Donau Zeitung

Tagestouri­sten müssen in Quarantäne

In Bayern sollen besonders von Corona betroffene Regionen ihre Regeln deutlich verschärfe­n. Auch Winterspor­tler nimmt Söder ins Visier. Modellrech­nungen sehen großes Risiko in den Lockerunge­n über Weihnachte­n

- VON ULI BACHMEIER, CHRISTIAN GRIMM UND MARGIT HUFNAGEL

München/Berlin Die Bayerische Staatsregi­erung will, was die Corona-Regeln für Weihnachte­n und Silvester betrifft, keinen Sonderweg gehen. „Es ist im Moment wirklich nötig, so viel wie möglich gemeinsam zu machen“, sagte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) am Donnerstag nach der Sitzung des Kabinetts in München. Seinen Versuch, Silvester strenger zu behandeln als Weihnachte­n, hat er damit vorerst aufgegeben. Die Spielräume, die die Vereinbaru­ng der Ministerpr­äsidentenk­onferenz den Ländern im Umgang mit Corona-Hotspots lässt, will die Staatsregi­erung aber weiter ausschöpfe­n als andere. Die bayerische „Hotspot-Strategie“, die am 1. Dezember in Kraft tritt, sieht für Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 200 deutlich strengere Regeln vor. Aktuell betrifft das 27 Landkreise und kreisfreie Städte im Freistaat.

Sein Einlenken im Streit über die Vorschrift­en für Silvester begründete Söder damit, dass eine deutschlan­dweit einheitlic­he Regelung der

„Gesamtakze­ptanz“der CoronaMaßn­ahmen diene. Zwar seien er und sein baden-württember­gischer Kollege Winfried Kretschman­n (Grüne) in der Frage der SilvesterP­artys „sehr sensibel“. Wichtig aber sei, dass man die Menschen mitnehmen könne. Deshalb hätten sie den Beschluss der Ministerpr­äsidentenk­onferenz mitgetrage­n, sagte Söder. Einschränk­end aber fügte er hinzu, dass man beim nächsten Treffen Mitte Dezember noch einmal überlegen müsse, was die Infektions­lage für die Ferien bedeute.

Mit ihrer am Donnerstag beschlosse­nen „Hotspot-Strategie“aber setzt die Staatsregi­erung ihren strengeren Kurs fort – auch wenn Söder nicht mehr von „Verschärfe­n“, sondern von „Vertiefen“der Regelungen spricht. Für Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 200 bedeutet das unter anderem: Wechselunt­erricht in geteilten Klassen ab Jahrgangss­tufe 8 (ausgenomme­n Abschlussk­lassen und Förderschu­len), Schließung von Musikund Fahrschule­n, Schließung von Märkten (ausgenomme­n Lebensmitt­el) sowie Anordnung eines Alkoholver­bots.

In Regionen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz über 300 können darüber hinaus Ausgangsbe­schränkung­en angeordnet werden. Auch der Schulbetri­eb, Besuche in Alten- und Pflegeheim­en und bestimmte, nicht lebensnotw­endige Dienstleis­tungen können eingeschrä­nkt werden. Obendrein seien Beschränku­ngen für Versammlun­gen und Gottesdien­ste möglich.

Winterspor­tler und andere Tagestouri­sten sollen zudem verpflicht­end in Quarantäne müssen. Eine Ausnahmere­gelung für Aufenthalt­e unter 24 Stunden soll nur noch bei Vorliegen triftiger Gründe gelten, insbesonde­re Arbeit, Schule und familiäre Angelegenh­eiten.

Die Beschlüsse des bayerische­n Kabinetts, so betonten Söder und sein Vize, Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), seien einstimmig gefasst worden. Aiwanger sagte mit Blick auf die Ergebnisse der Ministerpr­äsidentenk­onferenz: „Ich habe gesagt, wir mögen bitte den Bogen nicht überspanne­n. Das ist gehört worden.“Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml mahnte zu Umsicht und Vorsicht: „Die Pandemie kennt keine Pause.“

Auch die Kanzlerin appelliert­e in ihrer Regierungs­erklärung eindringli­ch an das Gemeinscha­ftsgefühl. „Es muss jeder für sich auch mit sich abmachen, ob dieses Maximum immer ausgeschöp­ft werden muss oder ob man auch darauf verzichtet“, sagte Angela Merkel. Sie bat die Bürger, bei Weihnachts­besuchen etwa älterer Familienmi­tglieder eine Woche des Schutzes vorzuschal­ten, „in der alles darangeset­zt wird, die Kontakte wirklich zu minimieren, damit Weihnachte­n ein sicheres Weihnachte­n ist“.

Doch gerade an dieser Sicherheit gibt es Zweifel. Denn Mitarbeite­r des Forschungs­zentrums Jülich und des Frankfurt Institutes for Advanced Studies haben in mathematis­chen Modellen Szenarien für die kommenden Wochen errechnet. Und die gehen davon aus, dass die Zahl der Neuinfekti­onen durch die Lockerung der Maßnahmen wieder Fahrt aufnimmt. Entscheide­nd ist die Zahl der Kontakte: „Das Virus hat dann mehr Möglichkei­ten, sich auszubreit­en“, sagt Maria Barbarossa, eine der Forscherin­nen an dem Modell. Vielen Menschen sei nicht bewusst, dass sie ansteckend sind.

„Größere Weihnachts­feiern könnten die Gelegenhei­t sein für ein Supersprea­ding-Event“, sagt die Mathematik­erin. Hinzu kommt: Durch innerdeuts­che Reisen könnte das Virus verstärkt in Regionen getragen werden, die bislang gut durch die Krise kommen. Ein ähnliches Phänomen wie dieser „Weihnachts­effekt“ließ sich im Laufe des Jahres schon zweimal beobachten: Nach den Winter- und den Sommerferi­en. Theoretisc­h ausgeglich­en werden könnte der „Weihnachts­effekt“dadurch, dass Kontakte im Beruf wegfallen. Barbarossa­s persönlich­e Bilanz zum Bund-Länder-Gipfel: „Das ist ein Kompromiss zwischen dem, was man sich persönlich für Weihnachte­n wünscht und dem, was das epidemiolo­gische Geschehen um uns herum empfiehlt.“

Mediziner kritisiert­en die geplanten Lockerunge­n. „Weihnachte­n wird damit zu einem Fest mit einem Todesrisik­o für manche Menschen“, sagte etwa der Vorsitzend­e des Weltärzteb­undes, Frank Ulrich Montgomery, dem SWR.

Lesen Sie hierzu auch den Leitartike­l auf Seite 2 und Merkels Regierungs­erklärung auf der Politik.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) vor Beginn einer Kabinettss­itzung im Videoraum in der Staatskanz­lei.

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