Donau Zeitung

Sie engagieren sich „mit Herzblut“für die Kinder Albaniens

Der Rotary-Club Dillingen hat in Velipoje einen Kindergart­en gebaut, den er seit 20 Jahren unterhält. Die Mitglieder haben dafür Millionen investiert und tausende unentgeltl­iche Arbeitsstu­nden geleistet. Wie es dazu kam und warum sie das tun

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Landkreis Dieses Jubiläum hätten die Rotarier mit ihren Freunden in Albanien groß feiern wollen: Seit 25 Jahren hilft der Rotary-Club Dillingen im einstigen Armenhaus Europas. Und seit mehr als 20 Jahren betreiben die Mitglieder in Velipoje im Norden des Landes den von ihnen erbauten Kindergart­en St. Nikolaus. Ehrenamtli­che aus dem Landkreis Dillingen haben dabei nicht nur Millionen an Spenden gegeben, sondern im vergangene­n Vierteljah­rhundert auch tausende Arbeitsstu­nden und „viel Herzblut investiert“. Das Albanien-Projekt der Dillinger, das jetzt in einem Buch dokumentie­rt ist, hat nicht nur bei befreundet­en Clubs für Aufsehen gesorgt. Wir sprachen darüber in einer Videokonfe­renz mit dem neuen Dillinger Rotary-Präsidente­n Christoph van Heyden, Pastpräsid­entin Uta-Maria Kastner, Incoming-Präsident Alexander Heidel, Past-District-Präsident Rainer Späth und Fritz Leo, stellvertr­etend für alle Unterstütz­er im Club.

Wie kam es dazu, dass sich der Rotary-Club Dillingen in Albanien engagiert?

Uta‰Maria Kastner: Das hat sich damals wie von selbst entwickelt. Es begann 1993 mit drei Dillinger Franziskan­erinnen – den Schwestern Juditha, Gratias und Bernadette, die dem Ruf von Papst Johannes Paul II. folgten, um in Albanien, dem ärmsten Land Europas, zu helfen. Vom extremen Elend des Landes bewegt und tief beeindruck­t, wurde 1994 durch unseren Club ein langfristi­ges und außergewöh­nliches Hilfsproje­kt gestartet, das weit über die Clubgrenze­n Bedeutung erlangte. Es begann mit Hilfstrans­porten durch unwirtlich­e Gegenden. Und dann kam sehr bald die Idee auf, in die Jugend und die Bildung des Landes zu investiere­n und einen Kindergart­en zu bauen.

Welche Eindrücke hatten Sie, als Sie erstmals die Situation in Velipoje gesehen haben?

Fritz Leo: Die ersten Besuche im Rahmen der Hilfstrans­porte haben uns damals deutlich gemacht, wie groß und unvorstell­bar das Elend tatsächlic­h war. Die Menschen haben einfach nichts gehabt, gar nichts. Ein Land in grenzenlos­er Armut und Elend, ohne funktionie­rende Infrastruk­tur und intakte Wirtschaft. Über 40 Jahre Diktatur unter Enver Hodscha haben das Land isoliert und wirtschaft­lich wie auch gesellscha­ftlich ruiniert.

Wer waren die treibenden Kräfte beim Rotary-Club?

Christoph van Heyden: Eine Hervorhebu­ng Einzelner würde der Sache nicht gerecht werden. Einzigarti­g sind die über 25 Jahre andauernde Begeisteru­ng, das Engagement und der Zusammenha­lt des Clubs, diese

als internatio­nales Projekt gemeinsam voranzutre­iben. Von Beginn an waren das persönlich­e und finanziell­e Engagement vieler Clubmitgli­eder der Motor zur Überwindun­g der vielfältig­en Hinderniss­e in Politik und Bürokratie.

Was treibt Sie an, dort so viel Zeit zu investiere­n?

Uta‰Maria Kastner: Es war zum einen der Umfang des Projektes, der nicht nur finanziell­e Mittel erforderte, sondern den ganz persönlich­en Einsatz vor Ort. Angesichts der Situation, die wir angetroffe­n haben, konnte auch nicht alles reibungslo­s ablaufen. Eines war uns von Anfang an klar: Wir wollten nicht nur Neues schaffen, sondern auch das Projekt begleiten und die Arbeit der Schwestern unterstütz­en. Das haben wir bis heute getan. Und zum anderen ist da natürlich die Freude, zu sehen, dass persönlich­es Engagement bei den Menschen ankommt. Man sieht etwas nachhaltig wachsen. Das ist ein großer Ansporn.

Was wurde in Velipoje und Fushe-Arrez alles gebaut?

Alexander Heidel: Velipoje war über Jahre eine Großbauste­lle. Es hieß, es sei die größte Baustelle in Nordalbani­en. Neben dem Bau des Kindergart­ens entstanden das Kloster – initiiert durch die Regens-WagnerProv­inz der Dillinger Franziskan­erinnen –, die Kirche St. Nikolaus, die Kirche in Rijoll, die zehn Kilometer lange Wasserleit­ung nach Rijoll samt Pumpwerk, ermöglicht durch die Organisati­on „Tirol pro Albania“, allen voran Bischof Reinhold Stecher. Die Caritas erstellte für Kosovo-Flüchtling­e eine Unterkunft, die heute als Bürgerhaus dient. Eine Bäckerei, die heute eine Schule ist, wurde durch ein Ehepaar aus der Schweiz finanziert. Weitere Kindergärt­en und Schulen wurden in der Region Velipoje errichtet. Von der EU finanziert und gebaut wurden auch eine 15 Kilometer lange Trinkwasse­rleitung und eine zentrale Kläranlage.

Wieviel Geld haben die Rotarier in Albanien investiert, und wie viele ehrenamtli­che Arbeitsstu­nden sind es bisher? Fritz Leo: Die ehrenamtli­ch eingebrach­ten Arbeitsstu­nden zu zählen, haben wir bald aufgegeben. Alle unsere Mitglieder haben sich eingebrach­t: jeder nach seinen Möglichkei­ten. Über den langen Zeitraum sind sicher mehrere tausend Stunden zusammenge­kommen. Der gesamte finanziell­e Aufwand für den Bau des Kindergart­ens und die immerwähre­nde Unterstütz­ung des Betriebes liegt sicherlich im mittleren sieben stelligen Bereich.

Haben sich die Franziskan­erinnen aus der Albanien-Hilfe zurückgezo­gen? Uta Kastner: Die Schwestern haben sich aus der Albanienhi­lfe nicht zurückgezo­gen. Sie sind nach wie vor Eigentümer des Klosters und in enger Verbindung zu den Schwestern dort. Der Nachwuchs für das Kloster ist sicher geringer geworden, wenn auch nicht in dem Maße wie in Deutschlan­d. Der Konvent besteht aus sieben Schwestern. Sie leiten sehr erfolgreic­h unseren Kindergart­en, die Schule und unterstütz­en die Seelsorge.

Kann der Kindergart­en in Velipoje von allen Kindern, egal welchen Glaubens, besucht werden?

Fritz Leo: Die Mehrheit der albanische­n Bevölkerun­g bekennt sich zum Islam, nur zehn Prozent der Bewohner sind Katholiken. Egal welchen Glaubens, alle Kinder sind in unserem Kindergart­en willkommen. Die vom Staat gerühmte religiöse Harmonie gilt auch hier. In unserer Einrichtun­g gehört die VerSache mittlung christlich­er Werte sicherlich dazu. Der Kindergart­en untersteht dem Bischof von Skhoder, die pädagogisc­he Leitung obliegt der Schwester Joela. Schwester Juditha leitet den Konvent. Zudem sind qualifizie­rte Erzieherin­nen dort beschäftig­t.

Hat sich die Situation in Albanien verbessert?

Uta Kastner: Albanien ist nach wie vor Entwicklun­gsland, aber nicht mehr das ärmste Land Europas wie einst. Es ist heute entwickelt­er, als man es sich vorstellt. Die Küste ist mittlerwei­le auch ein touristisc­hes Reiseziel, allerdings nur von Mai bis Ende August. Albanien ist offizielle­r Beitrittsk­andidat der Europäisch­en Union. Die wirtschaft­liche Situation kann nicht befriedige­n, die Arbeitslos­igkeit ist hoch. Viele junge Albaner suchen den Weg ins Ausland. Die Bautätigke­it im Land profitiert von den Transferle­istungen der im Ausland lebenden Bürger.

Kommt der Rotary-Club Dillingen neben der Investitio­n auch für den Unterhalt des Kindergart­ens auf? Alexander Heidel: Neben den Investitio­nen in den Bau und für die nötigen Reparature­n bezuschuss­en wir den laufenden Betrieb mit einem jährlichen Zuschuss, da die Kindergart­engebühren nicht einmal die Personalko­sten decken. Die pädagogisc­he Leitung liegt bei den Schwestern. Die Zusage, für den finanziell­en Ausgleich im Betrieb zu sorgen, hat unser Rotary-Club übernommen. Dabei stehen uns die beiden kirchliche­n Einrichtun­gen Renovabis und Aktion Hoffnung immer wieder zur Seite. Der Verein der Freunde und Förderer von Velipoje in Albanien ist über Jahre Unterstütz­er in der gemeinsame­n Aufgabe. Seitens des albanische­n Staates gibt es keine Zuwendunge­n.

Wie lässt sich das Engagement über 25 Jahre aufrecht erhalten?

Christoph van Heyden: Das war nie ein Problem. Ein Grund für unsere nachhaltig­e Projektarb­eit ist sicherlich, dass wir nicht nur finanziell­e Mittel zur Verfügung stellen, sondern persönlich bei der Umsetzung mit anpacken. Alle Clubmitgli­eder und Förderer unterstütz­en unser Albanienpr­ojekt seit nunmehr 25 Jahren in ganz vielfältig­er Weise. Alle bisherigen 27 Clubpräsid­enten haben dieses Engagement mit Begeisteru­ng in das jeweils folgende Jahr getragen.

Sind Ihnen in Deutschlan­d ähnliche Rotary-Projekte über solch einen langen Zeitraum bekannt?

Rainer Späth: Unser Projekt ist tatsächlic­h einzigarti­g. Als langjährig­es Clubmitgli­ed und in meiner Funktion als Past District Governor ist mir kein weiteres vergleichb­ares internatio­nales Rotary-Projekt in Deutschlan­d bekannt, das so lange und so intensiv von einem RotaryClub bearbeitet wurde.

Warum haben Sie das Buch „25 Jahre Engagement in Albanien“und „20 Jahre Kindergart­en in Velipoje“erstellt.

Fritz Leo: Es ist uns wichtig, die Anfänge und Entwicklun­gen dieses besonderen und bis heute lebendigen Projektes in einer Dokumentat­ion festzuhalt­en. Nach nun 25 Jahren Engagement war es Zeit, das Projekt Revue passieren zu lassen, alles zu dokumentie­ren und dieses Buch allen Beteiligte­n als Dank zu übergeben. Die Chronik vereint alle Erinnerung­en und all das Herzblut, das die Beteiligte­n hineingele­gt haben. Die Erstellung erfolgte als Gemeinscha­ftsprojekt des Clubs. Gegen eine kleine Spende für unsere Albanienpr­ojekte kann es über rotary.dillingen@web.de bestellt werden.

Wie soll es mit der Albanienhi­lfe künftig weitergehe­n?

Alexander Heidel: Albanien ist und bleibt ein Schwerpunk­t. Die Menschen in Velipoje liegen uns sehr am Herzen. Neben den Instandhal­tungsarbei­ten am Kindergart­en stehen immer wieder Hilfstrans­porte auf dem Programm. Demnächst transporti­eren wir beispielsw­eise eine Vielzahl von sehr gut erhaltenen Betten, die hier in Flüchtling­sunterkünf­ten nicht mehr benötigt werden, als Sachspende nach Albanien. Es gibt vor Ort und in ganz Albanien noch sehr viel zu tun! Im Juli 2021 werde ich den Präsidente­nStaffelst­ab übernehmen. Angesichts meiner familiären Verbindung zu

Schwester Juditha Heidel sowie meiner vielzählig­en Aufenthalt­e dort freue ich mich ganz besonders, die Albanientr­adition weiter fortsetzen zu dürfen. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja mal wieder eine neue Aufgabe in Albanien.

„Die Chronik vereint alle Erinnerung­en und all das Herzblut, das die Beteiligte­n in die Albanienhi­lfe hineingele­gt haben.“

Der Rotary-Club Dillingen ist mittlerwei­le 32 Jahre alt. Was sind derzeit die wichtigste­n Projekte?

Christoph van Heyden: Eine Unterschei­dung, bezogen auf die Wichtigkei­t der Projekte, lässt sich nicht vornehmen. Alle unsere Projekte dienen dazu, in Not geratenen Menschen selbstlos zu helfen – lokal oder internatio­nal. Neben unseren Tätigkeite­n in Albanien engagieren wir uns seit vielen Jahren auch in Rumänien. Dort unterstütz­en wir mit Hilfsliefe­rungen ein Krankenhau­s und ein Waisenhaus. Ganz aktuell haben wir gerade ein internatio­nales Projekt zur Friedensfö­rderung und zur Völkervers­tändigung zwischen Indien und Pakistan gestartet, gemeinsam mit den Rotary Clubs vor Ort in der Region Punjab. Besonders am Herzen liegen uns aber auch die lokalen Projekte. Es gibt direkt vor unserer Haustüre sehr viel zu tun. Genannt seien hier beispielsw­eise die Unterstütz­ung des Frauenhaus­es Nordschwab­en, die Unterstütz­ung der Tafeln oder die Implementi­erung der Wohnungslo­tsin des Landkreise­s zur Unterstütz­ung von Flüchtling­en bei der Wohnungssu­che.

Fritz Leo

 ?? Fotos: Eckart Matthäus (4)/Heidel/Foto Zolleis ?? Seit 25 Jahren engagieren sich die Mitglieder des Rotary Clubs Dillingen in Velipoje in Albanien. Nach anfänglich­en Hilfsliefe­rungen ins einstige Armenhaus Europas haben die Rotarier dort den Kindergart­en St. Nikolaus gebaut, der vor 20 Jahren eröffnet wurde. Dort kommt der Club auch für den laufenden Betrieb auf.
Fotos: Eckart Matthäus (4)/Heidel/Foto Zolleis Seit 25 Jahren engagieren sich die Mitglieder des Rotary Clubs Dillingen in Velipoje in Albanien. Nach anfänglich­en Hilfsliefe­rungen ins einstige Armenhaus Europas haben die Rotarier dort den Kindergart­en St. Nikolaus gebaut, der vor 20 Jahren eröffnet wurde. Dort kommt der Club auch für den laufenden Betrieb auf.
 ?? Foto: Rotary‰Club Dillingen ?? Schlimme Verhältnis­se: So sahen noch vor gut 20 Jahren die Straßen im albanische­n Velipoje aus.
Foto: Rotary‰Club Dillingen Schlimme Verhältnis­se: So sahen noch vor gut 20 Jahren die Straßen im albanische­n Velipoje aus.
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Sie informiert­en in einer Videokonfe­renz über das 25‰jährige Engagement der Rotarier in Albanien: (von links) Christoph van Heyden, Uta‰Maria Kastner, Alexander Heidel, Fritz Leo und Rainer Späth.
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