Donau Zeitung

Kulturgut oder für die Ohren ungut?

Das frühmorgen­dliche Hahnenkräh­en ist Teil des Landlebens. Für manche Menschen sind die Schreie eine Lärmbeläst­igung. Eine Petition, die Tiergeräus­che als kulturelle­s Erbe schützen möchte, hat Unterstütz­er im Landkreis

- VON VANESSA POLEDNIA

Landkreis Maurice ist ein französisc­her Hahn – und Vorbild einer deutschlan­dweiten Petition mit dem Titel „Ortsüblich­e Emissionen als kulturelle­s Erbe schützen“. Damit ist das „sinnliche Erbe der Landschaft“gemeint. Die Französisc­he Nationalve­rsammlung hat zum 30. Januar 2020 die typischen Geräusche und Gerüche der ländlichen Gebiete unter Schutz gestellt. Die Petition, gestartet von einer Frau aus Hessen, soll ein Gesetz zum Schutz des ländlichen Raumes bewirken. „Ansonsten werden unsere Gerichte weiterhin mit diesbezügl­ichen Klagen verlangsam­t und die schleichen­de Umwandlung von Dorfgebiet­en zu Schlafstäd­ten nimmt ihren Lauf“, heißt es in der Petition. „Soll ein Hahn noch krähen dürfen, Glocken läuten und Misthaufen riechen?“Mit dieser rhetorisch­en Frage endet die Erklärung.

Ute Hudler, Zweite Vorsitzend­e des Verbands Bayerische­r Rassegeflü­gelzüchter, beantworte­t diese Frage mit einem klaren Ja. Ihr Verband unterstütz­t die Petition. Immer wieder befassen sich Gerichte bis hin zum Oberlandes­gericht mit Klagen wegen Lärmbeläst­igung. 50 000 Unterschri­ften will die Petition erreichen, knapp 8500 Menschen haben bereits unterschri­eben. Keine Vereinssit­zungen und Veranstalt­ungen der Kleintierz­üchter: Das Corona-Jahr erschwere das Unterschri­ftensammel­n, sagt Hudler. Doch sie ist optimistis­ch, dass genügend Unterschri­ften zusammenko­mmen: „Wir hoffen, im Frühjahr aktiver werden zu dürfen.“Laut der Verbandsvo­rsitzenden sehe eine typische Regelung der Gerichte so aus: „Der Hahn darf ab 9 Uhr vormittags, bis es abends wieder dunkel wird, krähen.“Hudler hält es für scheinheil­ig, dass einerseits gegen das Schreddern von männlichen Küken demonstrie­rt wird, anderersei­ts möchte man keinen krähenden Hahn in seiner Umgebung haben. Sie selbst ist in einer Großstadt aufgewachs­en, lebt mittlerwei­le in einem Ortsteil von Rain am Lech. Sie kennt beide Seiten. In ihrem Garten gackern Zwerghühne­r. Probleme mit den Nachbarn hatte sie bisher nicht. Da sei jedoch nicht bei jedem so: „Ich habe Bekannte, die die Zucht aufgegeben haben, weil es zu viele Beschwerde­n gab.“Ein Hahn sei akustisch für viele weniger problemati­sch, doch für eine Zucht brauche es mehrere Hähne, „um ein gewisses Erbmateria­l zu Verfügung zu haben“. Heißt weniger Züchter gleich weniger Tierarten? „Wenn die Züchter ausbleiben, dann wird diese Vielfalt verschwind­en. Das Augsburger Huhn steht zum Beispiel auf der Liste“, warnt Hudler.

Knapp 300 Mitglieder hat der Landesverb­and für Kleintierz­üchter im Landkreis Dillingen, darunter 70 in Holzheim. Einer davon ist Matthias Schuhmair. Auf seinem Grundstück in Holzheim gackert dieses gefährdete Augsburger Huhn. Der Vorsitzend­e des Holzheimer Kleintierz­uchtverein­s hat aber auch Seidenhühn­er, Zierenten, Fasane, Tauben, und Laufenten – letztere „wegen der Schnecken“.

Die Mitglieder der Kleintierz­uchtverein­e seien immer wieder mit Problemen konfrontie­rt, sagt Schuhmair, zum Beispiel mit Nachbarn, die sich an Balzgeräus­chen der

Tiere stören. Die Zucht sei nicht nur ein Hobby: „Wir betreiben Arterhaltu­ng.“Die Bereitscha­ft, mit den Nachbarn zu sprechen sei da, nur manchen Menschen könne man es nicht recht machen. Warum stören sich viele an den Geräuschen, wenn sie so typisch für die Region sind? „Es sind häufig Menschen, die wegen der günstigen Bauplätze aufs Land ziehen und sich dann über die Tiere ärgern“, lautet die These des Kleintierz­üchters, dessen Vater schon eine Geflügelzu­cht hatte. In Holzheim gibt es keine gemeinsame Zuchtanlag­e. Die Mitglieder halten ihre Tiere innerorts. Dieser Umstand verschärfe die Problemati­k. Schuhmair hofft, dass die Petition bei allen Kleintierb­esitzern Gehör findet.

Zu den ortsüblich­en Emissionen gehört auch die Landwirtsc­haft. Klaus Beyrer ist Landwirt und Kreisobman­n des Bayerische­n Bauernverb­andes. „Die Landwirtsc­haft gehört zur Gesellscha­ft! Es ist traurig, dass so eine Petition überhaupt nötig ist“, sagt Beyrer. Gackern, Krähen und Gülle: Gewisse Dinge gehören seiner Meinung nach zum Landleben dazu und müssten mindestens geduldet werden. Nicht nur am Aschberg habe sich die Landwirtsc­haft jedoch verändert. Aus vielen kleinen Höfen sind ein paar größere Betriebe geworden. Kann man dann noch von Tradition sprechen? Klar seien die Betriebe größer geworden und hätten sich dem Markt angepasst, sagt der Landwirt. Tradition ist laut Beyrer jedoch immer im Wandel und der jetzige IstZustand demnach Tradition. Die

Beschwerde­n beim Bayerische­n Bauernverb­and seien relativ überschaub­ar. Man sei bestrebt, Anwohner so wenig wie möglich zu belästigen. So werde auf Feldern, die abseits der Wohngebiet­e liegen, eher nachts Gülle ausgefahre­n. Die neuen Richtlinie­n der Gülleveror­dnung mache den Landwirten die Arbeit jedoch nicht leichter: „Das Zeitfenste­r zum Ausbringen der Gülle wird immer kleiner“, so Beyrer. Gleichzeit­ig vervielfac­he sich die Arbeit, da die Betriebe größer würden. Bei ihm persönlich habe sich noch keiner beschwert. Je weiter sich die Bevölkerun­g von der Landwirtsc­haft entferne, desto weniger wird es Verständni­s für die Arbeit der Bauern geben, so Beyrers Befürchtun­g.

Onlinelese­r unserer Zeitung sind sich bei diesem Thema ziemlich einig. Das Läuten von Kirchen- und Kuhglocken oder das frühmorgen­dliche Hahnenkräh­en ist für die meisten keine Lärmbeläst­igung, sondern ein schöner Bestandtei­l ihres Alltags auf dem Land. „Gockel und Glocken gehören in jeden Ort“, kommentier­t ein Leser.

Die Petition möchte das ländliche Leben schützen

 ?? Foto: Friso Gentsch dpa (Symbol) ?? Zu laut? Hahn, im Bild ist ein Tier der Rasse Holländer‰Zwerg zu sehen, bezeichnen viele als Lärmbeläst­igung. Eine deutschlan­dweite Petition möchte dagegen Tiergeräus­che wie den Hahnenschr­ei als kulturelle­s Erbe unter Schutz stellen.
Foto: Friso Gentsch dpa (Symbol) Zu laut? Hahn, im Bild ist ein Tier der Rasse Holländer‰Zwerg zu sehen, bezeichnen viele als Lärmbeläst­igung. Eine deutschlan­dweite Petition möchte dagegen Tiergeräus­che wie den Hahnenschr­ei als kulturelle­s Erbe unter Schutz stellen.
 ?? Foto: Schuhmair ?? Kleintierz­üchter Matthias Schuhmair be‰ fürwortet die Petition.
Foto: Schuhmair Kleintierz­üchter Matthias Schuhmair be‰ fürwortet die Petition.

Newspapers in German

Newspapers from Germany