Donau Zeitung

Damit jedes Opfer eine Stimme bekommt

Der Weiße Ring hilft Menschen, die von Straftaten betroffen sind. Ehrenamtli­ch. Ein Höchstädte­r engagiert sich seit Jahren für den Verein im Landkreis Dillingen. Er sucht dringend Mitarbeite­r. Auch, weil häusliche Gewalt zunimmt

- VON SIMONE BRONNHUBER

Höchstädt Die junge Frau, Anfang 30, hat Angst. Sie wird verfolgt. Von ihrem Ex-Freund. Die Beziehung ist beendet, doch der Mann lässt sie nicht in Ruhe. Mal steht er plötzlich vor ihrer Haustür, dann passt er sie nach dem Supermarkt­einkauf ab. Die Frau wird an allen möglichen Orten von ihm überrascht – ungewollt und unangenehm. Der ehemalige Partner hat zudem immer seinen Kampfhund dabei, die Stimmung ist aggressiv. Solche und ähnliche Situatione­n häufen sich immer mehr. Was soll sie nun tun? Zwar kann die Polizei helfen und möglicherw­eise eine Verwarnung gegenüber dem Mann ausspreche­n. Aber solange keine Straftat vorliegt, sind die Möglichkei­ten begrenzt.

Dieser Fall ist keine erfundene Geschichte. Sie ist genau so einer Frau aus dem Landkreis Dillingen passiert, wie Walter Gögelein schildert. Denn sie hat sich bei ihm gemeldet und ihn um Hilfe gebeten – und sie bekommen. Gögelein arbeitet seit Jahren für den Weißen Ring und ist der Außenstell­enleiter des Vereins für den Landkreis Dillingen. Eines Vereins, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Hilfen für Menschen, die von Straftaten betroffen sind, zu stellen. Ehrenamtli­ch. „Das ist ein umfassende­s Gebiet“, sagt Gögelein, der hauptberuf­lich Unternehme­nsberater ist. Er wollte sich schon immer im sozialen Bereich engagieren und, wie er sagt, „gesellscha­ftsschwäch­eren Menschen etwas zurückgebe­n“. Der Weiße Ring tue genau das, betont der Höchstädte­r, und: „Diese ehrenamtli­che Arbeit gibt mir sehr viel, weil ich etwas bewegen kann. Die Menschen, die sich bei uns melden, haben in erster Linie Angst. Und Angst hemmt die Gehirnströ­me, Alltagsdin­ge sind plötzlich kaum noch möglich.“Mit der Unterstütz­ung und den Angeboten des Vereins könnten Opfer aber genau dahin wieder zurückkehr­en: ins normale Leben. „Das gibt einem dann ein gutes Gefühl.“

Seit 40 Jahren gibt es den Weißen Ring. Mehr als 3000 Frauen und Männer engagieren sich deutschlan­dweit, aufgeteilt auf die verschiede­nsten Landkreise, ehrenamtli­ch für Menschen, die in die Opferrolle geraten sind. Sie bieten Hilfe für Personen, die durch mit Strafe bedrohte Handlungen geschädigt worden sind. Das reicht von häuslicher Gewalt, sexuellem Missbrauch, Tötungsdel­ikten, Diebstähle­n bis hin zu Stalking oder Betrug. Aber, das gelte auch für den Landkreis Dillingen, der Großteil der Menschen, die Hilfe brauchen, sind Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind. Und die habe zugenommen. Auch bei uns. Gögelein: „Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat es einen Anstieg gegeben. Man kann weniger ausweichen, die sozialen Kontakte sind eingeschrä­nkter.“Betroffen sind meist Mütter, die von ihrem Partner abhängig sind.

In solchen Fällen ist der Weiße Ring die richtige Anlaufstel­le, wie Walter Gögelein betont. Einerseits bietet der Verein materielle Hilfe, heißt: Wenn alle gesetzlich­en Leistungen ausgeschöp­ft sind, kann der Ring finanziell unterstütz­en, sei es in Form einer 300-Euro-Soforthilf­e. „Wenn der Mann ins Gefängnis kommt und über die Konten verfügt, kann der Monat, bis es Sozialhilf­e gibt, lang sein“, nennt Gögelein ein Beispiel.

Eine noch größere Rolle spielt aber die immateriel­le Hilfe. Oft helfen erste Gespräche am Telefon. Im Mittelpunk­t steht die Hilfe zur Selbsthilf­e. Aber auch der Weg zur Polizei, die Gerichtsbe­gleitung oder die Unterstütz­ung bei der Jobsuche. „Wir haben einen sehr guten Kontakt zur Schutzpoli­zei und zur Kriminalpo­lizei“, betont Gögelein, und weiter: Die Polizei kümmert sich um die Täter, wir um die Opfer.“

Dafür investiert der Höchstädte­r Unternehme­r mindestens fünf Stunden pro Woche – ehrenamtli­ch. Aktuell noch mehr, da er momentan der einzige Ansprechpa­rtner für den Weißen Ring im Landkreis Dillingen ist. Zwei seiner Mitarbeite­r haben aufgehört, Gögelein sucht deshalb dringend neue Ehrenamtli­che. „Man sollte ein wenig Zeit mitbringen und flexibel reagieren können. Aber im Grunde ist die einzige Voraussetz­ung, dass man gut mit Menschen kann“, erklärt er.

In speziellen Kursen würden die Ehrenamtli­chen Leitfäden an die Hand bekommen, wie man in welcher Situation wie am besten reagiert. Wichtig: Kein Opfer sollte sich ehrenamtli­ch beim Weißen Ring engagieren, die finanziell­e Unabhängig­keit hilft ebenfalls und das polizeilic­he Führungsze­ugnis wird überprüft.

Wie oft die Ehrenamtli­chen gebraucht werden, kann der Außenstell­enleiter pauschal nicht sagen. „Manchmal gibt es Monate, da meldet sich niemand, und dann komWeiße men drei Opfer auf einmal. Die Dunkelziff­er ist aber wesentlich höher“, sagt er. Viele schämen sich und wagen nicht den Schritt, sich Hilfe zu holen.

Ähnlich geht es der jungen Frau, die von ihrem Ex-Partner verfolgt wird. „Täter suchen sich immer Schwächere“, erklärt Walter Gögelein. Deshalb gehe es auch darum, die Opfer in ihrem Selbstbewu­sstsein zu stärken. Das kann mithilfe von Psychologe­n oder auch Angeboten wie Selbstvert­eidigungsk­ursen funktionie­ren. Der Weiße Ring vermittelt. „Gerade im Bereich Stalking gibt es immer mehr Opfer. Zumindest werden die Fälle nun öffentlich­er“, sagt Gögelein. Seit rund einem Jahr gibt es eine Handy-App, die Stalkingop­fern noch mehr helfen soll. Sie heißt „No Stalk“. Betroffene, so erklärt es Walter Gögelein, können alle Handlungen des Täters mit ihrem Handy dokumentie­ren – Fotos, Videos, Chatverläu­fe und so weiter. Die App funktionie­re wie ein digitales Tagebuch, das auf einem geschützte­n Server gespeicher­t

Lückenlose Dokumentat­ion

ist. Gögelein: „Die lückenlose Dokumentat­ion ist die Voraussetz­ung für eine Strafverfo­lgung. Und die ist mit der App möglich und wird bei der Justiz anerkannt.“

Egal bei welchem Fall, das ist dem Ehrenamtli­chen besonders wichtig, stehe immer der Opferschut­z im Mittelpunk­t, dem ein Gesetz zugrunde liegt. Gögelein erklärt: „Wenn es eine massive Bedrohung gibt und diese sich wiederholt, dann kann sich ein Opfer wehren. Dabei ist der Datenschut­z oberstes Gebot. Man kann sich auch ohne Namen bei uns melden.“Kein Opfer müsse für die Hilfe des Weißen Rings bezahlen. Der Verein finanziert sich durch Spenden und Erlöse, die durch Gerichte verhängt werden. „Wir helfen immer.“

Ehrenamtli­che, die sich angespro‰ chen fühlen und sich gerne beim Wei‰ ßen Ring im Landkreis Dillingen einbrin‰ gen möchten, können sich bei Walter Gögelein melden unter Telefon 09074/91403 oder per E‰Mail unter goegelein.walter@mail.weisser‰ring.de; Wer Hilfe braucht, kann sieben Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr beim Opfertele‰ fon kostenlos und anonym anrufen. Die Nummer: 116006; Stalkingop­fer können sich über die neue App unter www.nostalk.de informiere­n.

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r (Symbol)/Gögelein ?? Häusliche Gewalt, vor allem gegen Frauen, kommt auch im Landkreis Dillingen häufig vor. Der Weiße Ring hilft, die Opfer zu un‰ terstützen.
Fotos: Bernhard Weizenegge­r (Symbol)/Gögelein Häusliche Gewalt, vor allem gegen Frauen, kommt auch im Landkreis Dillingen häufig vor. Der Weiße Ring hilft, die Opfer zu un‰ terstützen.
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Walter Gögelein

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