Heiti, houti, heiti, alauria…
Jodeln, Volksmusik, Tracht – die Menschen in Bayern gelten als besonders traditionsbewusst. Was Bräuche mit Sehnsucht und deutschen Tugenden zu tun haben, und warum manche bereits fast ausgestorben sind
München Bayern, des samma...wer überhaupt? Viele Menschen im Freistaat identifizieren sich mit bayerischen Traditionen, erklärt Brauchtumshistoriker Hubertus Berger aus Regensburg. Er beobachtet, dass sie hierzulande wieder an Bedeutung gewinnen. „Die Großstädte tun sich aber wesentlich schwerer, Stichwort Reizüberflutung“, sagt er. Unzählige Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten und noch dazu das Internet in seiner ganzen Vielfalt – im Vergleich zu früher dringen Traditionen da gerade in den Städten weniger durch, ist Berger überzeugt. Als besonders traditionsbewusst sieht er etwa den südlichen Bayerischen Wald, ganz anders ist es seiner Meinung nach in Augsburg. Berger sagt: „Das hat viel mit dem Elternhaus und der Wertevermittlung zu tun.“
Berger zählt auf: Volksmusik, Männergesang und Brettl-Kunst, also das Volksschauspiel. Alles Beispiele für Traditionen, die wieder eine größere Rolle in Bayern spielen. „Da gibt es viele junge Leute, die richtig gut sind“, sagt er. Auch eine wiederentdeckte Beliebtheit der Tracht erkennt Berger: „Es gab Zeiten, da wurden viele Plastikdirndl getragen. Das ist zum Glück vorbei.“Im Aufwind befindet sich zudem eine Tradition, für die Bayern besonders bekannt ist: Die Menschen im Freistaat jodeln wieder.
„Vor wenigen Jahren gab es drei Jodellehrer, heute sind es 20 bis 30.“Das sagt ein Mann, der es wissen muss: Alfons Hasenknopf aus Neuötting im Osten Oberbayerns. Als Kind stand er bereits jodelnd im traditionsreichen Münchner Lokal „Platzl“auf der Bühne. Mit seiner Band präsentiert der heute 56-Jährige Lieder in bairischer Mundart, außerdem bringt er jedes Jahr zahlreichen Menschen das Jodeln bei.
„Das ist eine schöne Tradition, die wir in Bayern und dem gesamten Alpenraum haben. Aber Lautsprache gibt es auf der ganzen Welt. Überall wurde sie genutzt, um über große Täler hinweg Botschaften zu senden“, sagt Hasenknopf. Zwar habe sich spätestens seit Loriot in vielen Köpfen verfestigt, dass Jodeln eher „Dödelei“ist. „Es geht aber sehr tief. Das merkt man erst, wenn man es miteinander macht“, sagt er. Jodeln sei eine der schönsten Arten, die eigenen Gefühle auszudrücken, ohne sie in Worte zu fassen. „Diese Tiefe kriegst du mit keinem Wort der Welt hin.“
Doch wieso zieht es Menschen zu Hasenknopf, um das Jodeln zu lernen? „Vor allem aus Neugier“, sagt der Jodellehrer. Ob es „echte“Traditionspflege ist oder Menschen nur ein Event suchen, ist für ihn nicht „Das bereitet mir keine Bauchschmerzen. Unsere Zeit ist sehr oberflächlich geworden. Es ist legitim, sich einfach mal auf den Berg zu stellen und das Jodeln auszuprobieren.“Auch Firmen kommen für Mitarbeiterausflüge zu ihm. „Vielen fällt bei dieser Überraschung die Kinnlade runter. Aber nach zehn Minuten sind sie voll mit dabei. Das ist einfach schön.“
Brauchtumshistoriker Berger spricht Traditionen eine wichtige Funktion zu: „Der Mensch drückt in ihnen seine Sehnsucht aus. Wir müssen ihren Nutzen betonen und sie pflegen, sonst sterben sie aus.“In diese Richtung bewegt sich seit Jahren das Schuhplatteln. „Das beherrschen nur noch ganz wenige Leute“, sagt Berger. Ebenfalls rückläufig: die Zahl der jungen Leute in bayerischen Studentenverbindungen. Berger sagt: „Wir saßen früher noch in so einer Runde am Stammtisch. Doch das Werteverständnis und die deutschen Tugenden lassen nach.“
Mit über 200 Jahren eine der ältesten Studentenverbindungen Deutschlands ist das Corps Suevia aus München. Thomas Gottwald ist dort Altherren-Vorsitzender und zählt die traditionellen Regeln auf: Pflicht zum Fechten, lebenslange
Mitgliedschaft, keine Frauen, strikter Leistungsgedanke. „Andere Verbindungen sind von einzelnen Regeln abgerückt oder haben das Fechten durch populärere Aktivitäten wie Segeln ersetzt“, sagt Gottwald. „Die haben dadurch aber keinen Zulauf an Mitgliedern, im Gegenteil.“Gottwald ist die Traditionspflege wichtig: „Wenn Traditionen aussterben, sind die Alten schuld. Wir müssen sie in die nächste Generation tragen.“
Dass er strikt beim verpflichtenden Fechten bleibt, hat einen Grund: „Das war ursprünglich ein Zeichen der Rebellion italienischer Studenten, weil bis Anfang des 19. Jahrhunderts nur Adlige Waffen tragen durften.“Gelebte Traditionspflege also. Gottwald sagt zum umstrittenen Fechten: „Wer getroffen wird, hat schlampig gefochten.“
In Italien liegt auch der Ursprung der Studentenverbindungen. Gottwald sagt: „Die Corps haben sich als unpolitische Interessengemeinschaften von Akademikern entwientscheidend: ckelt, getrieben von der Französischen Revolution und der Aufklärung. Im Zentrum steht von jeher die Freiheit.“Das sei bis heute so, auch wenn Studentenverbindungen immer wieder in die Nähe der rechten Szene gerückt würden. „Ich erhalte regelmäßig Einladungen der AfD. Für diese Partei sind wir definitiv nicht der richtige Ansprechpartner“, sagt Gottwald. Er sieht seine Verbindung als liberal-konservativ. Gottwald kritisiert die Gleichsetzung mit Burschenschaften: „Die haben sich tatsächlich als nationalistische Bewegungen gegründet, damit haben wir nichts zu tun.“
Nur Studenten und Absolventen dürfen Mitglied im Corps Suevia sein. „Neben der gegenseitigen Unterstützung ist der Leistungsgedanke zentral bei uns. Die Studenten müssen jedes Semester einen entsprechenden Bericht vorlegen“, sagt Gottwald. Wer zu schlecht ist, kriegt einen Coach. Verbessert man sich nicht, fliegt man. Ohnehin kann nicht jeder Mitglied werden. „Die Leute müssen zu uns passen“, sagt Gottwald. 320 aktive Mitglieder zählt das Corps, 550 waren der Höchststand. „Zuletzt war der Zulauf wieder gut“, sagt Gottwald. „Aber wir müssen für uns werben.“
Brauchtumshistoriker Hubertus Berger ist genau wie das Corps Suevia ein Freund des Bewahrens von Traditionen. Er sagt: „Innovation sollte man sich nicht verschließen, aber wir dürfen das Brauchtum nicht verhöhnen.“