die es von oben herabregnete. Den Säulenheiligen setzten Wind und Wetter dort oben zu, und so manch einer stürzte sich hirnverbrannt in den Tod. Der berühmteste Säulenheilige war der heilige Symeon der Ältere.“
Mancini hörte zu und schlitzte dabei das Amulett zum Schutz vor Unfällen vorsichtig mit seinem Taschenmesser auf. Darin befand sich, genau wie es Kassim beschrieben hatte, ein gefaltetes Papier mit einem bunten Diagramm. Das zweite Amulett enthielt eine blaue Perle und ein gefaltetes Papier, auf dem eine Hand und ein Koranspruch gegen den Neid prangten. Die Hand sollte die Neidaugen stoppen, die blaue Perle gilt in ganz Arabien als Mittel gegen Neid.
„Alles industriell sagte Mancini.
„Womöglich in China“, erwiderte Barudi giftig.
Als der Wirt die zweite Runde Kaffee brachte, klingelte Barudis hergestellt“,
Handy. Er schaute auf das Display. „Keine Ahnung“, beantwortete er Mancinis fragenden Blick, bevor er das Gespräch entgegennahm. „Ja, bitte“, sagte er trocken.
„Guten Tag, spreche ich mit Kommissar Barudi?“, meldete sich ein Fremder.
„Ja, bitte, wer ist da?“, fragte Barudi.
„Ich bin Josef Katib, der Sekretär von Herrn Georg Buri. Er wünscht Sie zu sprechen.“
„Ja, bitte“, sagte Barudi. „Nein, nicht am Telefon. Er lädt Sie zum Mittagessen ein, damit Sie sich in aller Ruhe mit ihm unterhalten können.“
„Ich komme gern, aber in Begleitung des Journalisten Roberto Mastroianni.“
„Selbstverständlich ist auch er eingeladen, entschuldigen Sie. Ich bin so ungeschickt. Herr Buri möchte Sie beide einladen. Er weiß von Herrn Mastroianni.“
„Und wie kommen wir zu Ihnen?“
„Unser Chauffeur wartet bereits vor der Pension, in der Sie übernachtet haben. Bis gleich also“, antwortete der Mann und legte auf. Barudi fiel vor Schreck fast das Handy aus der Hand.
„Was ist los?“, fragte Mancini. „Der Bruder von Kardinal Buri kennt nicht nur meine Handynummer, sondern weiß auch, wo wir übernachten.“
„Ja, und? Wir leben noch, das zeugt von seiner Gastfreundschaft. Er hätte uns erledigen können. Bei diesem Chaos hier wäre es kaum jemandem aufgefallen. Aber vielleicht braucht er uns.“
„Ich glaube, sein Bruder, Kardinal Buri, hatte Kontakt mit deinem Freund in Rom, dem Journalisten. Wie hieß er noch?“
„Du meinst Giuliano von Il Giornale?“
„Ja, genau der. Er hat doch den Kardinal scharfgemacht auf die Reportage, die du angeblich über die Heilerin schreiben willst. Und so achtet der große Boss darauf, dass uns nichts zustößt.“Barudi dachte kurz nach, als würde er mit einem Gedanken kämpfen. „Trotzdem“, fuhr er fort, „möchte ich eine kleine Maßnahme zu unserer Sicherheit treffen.“
Er rief Ali an. „Ali, ich werde zu einem Treffen mit Georg Buri gefahren… Ja, genau, aber ich weiß nicht einmal, wo das sein soll. Es kann sich um ein harmloses Mittagessen handeln, aber sollte ich mich in einer Stunde nicht bei dir melden, setz bitte alles daran, uns zu finden. Sei bis dahin so gut und lass meine Fahrt verfolgen und das Reiseziel orten. Ich nehme mein Smartphone mit… Danke, ja, alles in Ordnung.“
„Diese misstrauischen Syrer!“, rief Mancini, nachdem Barudi aufgelegt hatte. „Man kann sie nicht einmal zum Essen einladen, und schon ortet die Kriminalpolizei den Suppentopf.“
Als sie sich der Pension näherten, sahen sie bereits die schwarze Limousine.
Sie stiegen ein. Eine Viertelstunde später hielt der Chauffeur vor einer weißen Villa. „Wir sind da, meine Herren“, sagte er.
Direkt hinter dem eisernen Tor führte eine Treppe zu dem höher liegenden Gebäude. Vorgelagert war eine gewaltige Terrasse mit arabischen Bögen, die dem Ganzen einen orientalisch-kitschigen Charakter verlieh. Ein Mann in blauem Anzug schien auf sie gewartet zu haben. Er beeilte sich, ihnen entgegenzukommen.
„Seien Sie willkommen. Herr Buri erwartet Sie schon“, sagte er und begrüßte Barudi und Mancini per Handschlag. Dann führte er sie in den Salon.
Dieser war geschmacklos, protzig, überladen mit kitschigen Porzellanfiguren, die hier alle deplatziert schienen. Was hatte eine Balletttänzerin auf dem einen Ende des gewaltigen Tisches zu suchen, die auf einen scheußlichen Jaguar am anderen Ende starrte? Krummschwerter hingen neben Reproduktionen europäischer Gemälde. Das alles ergab keinen schönen Anblick, sondern sollte nur zeigen: Ich bin reich. Georg Buri war ein kraftstrotzender Achtzigjähriger, der zwanzig Jahre jünger wirkte. Er hatte das Gehabe eines Grandseigneurs. Sein Auftreten erinnerte an einen Mafiapaten: jovial und vollkommen von sich überzeugt. Zweimal wiederholte er, er sei der Taufpate von mehr als einem Dutzend Kindern, deren Eltern ihr Brot bei ihm verdienen. Das erinnerte Mancini an die Clanund Mafiabosse in Kalabrien.
Auch das Mittagessen, das er auffahren ließ, war herrschaftlich. Er war der generöse Spender, die Gäste waren die Bittsteller. Das verdarb Barudi und Mancini jeglichen Appetit.
Doch es kam noch ärger. Der Hausherr erklärte Barudi von oben herab, dass keiner in dieser Stadt irgendetwas ohne seine Genehmigung unternehmen dürfe. Das war offenbar der Zweck der Einladung gewesen. „Auch der Bergheilige nicht“, setzte er nach. Barudi kochte vor Wut, doch er beherrschte sich, in der Hoffnung, den arroganten alten Herrn in eine Falle locken zu können.
„Wenn Sie so mächtig sind, wie konnten Sie es als Katholik zulassen, dass in Ihrem Machtbereich ein Kardinal bestialisch ermordet wurde, und außerdem noch ein gutherziger Jesuit, der Begleiter des Kardinals? Ich weiß nicht, wie Ihr Bruder reagiert, wenn bekannt wird, dass Sie diesen Mord genehmigt haben.“
Der alte Herr schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ich habe nichts genehmigt“, schrie er. Mancini spürte eine lähmende Angst.
„Beruhigen Sie sich. Gerade haben Sie gesagt, in dieser Stadt geschehe nichts ohne Ihre Genehmigung“, sagte Barudi mit fester, fast arroganter Stimme. Mancini schaute ihn bewundernd an.
„Der Kardinal wurde hier verwöhnt und gut behandelt. Er hat sich sogar mit dem Bergheiligen angefreundet.“
„Ihr Bruder, Kardinal Buri, wäre davon vermutlich nicht gerade begeistert, er konnte Kardinal Cornaro nicht ausstehen.“
„Das weiß ich“, sagte der alte Herr mit beherrschter Stimme. „Ich auch nicht, aber er war ein Gast in meinem Gebiet.