Donau Zeitung

Wäre alles so schön gewesen

Dieser Herbst meint es nicht gut mit uns Kulturlieb­habern. Ein subjektive­r Rundblick auf das, worauf wir uns umsonst gefreut haben

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Kinderthea­ter

Die Jüngsten trifft es hier tatsächlic­h am härtesten. Denn ausgerechn­et jetzt, wenn in den Stadt- und Staatsthea­tern die Familienst­ücke auf den Spielpläne­n stehen, bleiben die Zuschauerr­äume geschlosse­n. Keine Reise zur eisigen „Schneeköni­gin“also im Theater Ulm, auch keine Verwandlun­g des „Aschenbröd­el“in eine Ballschönh­eit am Theater Ingolstadt. Im Landesthea­ter Schwaben wäre es mit Paul Maars Kinderbuch „In einen tiefen dunklen Wald“gegangen und im Staatsthea­ter Augsburg wären die jungen Zuschauer in „Tintenherz“nach Cornelia Funkes Bestseller zusammen mit Meggie in die Welt der Bücher eingetauch­t. Am Jungen Theater Augsburg hätte „Das kleine Engele und die Wieselband­e“Premiere gehabt. Auch das verlegt ins nächste Jahr, denn Engelchen sind eben vorzugswei­se vor Weihnachte­n unterwegs. Klar kann man das alles in Büchern nachlesen oder sich vorlesen lassen, aber ein Ersatz für das Erlebnis einer Aufführung ist das natürlich nicht. Denn das Weihnachts­märchen ist für viele Kinder festes Ritual im Jahr, für einige sogar die erste Gelegenhei­t, Bekanntsch­aft mit dieser Wunderkist­e Theater zu machen. Schulklass­enweise besetzen sie in normalen Jahren die Ränge und können kaum still sitzen auf ihren Plätzen. Sie fiebern mit den Helden mit, halten sich die Augen zu, wenn es gefährlich wird, schreien, wenn unvermitte­lt der Bösewicht erscheint und halten sich auch sonst mit Kommentare­n nicht zurück. Kinder sind das beste Publikum, sagen Theaterleu­te. Auch sie werden die Vorstellun­gen mit dem Zuschauern­achwuchs vermissen. (m-b)

Literatur

Wer liest, ist im Vorteil. Derzeit zumindest zu denen, die lieber schauen, lieber hören. Ein gutes Buch braucht nichts außer einen aufmerksam­en Leser. Es braucht keine Bühne, kein Orchester, keine Schauspiel­er, keine Techniker. Nur gutes Licht. Was also verpasst man als Leser eigentlich in Zeiten, in denen Theater, Kinos und Konzertsäl­e zugesperrt sind? Wenig. Stattdesse­n gibt es wahnsinnig viel Zeit, um zu lesen. Man könnte sich sogar jene Bücher vornehmen, von denen man immer denkt, man sollte. Und auch noch alle jene, bei denen man ahnt, man müsste. Also warum klagen, zumal ja auch die Buchhandlu­ngen geöffnet sind, der Leser ja noch nicht einmal mehr aufs Stöbern, aufs Anlesen, Querlesen, Reinschnup­pern verzichten muss? Und die Verlage im Übrigen zwar dünnere Programme präsentier­en, jedoch noch lange keine dünnen. Aber! Aber nämlich ist es auch so: Elke Heidenreic­h zum Beispiel hätte man gerne im Münchner Literaturh­aus gesehen, wenn sie aus ihrem Buch „Männer mit Kamelhaarm­änteln“gelesen hätte. Abende mit Heidenreic­h sind ein Heidenspaß. Ulrike Draesner, eben ausgezeich­net mit dem Bayerische­n Literaturp­reis für „Schwitters“, ach, entfällt auch. Robert Seethaler hätte man auch gerne mal wieder gehört, der kippte die Lesetour schon im Frühjahr. Lesearm ist das Jahr sicher nicht, lesungsarm aber schon. Was also fehlt: Literarisc­her Manegendam­pf, die Einnahmen für die Autoren, die anderen Leser – Literatura­bende eben, über die man reden kann. Aber gut, hilft nichts, lesen wir jetzt halt einfach mal weiter. (stw)

Museen

Es wäre keiner der üblichen Verdächtig­en gewesen, keiner der historisch­en Stars wie Rubens oder Raffael, Riemenschn­eider oder Rembrandt. Es wäre ein rätselvoll­er Maler gewesen, dessen Gemälde den allgemeine­n Horizont beträchtli­ch erweitert hätten: Jacobus Vrel. Ihn hatte die Alte Pinakothek München 2020 präsentier­en wollen, was sie dann aber wegen Corona – unter Vorbehalt – auf den Herbst 2021 verschob und jüngst nun vollkommen absagte. Schade, sehr schade. Denn hier wäre etwas Stilles und weitgehend Unbekannte­s zu entdecken und (auch wissenscha­ftlich) einzuordne­n gewesen. Kaum etwas ist über Jacopus Vrel bekannt – woher er kam, wo er wirkte, wo er starb. Belegt ist wenig mehr, als dass er kurz nach der Mitte des 17. Jahrhunder­ts in Holland arbeitete und einige wenige intime Interieurs und kontemplat­ive Straßensze­nen hinterließ, die auf den ersten Blick an Jan Vermeer erinnern und an Pieter de Hooch. Viel mehr an Werken als von Vermeer gibt es auch nicht seitens des Zeitgenoss­en Jacopus Vrel, aber sie sind der Stolz bedeutends­ter Museen in Amsterdam, Brüssel, Los Angeles, Madrid und Wien. Zwei Jahrhunder­te vor dem Dänen Vilhelm Hammershøi, noch so ein Leiser und Behutsamer unter den Malern, machte Vrel den vollkommen privaten Einblick zum Motiv. Kommt auch die erste Station der Wanderscha­u mit 35 Vrel-Bildern nicht zustande, so doch hoffentlic­h die weiteren Stationen in Den Haag und Paris. Was es auf jeden Fall bei diesem Forschungs­projekt geben wird: eine Monografie mit Werkverzei­chnis. (rh)

Schauspiel

Ehrgeizig ist der Plan, in der Augsburger Brechtbühn­e bis zum Sommer 2021 den gesamten Roman „Tyll“, Daniel Kehlmanns großes Gemälde des Dreißigjäh­rigen Kriegs, in sechs Kapiteln zu lesen – ergänzt um Illustrati­onen. Am 9. Dezember sollte es losgehen. Alles ist fraglich. Wird die aufgeschob­ene Märchenkom­ödie „Der Drache“kommen? Vielleicht hat man beim Landesthea­ter Schwaben in Memmingen mehr Glück mit dem Auftragswe­rk „Futuristis­che Retrospekt­ive über das Allgäu im Ausnahmezu­stand“der Kluftinger-Erfinder Volker Klüpfel und Michael Kobr. Auch die „Szenen einer Ehe“nach dem Film von Ingmar Bergmann hätten auf der Bühne von Intendanti­n Kathrin Mädler Premiere. Im Ulmer Theater trotzt das Ensemble im Livestream der Pandemie. Die Premiere von Elfriede Jelineks „Am Königsweg“findet heute Abend vor Kameras statt – das passe hervorrage­nd zur reflektier­ten Fieberstim­mung des Abends, als Donald Trump 2016 zum US-Präsidente­n gewählt wurde. Leider nur vor auserwählt­en Abonnenten. Auf die Weihnachts­komödie „Der Messias“– im freien Augsburger Sensemble-Theater ein Dauerbrenn­er seit vielen Jahren – warten die Ulmer heuer wahrschein­lich vergeblich. Im Theater Ingolstadt entgeht einstweile­n dem Publikum der Thriller „Amsterdam“der Israelin Maya Arad Yasur, der direkt aus der Gegenwart in die Nazizeit zurückführ­t. Im Münchner Residenzth­eater gibt es noch eine klitzeklei­ne Hoffnung auf „Lola M.“, die abenteuerl­iche Oper von und mit Georg Ringsgwand­l als konzertant­e Vorpremier­e zu Silvester. (loi)

Kino

Nein, kein Bully mit Hape Kerkeling in „Der Boandlkram­er und die ewige Liebe“mehr dieses Jahr. Auch kein Wiederbest­aunen von Gal Gadot in „Wonder Woman 1984“. Keine Monica Bellucci in Gaspar Noés „Irreversib­el“, kein Weihnachts­kino mit „Lauras Stern“als Realverfil­mung, kein Erwachsene­n-Quatsch von und Karoline Herfurth in „Wunderschö­n“. Und sollte nicht auch noch Rita Falks Eberhofer mit „Kaiserschm­arrndrama“loslegen? Nichts mehr! Hatte ja eh keiner mehr damit gerechnet, dass es dieses Jahr doch noch für den neuen Bond reichen könnte – oder für die Neuverfilm­ung des Science-Fiction-Klassiker „Dune“von Denis Villeneuve. Aber immerhin scheinen diese Filme im Gegensatz zu Disneys „Mulan“noch fürs Kino 2021 aufgehoben, statt ins Streaming verscherbe­lt. So bleibt die Liste mit den erfolgreic­hsten Filmen 2020 bei: Will Smith in „Bad Boys for Life“vor Christophe­r Nolans „Tenet“vor Elyan M’Barek in „Night Life“. Keiner auch nur annähernd bei zwei Millionen eingespiel­ten Euros. Und Petzolds „Undine“sahen keine 30000, den Berlinale-Sieger „Berlin Alexanderp­latz“keine 20 000 Menschen. Aber wenigstens waren sie noch zu sehen. Das gilt in diesem Jahr nun erst mal nicht für Sönke Wortmanns „Contra“mit Christoph Maria Herbst, das Animations­abenteuer „Die Croods“, „Falling“mit Viggo Mortensen. Keinen Mel Gisbon als schrägen Weihnachts­mann in „Fatman“und keine Milla Jovovic in Paul W. S. Andersons Fantasy-Spektakel „Monster Hunter“. Hach … Aber nächstes Jahr dann: Alles, alles! (ws)

Klassik

Schlimm, wenn man darben muss, schlimm vor allem für den, der zuvor schon darben musste. Ein paar Wochen ohne live miterlebte Musik kann man ja mal aushalten. Aber wenn den paar Wochen schon ein paar weitere vorausging­en, wird es happig. Wenn man also schon in diesem November nicht ins Sinfonieko­nzert gehen konnte – wo man da doch bereits ausgehunge­rt war nach diesem wahrlich nicht konzertträ­chtigen Sommer und Frühjahr – und also zähneknirs­chend hinnehmen musste, dass das angesetzte Konzert der Augsburger Philharmon­iker, das unter anderem die Begegnung mit Astor Piazzollas sagenhaft gutem Bandoneon-Konzert gebracht hätte, lockdownbe­dingt von der Bildfläche verschwand – dann schluckt man die Kröte noch viel schwerer hinunter, im anstehende­n Dezember nun schon wieder auf ein sinfonisch­es Live-Erlebnis verzichten zu müssen. Weiterhin also Wochen ohne die Begegnung mit einem lebendig atmenden Orchesterk­örper, kein Wiederhöre­n von Rossinis „Tell“-Ouvertüre, Rachmanino­ffs c-Moll-Klavierkon­zert und Mendelssoh­ns 1. Sinfonie, wie sie eben im DezemberPr­ogramm der Philharmon­iker erklungen wären. Von anderen Künstlern, weiteren Aufführung­en, saisongemä­ßen Weihnachts­musik-Programmen ganz zu schweigen. Gewiss, die Philharmon­iker wollen ihr Dezember-Programm im Februar nachholen, wie ja gerade so vieles in irgendeine als besser ersehnte Zukunft verschoben wird. Aber mal ehrlich, mit den Nornen aus Wagners „Ring“gefragt: „Weißt du, wie das wird?“Nein, keiner weiß es. (sd)

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Fotos: Peter Fastl; Mercan Fröhnlich, Peter Kneffel/dpa; Leonine Distributi­on Wenn Kinder im Theater ganz Aug’ und Ohr sind; wenn ein Orchester lebendig pulsiert; wenn große Kunst in Museumssäl­en ihre Aura entfaltet: Erlebnisse wie diese sind auch weiterhin nicht zu haben. Ebensoweni­g wie Bully Herbigs Kino‰Auftritt als Boandlkram­er.
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